Zeit und Hilfe statt Spielzeug Was Mamas und Papas wirklich brauchen

Trier · Eins vorweg: Es ist kein neuer Strampler. Wenn es um die ersten paar Wochen mit einem neuen Baby geht, klaffen Erwartung und Realität vor allem für Erstlingseltern manchmal weit auseinander. Geht es einfach weiter wie bisher, nur eben mit Baby? Wie die Realität für neue Eltern aussieht, und was sie wirklich brauchen, hat die freiberufliche Hebamme Lina Neitscher mit dem TV besprochen.

Neue Eltern haben längst nicht mehr so viel Zeit wie vor der Geburt ihres Babys. Sie brauchen Hilfe. Die gibt es bei Institutionen, aber auch Freunde und Omas und Opas können helfen.

Neue Eltern haben längst nicht mehr so viel Zeit wie vor der Geburt ihres Babys. Sie brauchen Hilfe. Die gibt es bei Institutionen, aber auch Freunde und Omas und Opas können helfen.

Foto: picture alliance / dpa/Friso Gentsch

Alle sagen es, aber keiner glaubt es so wirklich ganz: Mit einem Neugeborenen ist nichts mehr so wie vorher. Nichts. Alles ist anders. Und dann sind die neuen Eltern mit ihrem heißgeliebten Baby allein zu Haus und merken, dass es tatsächlich so ist, wie alle immer gesagt haben.

Es geht nicht weiter wie bisher „Viele Erstlingseltern denken, das Leben gehe weiter wie bisher. Nur eben mit Baby“, sagt Hebamme Lina Neitscher. Seit 13 Jahren ist sie selbstständig. Täglich ist sie bei Familien zur Nachsorge und kümmert sich um Neugeborene, deren Mütter und Familien.

 Hebamme Lina Neitscher.

Hebamme Lina Neitscher.

Foto: TV/Christian Kremer

Dass vor allem nach dem ersten Baby alles anders ist, weiß die 37-Jährige gut. Wenn Lina Neitscher zu einer Familie nach Hause kommt, sind ihre größten Anliegen: Geht es Baby und Mama gut? Wie spielen sich die Eltern als Team ein? Wie geht es den Geschwisterkindern? Aber das Erste, was viele Eltern sagten, wenn die Hebamme in der Tür steht ist: Entschuldigung, dass es hier so unordentlich ist. Ein einziges Mal in ihrer Karriere als selbstständige Hebamme hätten sich Eltern nicht für den Zustand ihres Zuhauses kurz nach einer Geburt entschuldigt.

Viele Eltern – vor allem Mütter – verspürten den Druck zu zeigen, dass auch nach einer so großen familiären Veränderung alles unter Kontrolle ist. Zuhause: aufgeräumt; Essen: frisch gekocht. Und mental solle man auch zumindest halbwegs auf dem Damm sein. „Dabei ist nach der Geburt eines Babys nichts wie vorher. Man hat viel weniger Zeit, dafür viel mehr Aufgaben.“ Hinzu komme die Konvaleszenz. „Selbst nach einer unkomplizierten Schwangerschaft und Geburt sind Frauen oft noch wochenlang körperlich eingeschränkt.“ Sie könnten ganz einfach viele Aufgaben noch nicht alleine erledigen.

Es sei wichtig, sich schon vor der Geburt Gedanken zu machen, was man brauchen wird, sagt Neitscher. Nur – woher soll man das wissen? Neitschers Ratschlag: Sich überlegen, was man nicht macht, wenn man in den Urlaub fährt. Aufgaben, die man im Urlaub gerne liegen lässt, anderen überlässt oder aufschiebt, sind oft auch die, um die man sich in den ersten Wochen mit Baby lieber nicht kümmern möchte. Aufgaben wie putzen und kochen beispielsweise können zeitweise jemand anderem aufgetragen werden. Allein das entlaste bereits – körperlich und mental. „Man muss sich nicht dafür schämen, dass man Hilfe braucht. Auch nicht, dass man für die Hilfe unter Umständen bezahlt.“

Es gebe Situationen, in denen die Belastung für neue Familien aus verschiedenen Gründen sehr groß ist. „Es ist absolut in Ordnung, sich einen Babysitter zu suchen, oder eine Tagesmutter, die sich stundenweise um ein Baby kümmert.“ Das, was früher womöglich die eigene – große – Familie aufgefangen hat, oder sogar das sprichwörtliche Dorf, müssten neue Eltern heute oft alleine stemmen.

Und was sollen die Freunde und Familienmitglieder der neuen Eltern wissen? „Schenkt keinen neuen Strampler, schmeißt für eine Putzhilfe zusammen. Gebt einen Essen-Liefer-Gutschein statt einer Spieluhr, kocht eine doppelte Portion für die neue Familie, nehmt die großen Geschwister mit auf den Spielplatz. Ruft an, wenn ihr in der Drogerie steht und fragt, ob ihr etwas mitbringen könnt.“

Appell an die Großeltern Auch einen Appell an Oma und Opa hat Neitscher: Baby schaukeln oder im Kinderwagen durch die Straßen schieben, Essen kochen. „Bietet den neuen Eltern ganz offensiv Eure Hilfe an.“ Schlussendlich geht es darum, nicht alleine da zu stehen. Man könne sich auch vor der Geburt schon mal fragen „Wer ist eigentlich mein Clan?“

Dass vor allem Frauen häufig Druck verspüren, alles im Griff zu haben, sieht Lina Neitscher immer wieder. Auch wenn sich Eltern für ein unordentliches Zuhause entschuldigten, sehe es bei allen ganz normal aus – so wie es eben bei Familien zu Hause aussehe. Die erste Zeit mit neuem Baby sei ein guter Zeitpunkt sich zu fragen, ob man vielleicht sehr hohe Erwartungen an sich selbst hat.

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