Nach Unwetter: Anwohner in Kasel fordern Konzept gegen Wassermassen

Kasel · Bei Regen und schweren Unwettern tritt der Kundelbach in Kasel (Verbandsgemeinde Ruwer) über die Ufer, strömt durch die Straßen in Häuser und Gärten - so wie am 8. Juni 2013. Anwohner klagen, dass die Verbandsgemeinde Ruwer dagegen nichts unternimmt. Der Bürgermeister widerspricht und spielt den Anwohnern den Ball zurück.

Nach Unwetter: Anwohner in Kasel fordern Konzept gegen Wassermassen
Foto: Holger Fricke

Wenn sich der Himmel über Kasel dunkel färbt, beginnt für Holger Fricke und seine Frau Isabel der Stress. Dann heißt es: Feuerwehr alarmieren, Gummistiefel anziehen, Möbel ins Obergeschoss tragen, alle erreichbaren Kanaldeckel herausnehmen, Sandsäcke aufstellen und hoffen, dass das Unwetter schnell vorbeizieht.

"Bei Starkregen strömt uns das Wasser direkt ins Wohnzimmer", klagen die Anwohner der St.-Irminenstraße. Nach dem schweren Unwetter vom 5. Juli 2012 (der TV berichtete) musste das Paar ein halbes Jahr lang die Schäden im Haus beseitigen. Kosten: 35.000 Euro. Das Gewitter am 8. Juni 2013 haben sie "mit blauem Auge überstanden". Dutzenden Bewohnern in den Nachbarstraßen geht es ähnlich.

Bach strömt über Ortsstraßen

Das Problem ist der Kundelbach im Ort. Er tritt bei Starkregen nach wenigen Minuten über die Ufer. Wassermassen strömen samt Ästen und Geröll aus Richtung Tennisplätze über Feller Straße, Hauptstraße und Heiligenbungert in den Ortskern. "Unsere Reaktionszeit geht gegen null", sagt Holger Fricke.

Im TV-Bericht vom 19. Juni hat Bernhard Busch, Bürgermeister der Verbandsgemeinde (VG) Ruwer, geschildert, welchen Schutz die VG bisher geschaffen hat: neue Rückhaltebecken und Kanäle, einen besseren Geröllfang in der Feller Straße. "Alles Rumdokterei", urteilt Peter Neu, Anwohner der Straße Heiligenbungert. Es fehle ein "Gesamtkonzept".

Neus Vorschlag: Das Wasser in ein großes Rückhaltebecken am Sportplatz einleiten und dosiert über einen noch zu bauenden Überlauf an den Kundelbach abgeben. Bei steigendem Pegel soll ein neuer Kanal entlang des Heiligenbungerts das Wasser am Orts vorbei wieder in den Kundelbach führen. Die VG habe auf diese Idee, die Neu auch im Internet vorstellt (siehe Extra), nicht reagiert. Daher habe er sie jetzt ans Bürgerbüro der Mainzer Staatskanzlei geschickt.

Zittern vor dem Regen

Angesichts großer Schäden an Häusern, Gärten und Autos unterstützen viele Anwohner Neus Idee. Zu den Schäden komme die "ständige Anspannung", sagt Isabel Fricke. "Vor jedem Unwetter sitzen wir zitternd vorm Regenradar." An Urlaub sei kaum zu denken. Ähnlich geht es Nachbarin Cornelia Josten: "Das Wasser verwüstet meinen Garten. Ich investiere Tausende Euro, alles für die Katz."

Die Verantwortlichen ignorierten die Nöte der Anwohner, meint Neu. Diese Kritik weist VG-Chef Busch zurück: "Weder Verbands- noch Ortsgemeinde sitzen ein Problem aus." Es gebe ein Konzept, das auch das große Rückhaltebecken einbeziehe. Ein neues Gitter am Bachschacht vor der Feller Straße solle bewirken, dass sich dort das Rohr "weniger rasch zu setzt". Durch ein größeres Rohr, das 2014 eingebaut werden soll, erreiche das Wasser dann auch das große Becken, "wohin es derzeit wegen des verstopften kleineren Rohres nicht gelangt".

Der Vorschlag eines neuen Kanals am Heiligenbungert, sagt Busch, verkenne "in Teilen die tatsächliche Situation". Die Weinberge entwässerten dort in Mulden am Spielplatz. Ein Vorstoß der VG, die Wegeführung am Heiligenbungert zu ändern, sei an den Anwohnern gescheitert (siehe Extra).

