Mutter kam kurz vor Mitternacht mit dem Hund

Immer wieder fragte ich am Abend des 23. Dezember 1944: "Wo ist nur die Mama?" Wir wohnten seit zwei Tagen im Haus meiner Großeltern in Eitelsbach.Am 21. Dezember waren wir noch zu Hause in Trier. Nach dem Mittagessen war, wie so oft, Voralarm, kurz darauf Hauptalarm. Wir liefen in den Keller, meine Mutter, mein 12-jähriger Bruder und ein zwangsverpflichteter Zivilarbeiter, der bei uns im landwirtschaftlichen Betrieb mitarbeitete, weil mein Vater im Krieg war. Kurz darauf fielen Phosphorbomben, die Straße brannte, und dann in etwa 30 Meter Entfernung von uns Luftminen, die der Bombardierung des Süd-Bahnhofes galten. Der war in unmittelbarer Nähe. Wir haben den damals vorgeschriebenen Keller-Durchbruch aus Heraklitwand durchstoßen, aber der Nachbar hatte Kohlen davor gelagert. Wir mussten den Keller verlassen.Es war kurz nach 14 Uhr, aber finstere Nacht infolge Rauch und Brand. Wir kletterten mit unseren Notköfferchen auf allen Vieren über Haustrümmer und versuchten, Richtung Caspary-Brauerei zu kommen, in den Keller des dritten Untergeschosses, was auch gelang.Als der Angriff auf Trier vorüber zu sein schien, machte sich meine Mutter mit den beiden anderen auf den Weg nach Hause, um das Vieh zu versorgen. Ich sollte im Keller mit unseren Habseligkeiten warten.Stunden vergingen, meine Angst wurde immer größer, und ich machte mich auf den Weg mit unserem Hab und Gut. Als ich ins Freie kam, kannte ich mich nicht mehr aus. Ich befand mich mitten in den Trümmern der Brauerei. Ich setzte mich auf mein Köfferchen und weinte, denn ich wusste nicht mehr weiter.Als meine Lieben dann endlich von ihrer Arbeit zurückkamen, verbrachten die Überlebenden auf Matratzen und Decken im Keller die Nacht. Am nächsten Morgen - meine Mutter fand einige Leute, die ihr halfen - wurde mit Hacken ein Weg durch die Trümmer auf der Straße gegraben, und unser Pferd musste mit dem leeren Wagen darüber. Jenseits der Schuttberge wurde der Wagen mit dem Nötigsten beladen, und wir fuhren Richtung Eitelsbach zum Haus meiner Großeltern. Der nächste Tag dort galt der sorgfältigen Planung, denn die Tiere mussten noch geholt werden.So machte sich meine Mutter am 23. Dezember frühmorgens mit zwei Pferdegespannen auf den Weg nach Heiligkreuz. Helfer waren deutsche Soldaten, die bei meinen Großeltern einquartiert waren, unser russischer Zivilarbeiter und der französische Kriegsgefangene meiner Oma.In Trier wurden die Kühe noch gefüttert und dann hinter die Wagen gebunden, Hühner in Säcke gepackt. Zwischendurch gab es Fliegeralarm, die Tiere mussten zurück in den Stall, und das Aufbruchspektakel begann von neuem. Die Wagen fuhren in Richtung Süd-Bahnhof. Dort stellte meine Mutter fest, dass der Hund fehlte. Ihr lag aber sehr an dem Tier. So ging sie zurück, um es zu holen.Wieder gab es Hauptalarm, und meine Mutter wollte Richtung Römerbrücke, als zwei Polizisten ihr nacheilten und sie mit dem Hund in den Bunker brachten. Sie erzählte später, dass sie sich noch einmal umschaute und die Bomben wie große Vogelscharen am Himmel sah.Ihre große Sorge galt den Menschen, die mit ihrer Habe unterwegs waren und in Lebensgefahr schwebten. Diese erzählten später, die Tiere hätten sich in Panik von den Wagen losgerissen und nur mit Mühe wieder eingefangen werden können.Am späten Nachmittag traf das erste Pferdefuhrwerk in Eitelsbach ein, wesentlich später das zweite, und meine Mutter kam erst kurz vor Mitternacht mit dem Hund an.Trotz dieser schrecklichen Kriegserlebnisse war es das schönste Weihnachtsfest, weil wir alle noch lebten. Nach Kriegsende bekamen wir auch von meinem Vater aus Amerika Nachricht, dass er mit dem ersten Lazaretttransport nach Deutschland käme.Elfriede Meyer, geb. Morgen,damals acht Jahre alt aus Trier-Heiligkreuz

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