Musik aus dem monströsesten Nichts

TRIER. (ph) "Am Anfang war der Klang, und der Klang war bei Gott." Einer Andacht gleich begann das Konzert, und einer Andacht gleichen sollten die gebetsartigen Texte und liturgisch anmutenden Lieder bis zum Schluss. "Lieder aus dem Gedächtnis der Welt" trug die Gruppe "Aniri" in der Aula der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) vor und erinnerte mit ihnen an den Holocaust.

"Aniri", das waren an diesem Abend die beiden Sängerinnen Anette Krüger und Imke McMurtrie sowie Hans Malte Witte, der den Gesang mit Klarinette oder Querflöte begleitete. An diesem Abend, denn das 1997 in London gegründete Ensemble tritt in wechselnden Besetzungen auf. "Aniri" bedeutet in der koreanischen Sprache "die Leere", "das Nichts". Dieses Nichts verstehen die Musiker von "Aniri" als Ausgangspunkt ihres künstlerischen Schaffens, das sich zu jedem Konzert neu gruppiert und gestaltet.Gedichte von Rose Ausländer

Für ihr Konzert in Trier hatte sich "Aniri" das monströseste Nichts, die schrecklichste Leere ausgesucht, die die Menschheitsgeschichte zu bieten hat: die Verbrechen des Nationalsozialismus. Ihr Aufritt in der KHG war Teil einer Veranstaltungsreihe zum nationalen Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar. Jenem Tag also, an dem vor 59 Jahren das Konzentrationslager Auschwitz befreit wurde. Mit während der NS-Diktatur verfemter und verfolgter Kunst beschäftigt sich die Veranstaltungsreihe in diesem Jahr, die von KHG, Evangelischer Studentengemeinde (ESG) und der Stadt Trier organisiert wird. Eine von den Nationalsozialisten verfolgte Künstlerin war Rose Ausländer. Die im Mai 1901 in Czerniwotz - in der heutigen Ukraine gelegen - geborene Schriftstellerin lebte von 1941 bis 1944 im jüdischen Ghetto ihrer Geburtsstadt. Ausländer, die vor 14 Jahren in Düsseldorf starb, schrieb vor allem Gedichte, die sich oft mit der Judenverfolgung und dem Exil beschäftigen.Musik voller Wehmut und Anbetung

Ihre Texte, eindrucksvoll gelesen von Johannes Metzdorf-Schmithüsen, verschmolzen buchstäblich mit den vorgetragenen Liedern zu einer inhaltlichen und förmlichen Einheit. Die kurzen, meist nur aus wenigen Sätzen bestehenden, beinahe nihilistischen Gedichte ergänzten die vorwiegend jiddischen und georgischen Lieder und schufen ein sprachlich-musikalisches Ensemble aus Verzweiflung, Melancholie und Hoffnung. Mal Rücken an Rücken, mal in alle Ecken der Aula verstreut, mal singend, vortragend und spielend durch die Reihen schreitend gaben die vier Künstler nicht nur während des liturgischen Gesangs "Xorhood, Xorheen" aus Georgien ihrem Konzert den Charakter einer Messe. Klar und stimmlich sicher ließen Krüger und McMurtrie ihre Mezzo-Soprane vor den kaum mehr als drei Dutzend Zuschauern erklingen. Sinnlich und klagend stimmten Klarinette und Querflöte ein. Zumindest für eine Stunde waren das Nichts und die Leere gewichen, gewichen einer Musik voller Wehmut und Anbetung. Oder, mit den Worten Rose Ausländers, deren Gedicht "Das Wort" den Abend beendete, wie es ihn begonnen hatte: "Am Anfang war der Klang, und der Klang war bei Gott."

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