Nazihorden wüten in der Brot- und Neustraße

Die Reichspogrom-Nacht in Trier war ein Reichspogrom-Morgen: Augenzeugen-Berichte und Prozessakten der Strafkammer Trier von 1949 decken ein dunkles Kapitel Stadtgeschichte auf. Der TV rekonstruiert den Tag aus Quellenmaterial.

Trier. 10. November 1938. Donnerstag. 5.30 Uhr. SA-Leute werden von SS-Meldern geweckt: "Es muss eine Protestaktion durchgeführt werden, und dabei sind Fensterscheiben einzuschlagen." Was sich an diesem Tag in Trier abgespielt hat, wurde aktenkundig in einem von drei Prozessen der Strafkammer Trier am 29. November 1949. Anklage: Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Aus den Prozessakten ergibt sich folgendes Bild: Viele SS-Männer sind bereits im "Goldenen Brunnen" in der Dietrichstraße versammelt. Mehr und mehr gesellen sich dazu. Das Stichwort "Antreten zum Kälbertreiben" macht die Runde. Einige fühlen sich nicht wohl in ihrer Haut, wollen am liebsten wieder gehen: "Ich wurde zum Mitmachen befohlen, hatte eine gute Stelle und wollte als SA-Mann nicht auffallen." Die von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels befohlene "spontane Aktion der kochenden Volksseele" sollte in Trier wie in allen anderen Städten des Reiches straff und schnell durchgezogen werden. Die Polizei hat Order, nicht einzugreifen.
Völlig zerstört: Kaufhaus Haas


Junge Männer zertrümmern die Scheiben jüdischer Geschäfte, schlagen alles kurz und klein, plündern Wohnungen, Privathäuser, zerstören alles, was ihnen in den Weg kommt.
Am schlimmsten wüten die braunen Horden - darunter eingeschleuste Schlägertrupps der SA und SS - in der Brot- und Neustraße. Allein in der Brotstraße befinden sich 13 Geschäfte jüdischer Inhaber. Triers größtes von den Brüdern Albert und Max Haas geführtes "Kaufhaus Haas", das heutige Modehaus Sinn-Leffers, wird völlig demoliert. Das Innere der Synagoge in der Zuckerbergstraße wird geplündert und zerstört. Menschen, die sich in der Synagoge zum Gebet versammelt hatten, werden verhaftet und ins Gefängnis in die Windstraße gebracht.
Augenzeuge Karl Steinborn berichtet: "Der Schulweg führte meinen Freund und mich an dem an die Synagoge angelehnten Bethaus vorbei, wo wir öfters Juden beim Morgengottesdienst beobachteten. Am Morgen des 10. November jedoch waren die Fenster eingeschlagen, Kultgegenstände lagen umher." Am nächsten Tag werden die Gewalttaten gegen Juden fortgesetzt. sbn
Quellen: Stadtarchiv Trier, Trierischer Volksfreund vom 9./10. 11. 1988, Edgar Christoffel: "Der Weg durch die Nacht"