Mobiles Rädchen im weltweiten Finanzgetriebe

Wenn sich Ralf Ferner heute seinen Lebenslauf anschaut, ist er sich nicht sicher, ob er sich selbst in der Finanzbranche einstellen würde. "Mir fehlt eine förmliche Ausbildung.

Ich habe ein Semester lang halbherzig studiert und musste mich jedes Mal mit viel Aufwand in einen neuen Job einarbeiten, um das Fachwissen zu bekommen. Diesen Weg würde ich keinem empfehlen", sagt der 45-jährige gebürtige Eifeler aus Nattenheim (Eifelkreis Bitburg-Prüm). Seit vier Jahren nun lebt er in Stockholm und arbeitet dort für eine große schwedische Bank, die Skandinaviska Enskilda Banken (SEB) als Fondsmanager. Die Aufgabe ist nicht ohne, er ist verantwortlich für den Bereich Aktien, Dachfonds und sogenannte gemischte Mandate aus Renten- und Aktienanlagen mit derzeit 37 Fondsmanagern, die größte Zuständigkeitseinheit im Investmentbereich des Finanzhauses überhaupt. Verwaltetes Vermögen: 80 Milliarden Euro.
Gerade in der aktuellen Lage, wo das Vertrauen der Anleger in die Geldinstitute schwindet und Vermögensverwalter und Anlagemanager mit ihrer Arbeit massiv unter Druck stehen, werden Kauf- oder Verkaufsempfehlungen immer stärker vom Hintergrundwissen der Fachleute abhängig gemacht. "Ich schaue natürlich auf die Qualifikation der Leute", sagt Ferner, inzwischen selbst verantwortlich für die Personalrekrutierung.
Nichtsdestotrotz würde er einem Kandidaten mit einem beruflichen Werdegang wie dem seinen "zumindest jedoch ein Gespräch geben". Denn als ehemaliger Zeitarbeiter, Devisenhändler, Unternehmer, Kneipenbesitzer und nun Fondsverwalter hat er sich ein Erfahrungsspektrum und eine Menschenkenntnis angeeignet, die in jedem Beruf von Nutzen sind.
Fehlte ihm in und nach der Schule noch der Ehrgeiz, überhaupt zu lernen, liebt er nun die Verantwortung und den Reiz für etwas "großes Ganzes zu arbeiten und es immer wieder besser zu machen". Nach einem Kopier- und Hilfsjob bei der Zeitarbeitsfirma Manpower in Luxemburg kommt er 1989 in den Geld- und Devisenhandel bei der Bank of America. Was ihn dort fasziniert, ist die Internationalität, das Sprachenwirrwarr der Fachleute: "Aus kleinen Lautsprecherboxen quäkten die Stimmen der Broker in Englisch, Italienisch, Französisch, Deutsch. Und es war eine Selbstverständlichkeit dabei, wie viele Millionen Mark und Dollar dort gehandelt wurden", erinnert er sich. Ein paar Jahre später hat er selbst als Devisenhändler für die belgische Bank IPPA einige Hundert Millionen Dollar am Tag gekauft und verkauft. 1994 wechselt er zur Svenska Handelsbank Luxemburg und macht dabei auch die Erfahrung, wie es ist "wenn man am Tag 100 000 Mark Verlust für den Arbeitgeber macht und dann nervös nach Hause fährt". Aber das gehöre eben zu dieser Arbeit dazu. Als ein Wechsel nach London scheitert, wirft Ralf Ferner den grauen Anzug und Krawatte in die Ecke und wird für zweieinhalb Jahre Kneipenwirt. Zusammen mit einem Freund betreibt er das "Kowalski" in der ehemaligen Kirche am Bitburger Flugplatz, wird zugleich Unternehmer, Veranstalter und Arbeitgeber: "Ich habe das nicht als Experiment gesehen. Und auch heute noch war das eine Zäsur im Leben - genau zur richtigen Zeit." Doch das Kneipengeschäft ist zyklisch, wirft zu wenig für zwei Betreiber ab. Ralf Ferner geht zurück an den Finanzplatz Luxemburg, zunächst als Bankbuchhalter, dann ins Privatkundengeschäft der SEB. Innerhalb weniger Jahre wird er Abteilungsleiter für die Vermögensverwaltung in den Niederlassungen Luxemburg, Zürich, Genf und Singapur, ehe er 2007 nach Stockholm geht.
"Die größte Herausforderung jeden Tag ist es, die Kostenseite der verschiedenen Fonds- und Aktien-Anlagen im Griff zu behalten", beschreibt er seine Arbeit. Dass die Börsen schwanken, sei Tagesgeschäft, und das sei keine Abfolge von Paukenschlägen, so wie es in den Medien manchmal rüberkomme. Er stelle mit seinem Team lediglich den Kunden in Aussicht, es besser zu machen als der Durchschnitt der Aktienfonds sich verhalte. "Das gelingt oft, aber nicht immer."
Es sei wichtig, einen Überblick über die Märkte zu haben, und gibt gleich zu einigen aktuellen Fragen des Finanz- und Bankenmarktes eine Einschätzung ab: Die Staatsschuldenkrise wird laut Ralf Ferner noch lange auf eine Lösung warten, da Rettungsschirme alleine an der Ursache nichts änderten; von einer Transaktionssteuer auf alle Finanzgeschäfte hält er wenig, da sie international nicht durchsetzbar sei; die von der SPD andiskutierte Aufspaltung der Banken in Kreditgeschäft und Investment-Banking hält er zwar nicht für neu, angesichts mancher riesiger und mächtiger Bankhäuser aber für diskussionswürdig; die staatliche Rettungsaktion der Dexia Bank sieht er als problematisch an, das Institut nennt er die "Hypo Real Estate" von Frankreich und Belgien.
Und mit seinem Berufsstand ist er durchaus selbstkritisch. "Die Banken haben viel von ihrer Kreditwürdigkeit verloren und Vertrauen verspielt", sagt der Finanzexperte. Vor allem im Investmentbanking, deren Vertreter in Bankenkreisen gern als "Stars" aufträten, hätten die Beteiligten sehr viel dafür getan, das Ansehen der gesamten Branche zu ruinieren. "Natürlich fühle ich mich schon mal als Buhmann", gesteht er. "Inzwischen stehe ich drüber. Überall werden Fehler gemacht, auch in der Politik, die auf Lobby-Arbeit reinfällt." Auch wenn sein Berufsstand derzeit massiv in der Kritik steht: Ralf Ferner macht es "sehr viel Spaß", in der Finanzindustrie zu arbeiten. Denn in dem System, das vielen als marode gelte, greife dennoch ein Rädchen ins andere, baue alles aufeinander auf. "So ist Zivilisation entstanden. Hier wird die Welt zusammengehalten."
Sabine Schwadorf

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