Corona Mutmacher Wenn Musiker völlig von der Rolle sind ...

Trier-Eitelsbach · Andreas Sittmann jammert nicht. Wochenlang schlägt sich der beliebte Sänger durch. Keine Auftritte, kein Einkommen. Die Corona-Pandemie macht ihn schweigsam. Als er sich wieder berappelt, hat er eine originelle Idee.

 Bänkelsänger, Stadtführer, Liedermacher: Der Musiker Andreas Sittmann auf dem Trierer Hauptmarkt.

Bänkelsänger, Stadtführer, Liedermacher: Der Musiker Andreas Sittmann auf dem Trierer Hauptmarkt.

Foto: TV/Verona Kerl

Im März ist Andreas Sittmann, Liedermacher, Bänkelsänger und musikalischer Stadtführer regelrecht deprimiert. Auftritte? Abgesagt. Dauer der Corona-Pandemie? Ungewiss. Perspektiven? Fehlanzeige. Einkommen? Keins.

Sittmann fällt erst einmal in ein Loch. Denn für wen singt ein Sänger, wenn er nicht mehr singen darf? Einige Wochen lang schmort er so vor sich hin. Doch im April kommt ihm eine Idee. Gemeinsam mit der Geigerin Isabelle Krohn lädt er seine Nachbarn in Trier-Eitelsbach zu einem Balkonkonzert ein. Sie werfen Zettel in Briefkästen und animieren zu spenden.

Das 90-minütige Konzert vom Sittmannschen Balkon aus schlägt ein: Von den irischen Folkloreliedern, Eigenkompositionen, Schlagern und Rock aus den 70er und 80er Jahren sowie den beliebten Interpretationen von Reinhard-Mey-Liedern ist das Publikum begeistert und zeigt sich dankbar. „Viele Leute haben viel gegeben. Ich war sehr angetan von der Resonanz“, erzählt Sittmann. „Manche haben sogar 50 Euro gespendet. Fans haben mir Geld überwiesen. Das war gelebte Solidarität.“

Ansonsten vergeht die Zeit zwischen März und Mai im Schneckentempo für den umtriebigen und normalerweise viel beschäftigten Sittmann. Er beginnt zu schreiben: Der erste Eintrag im Corona-Tagebuch eines Künstlers stammt vom 17. März. Es ist St. Patrick’s Day, der irische Nationalfeiertag.

„Meine Band, die Rambling Rovers, hätten an dem Tag eigentlich irische Folk-Musik im Bürgerhaus von Trier-Nord gespielt“, sagt Sittmann. Doch öffentliche Konzerte mit Publikum sind in Zeiten von Corona verboten. „Wir waren ganz traurig.“ Und so dichtet Sittmann eben. „Ich habe mir Gedanken über den heiligen Patrick gemacht und aufgeschrieben.“

25 bis 30 Erzählungen kommen im Laufe der Wochen zusammen. „Ich wollte Positives berichten. Aus diesem Grund habe ich auch den ursprünglich favorisierten Titel Corona-Tagebuch verworfen und es statt dessen ,Völlig von der Rolle’ genannt.“

 Da Geschichten erzählen zu den vornehmsten Aufgaben eines Bänkelsängers (wandernder Sänger, der von einer kleinen Bank herab Geschichten und Lieder vortrug) gehört, fragt sich Andreas Sittmann irgendwann: Warum nicht gleich ein Hörbuch aus den vielen Anekdoten und Alltagsplaudereien machen? Er sucht die zehn besten Tagebucheinträge aus, liest sie und hinterlegt sie mit Musik, spielt dazu mit den Rambling Rovers Lieder ein und produziert so zu Hause satte 120 Minuten pure Unterhaltung.

So sieht die Playlist aus:

1. St. Patrick;

2. Wie ich einkaufen ging: „Da habe ich mich plötzlich genötigt gefühlt, Toilettenpapier zu kaufen, obwohl wir gar keins brauchten.“

3. Gotik oder Batik – auf jeden Fall antik: „Darüber wie ich zum Stadtführer wurde.“

4. Kuriositäten und Anekdoten: „Lustige Plaudereien über meine Stadtführungen.“

5. Eine kleine Wanderung: „Da habe ich mir auf einer Wanderung Gedanken über große Literaten gemacht, die viel gewandert sind, wie Hesse oder Heine.“

6. Immer Ärger mit dem Müll: „Ich musste mit meinem Biomüll bis nach Mertesdorf gehen und immer, wenn ich da hinkam, waren die Tonnen voll.“

7. Sum Sum Sum: „Da habe ich morgens ein Honigbrot gegessen und mir Gedanken über Bienen, Faultiere und Glühwürmchen gemacht.“

8. König Fußball: „Da habe ich einen Traum, dass ich zur Eintracht gehe und eine Currywurst esse. Ich bin Eintracht-Fan seit 1977.“

9. Es lebe der Sport: „Da sehe ich in meinen Spiegel, der zu mir folgendes spricht: Hier ist dein Spieglein, Spieglein von der Wand und ich seh’ wie dein Hemd die Hüften spannt.“

10. Maskenball bei Scotland Yard:

„Da erzähle ich was von Masken. Der Titel ist eigentlich ein Lied von Bill Ramsey, aber ich zitiere nur zwei Zeilen davon.“

11. Als Zugabe spricht der nimmermüde Theaterrentner Heribert Schmitt alias Harry Hut sein Gedicht „Trier Lichter“ – eine Hommage an die Stadt Trier ein.

Im Juli will Andreas Sittmann die Produktion abschließen, um dann im August die Doppel-CD (etwa um die 15 Euro) auf den Markt zu bringen. Noch tüftelt Maler und Karikaturist Roland Grundheber am Cover. Noch arbeitet Sittmann am Vertrieb.

Einstweilen können Fans die CD vorbestellen, per E-Mail bei: andreas.sittmann@gmail.com, weitere Infos gibt es auf der Homepage: www.andreas-sittmann.de

Apropos Balkon: Für Hermann Lewens Balkonkonzerte noch bis 27. August im Kloster Machern in Bernkastel-Wehlen (der TV berichtete) hat sich Sittmann mit seiner Band Rambling Rovers vormerken lassen.

Sechs Konzerte hat Lewen, Gründer des Mosel Musikfestivals, eigentlich geplant: „Als Zugabe kann ich mir Andreas Sittmann mit Band durchaus vorstellen. Aber erst mal sehen, wie die Reihe anläuft.“ Weitere Aussichten? Heiter bis wolkig.

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