Napoleon und die alten Römer

TRIER-SÜD. Sie gilt als personifiziertes Geschichtslexikon: Anne Marie Zander aus der Löwenbrückener Straße weiß (fast) alles über Triers Historie. Deshalb ist sie sehr gefragt und verkörpert mit ihren 91 Lenzen selbst schon lokale Zeitgeschichte.

Was Männer mit unüberlegten Behauptungen so alles bewirken können… Klein Anne Maries Großvater Johann Elsen pflegte gerne über die "alten Römer" zu schwadronieren. Wann die denn gelebt hätten, wollte die Enkelin wissen. "Och, so vor hundert Jahren", meinte der Opa. Bei anderer Gelegenheit erzählte er, Kaiser Napoleon habe die nach ihm benannte Palliener Brücke gebaut. "Wann denn?" "Och, so vor hundert Jahren." "Da kannten sich der Kaiser Napoleon und die alten Römer ja", schlussfolgerte das Kind, und Johann Elsen kam argumentativ ins Schleudern.Kirchenbücher als Fundgrube

Das einmal geweckte Interesse an Geschichte hat Anne Marie Zander, geborene Propson, nie wieder losgelassen. Erst recht nicht, als sie 1918 Zeugin einer archäologischen Ausgrabung neben der Schule im heimatlichen Pallien wurde. "Da kamen prächtige Sarkophage zum Vorschein. Das faszinierte mich." Viele Kapitel der jüngeren Geschichte hat die rüstige Dame hautnah erlebt. Als Kaiser Wilhelm II. am 14. Oktober 1913 die nach ihm benannte Moselbrücke einweihte, "war ich ganz in der Nähe, aber ein bisschen zu jung" - genau gesagt fünf Monate und einen Tag. Ein Bombenangriff auf Pallien anno 1917 aber grub sich ebenso in ihr Gedächtnis ein wie die Besatzungszeit nach dem Ersten Weltkrieg, der passive Widerstand gegen die Franzosen. 1933 wird sie ebenso in persönlicher Erinnerung behalten. Die Gartengehilfen-Prüfung im März ("Und deshalb ohne Führer-Brimborium") absolvierte die in Diensten der Firma Lambert stehende Ex-Ursulinen-Schülerin als einzige im weiten Trierer Land mit sehr gut. Kollege Martin Kalck bestand mit gut und wurde später Stadt-Beigeordneter; Anne Maria Zander zog sich mit 40 aus einem bewegten Berufsleben zurück, als dessen schönste Zeit sie die zweieinhalb Jahre als FWG-Sekretärin bezeichnet. Zuletzt arbeitete sie wie ihr Mann Claus Zander in der Paulinus-Druckerei, als Lohnbuchhalterin und "Fräulein vom Amt". Als Hausfrau konnte sie endlich ihrem Hobby, der Geschichtsforschung und Familienkunde, frönen. Sie wurde Stammgast in Archiven, und die Wohnung der Zanders in der Löwenbrückener Straße entwickelte sich zur Chefredaktion für das vom Verein Trierisch herausgegebene Neue Trierische Jahrbuch. Dessen Schriftleitung hatte Claus Zander von 1965 bis 1990 inne, stets wirkungsvoll unterstützt von seiner Frau. Auch nach dem Tod ihres Mannes 2000 bleibt Anne Maria Zander am Ball. "Meine lieben Nachbarn hegen und pflegen mich, und Forschung ist mein Lebenselixier", erklärt sie die beneidenswerte geistige Frische. Die und ihr reichhaltiges Privatarchiv machen sie zur gefragten Fachfrau, zum "lebenden Lexikon", für viele neugierige Menschen vom Heimatforscher bis hin zum Lokaljournalisten. Ihr eigenes Literaturverzeichnis erstreckt sich über Aufsätze in Jahrbüchern und Fachzeitschriften. "Ich forsche, andere publizieren. Ich bin zu gutmütig", lacht die 91-Jährige, die mit Elan weiterforschen will, selbstverständlich wie gehabt ehrenamtlich. Ihre Spezialität ist das Verarbeiten von Kirchenbüchern aus dem Trierer und Wittlicher Land zu Familienbüchern: "Dabei erfahre ich viel über meine Vorfahren." Die Propsons (aus Rosport/Luxemburg) tauchen 1730 erstmals in Pallien auf, andere Zweige stammen aus Eifel, Hunsrück und Moselland. Und der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: Tochter Waltraud ist Kunsthistorikerin in Hessen.

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