Mauer lenkt Wasser auf Straße

Grund für die Überschwemmungen dort sei, dass ein Anwohner bei der Bach-Renaturierung nicht mitmachen und ein zu kleines Rohr nicht ersetzen wollte - obwohl die VG dies bezahlt hätte. Bei stärkerem Regen fließe das Wasser daher an der Mauer entlang auf die Straße. Busch betont: "Wir arbeiten seit Jahren daran, den durch die topografischen Bedingungen gelenkten Wassermassen Herr zu werden". Es gebe Verbesserungen. Der "Optimalzustand" sei wegen "fehlender Mitwirkung einiger Anwohner" noch nicht erreicht.

Anwohner Holger Fricke widerspricht: "Die Betroffenen spüren keine Verbesserung. Das lässt sich nicht auf Einzelne abwälzen." Neu fragt: "Wenn es ein Konzept gibt, warum spricht keiner mit uns darüber?"Extra

Hochwasserschutz in KaselLaut VG-Bürgermeister Bernhard Busch prüfen die VG-Werke beim Kanalausbau wie jüngst in Kasel auch die Dimensionierung der Rohre. Grundlage dafür sei aber nicht ein Starkregen wie am 5. Juli 2012, sondern ein dreijähriges Regenereignis. Zur Situation am Heiligenbungert sagt Busch: "Ein Kanalbau kostet mehrere Hunderttausend Euro." Den "wesentlich günstigeren" Vorschlag der VG, das Wasser über den Weg abzuführen, in dem man dort ein Gefälle zum Berg hin anlegt, hätten die Anwohner abgelehnt. Die Betreiber der Weinberge hätten für die Umgestaltung einen Teil ihrer Fläche hergeben müssen, erläutert Busch. Dafür sollten die Anwohner im Gegenzug erklären, keine Einwände mehr gegen eine "dauerhafte ordnungsgemäße Bewirtschaftung" zu erheben. In der Vergangenheit habe es häufiger Beschwerden gegeben, etwa wenn die Winzer dort Pflanzenschutzmittel gespritzt oder schwere Maschinen eingesetzt hätten. Um dem künftig vorzubeugen, sollten die Anwohner dem Eintrag einer Grunddienstbarkeit ins Grundbuch zustimmen. Dabei verzichtet ein Grundstücksbesitzer zugunsten eines anderen auf bestimmte Rechte oder räumt ihm die teilweise Nutzung des eigenen Grundstücks ein. Dazu Anwohner Peter Neu: "Ich halte das für absolut unnötig. Es bedeutet außerdem eine erhebliche Wertminderung unserer Grundstücke."
InternetseiteDie Internetseite www.ig-hochwasser-kasel.de informiert mit Texten, Fotos und Videos über die Folgen schwerer Unwetter in Kasel seit 2008. Zudem stellt der Kaseler Peter Neu ein mögliches Konzept zur Abwehr der Wassermassen vor. Die Interessengemeinschaft ruft weitere Geschädigte zum Erfahrungsaustausch und gemeinsamen Vorgehen auf. Weitere Fotos zum Unwetter von 2012 zeigt auch die Homepage der Ortsgemeinde Kasel www.kasel.de unter Aktuell/Unwetter in Kasel. Meinung

 Nach dem Unwetter vom 8. Juni 2013 stellt Holger Fricke vor seinem Haus in der St.-Irminenstraße in Kasel rund 30 Sandsäcke zum Trocknen auf.

Nach dem Unwetter vom 8. Juni 2013 stellt Holger Fricke vor seinem Haus in der St.-Irminenstraße in Kasel rund 30 Sandsäcke zum Trocknen auf.

Foto: Christa Weber

Verhärtete Fronten aufbrechenDie vom Hochwasser geplagten Kaseler haben das Gefühl, dass die Verantwortlichen bei Orts- und Verbandsgemeinde ihr Problem ignorieren. Sie sagen: Es gibt kein Konzept, um den Wassermassen Einhalt zu gebieten, die nach Unwettern ihre Häuser unter Wasser setzen. Das ist aber nicht der Fall - die Verantwortlichen arbeiten an Lösungen, die zum Teil gar nicht so weit entfernt sind von den Vorschlägen der Anwohner.

Das Problem ist: Es wird nicht miteinander gesprochen. Die Anwohner wissen nichts von den Konzepten, sie fühlen sich allein gelassen. Die Fronten sind verhärtet. Auch wenn sich der ein oder andere den Ansätzen der VG Ruwer verschließt: Offenbar steht eine große Zahl von Anwohnern bereit, die bei der Lösung des Problems mithelfen wollen. Es ist an der Zeit, sich mit diesen Menschen an einen Tisch zu setzen und gemeinsam einen Weg zu finden. c.weber@volksfreund.de

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