"Noch kein Schuss gefallen"

Langsur · Eine Wiese in Langsur-Grewenich geht in die deutsche Jagdgeschichte ein. Ihr Eigentümer, Günter Herrmann aus Stutensee in Baden-Württemberg, hat vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erstritten, dass er die Jagd auf seinem Grundstück nicht dulden muss. Das stellt das deutsche Jagdrecht auf den Kopf.

Langsur. Der Sieg von Günter Herrmann gegen die Bundesrepublik Deutschland war eine Riesenüberraschung. Bevor die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg dem Jagdgegner zugestand, dass er die Jagd auf seinem Grundstück in Langsur nicht dulden muss (siehe Extra), war er acht Jahre lang vor allen Gerichten abgeblitzt.
Es begann damit, dass die Kreisverwaltung Trier-Saarburg als zuständige Jagdbehörde seinen Antrag auf Beendigung der Mitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft Langsur (zu der er laut Gesetz als Grundstückseigentümer verpflichtet ist) ablehnte. Er stritt weiter durch die Instanzen - angefangen vom Verwaltungsgericht Trier bis zur Kleinen Kammer des EGMR - bis ihm schließlich die höchste Instanz, die Große Kammer, recht gab. Das Gericht wollte nicht von Urteilen gleich gelagerter Fälle in Frankreich und Luxemburg abweichen.
Herrmann, Jahrgang 1955, den Tierfreunde wie die Initiative "Zwangsbejagung ade!" jetzt bundesweit feiern, ist in Langsur gänzlich unbekannt. "Er war noch bei keiner Versammlung der Jagdgenossenschaft dabei", sagt Langsurs Ortsbürgermeister Rüdiger Artz, der auch Vorsitzender der Jagdgenossenschaft ist. Selbst er hat erst kürzlich erfahren, dass es sich bei Herrmanns Grundstück, das ja kein Jäger betreten soll, nicht um einen Wald, sondern um eine Wiese handelt. "Die Fläche wurde noch nie bejagt, da ist noch kein Schuss gefallen", sagt Artz.
Es handelt sich um zwei nebeneinander liegende Wiesen nahe dem Langsurer Ortsteil Grewenich. Der langgezogene Streifen, rund 3200 Quadratmeter groß, hebt sich durch das hohe braune Gras von den gemähten Nachbarwiesen ab. Der Pächter, ein Landwirt aus der Gemeinde Langsur, hat früher Vieh darauf gehalten. Jetzt hat er das Feld komplett eingezäunt und lässt es brach liegen. "Wir wollen mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben", sagt der Bauer, der namentlich nicht genannt werden möchte. Günter Herrmann hat ihm den Pachtvertrag gekündigt.
Eigentlich hätte der Landwirt wegen der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist die Wiesen noch zwei Jahre nutzen können, aber mit dem streitbaren Rechtsanwalt wollte er sich nicht anlegen. Dem Vernehmen nach hat es einige deftige Briefwechsel gegeben. Die jährliche Pacht habe er immer in einen Briefkasten in Trierweiler geworfen, sagt der Bauer. Dort wohne ein Verwandter von Herrmann. Es heißt, dessen Mutter stamme aus der Region. Im Grundbuch sei diese auch noch vergangenes Jahr als Besitzerin der Parzellen eingetragen gewesen, sagt Rüdiger Artz.
In Jagdkreisen warnt man vor den Folgen des Straßburger Urteils. Es sei fatal für die Land- und Forstwirtschaft. Dazu gibt es derzeit noch viele offene Fragen: Wer haftet für Wildschäden, wenn sie von einem jagdfreien Grundstück ausgehen? Was ist mit angeschossenem Wild, das dahin flüchtet? Wie sieht das künftig mit der Jagdpacht aus; werden befriedete Grundstücke herausgerechnet? Langsurs Ortsbürgermeister Artz befürchtet, dass der Jagdpächter künftig weniger zahlt und damit der Gemeinde Mittel fehlen, um die Feld- und Wirtschaftswege in Schuss zu halten. Für das 474 Hektar große Revier erhält die Gemeinde jährlich 3400 Euro.
Der Gemeinde- und Städtebund hat unterdessen den Jagdgenossenschaften und Jagdbehörden empfohlen, Anträge auf Austritt aus der Genossenschaft abzulehnen oder zumindest so lange zurückzustellen, bis das deutsche Jagdgesetz dem Urteil angepasst wurde. Bis dahin gelte das alte Recht.

Extra

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte befand, dass Günter Herrmann die Jagdausübung auf seinem Grundstück nicht dulden muss, weil er sie aus ethischen Gründen ablehnt. Einen Jagdgegner dazu zu verpflichten, für die von ihm abgelehnte Tätigkeit eine Entschädigung geltend zu machen, sei nicht mit der Achtung für die Ablehnung der Jagd aus Gewissensgründen in Einklang zu bringen. Als Grundstücksbesitzer und Mitglied der Jagdgenossenschaft Langsur steht Herrmann ein Teil der Jagdpacht zu. Dieser Betrag, aufgrund der geringen Grundstücksgröße sind es gerade mal etwa drei Euro jährlich, muss beantragt werden, was Herrmann bisher nicht getan hat. alf

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