Ökumenische Eiszeit?

Am Gründonnerstag dieses Jahres hat Papst Johannes Paul II. eine Enzyklika zur Eucharistie veröffentlicht. Das Rundschreiben wendet sich an Bischöfe, an die Priester und Diakone, an die geweihten Personen und an alle Christgläubigen.

Ganz ausdrücklich sind die Christen angesprochen, die sich zur katholischen Kirche bekennen. Es geht wesentlich um das Verständnis und die Feier der Eucharistie in der katholischen Kirche. Daneben finden sich Hinweise auf die orthodoxen Kirchen, die, was die Eucharistie betrifft, im wesentlichen mit der Auffassung und Praxis der katholischen Kirche übereinstimmen, aber auch um einige Anmerkungen zum Verständnis des Abendmahls in den Kirchen, die aus der Reformation hervorgegangen sind. Wer meint, diese Enzyklika sei mit Blick auf den ökumenischen Kirchentag in Berlin verfasst, der räumt unserem Land einen Platz ein, den es in der katholischen Weltkirche wahrhaftig nicht einnimmt (nur etwa zwei Prozent der katholischen Weltbevölkerung leben in Deutschland). Es geht um die Kirche in der ganzen Welt, um negative Entwicklungen und Missstände, die es nach der Meinung des Papstes in verschiedenen Teilen der katholischen Kirche gibt. Der Papst hat große Sorge um einen erschreckenden Substanzverlust des Glaubens, der sich darin zeigt, dass immer weniger Christen eine innere Beziehung zum Sonntag haben, und dass zum Beispiel in Europa um die 90 Prozent der Getauften aus Nachlässigkeit, Bequemlichkeit, Unverständnis oder bewusster Distanz der wöchentlichen österlichen Feier der Eucharistie fernbleiben, was zu einem Kollaps des Christentum in ganzen Ländern zu führen droht. Diejenigen, die sich um den Glauben sorgen und ihn zu leben suchen, möchte der Papst ermutigen, anderen ins Gewissen zu reden. Übrigens sind Enzykliken über Eucharistie keine Seltenheit; zuletzt hat Paul VI. 1980 darüber geschrieben. Inhaltlich wird in der neuen Enzyklika nichts Neues gesagt. Da herrscht volle Übereinstimung mit den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Es wird betont, dass es bei der Eucharistie um die Mitte des christlichen Glaubens geht, um das Vermächtnis Jesu. Der Papst spricht von dem "sehnlichen Wunsch, gemeinsam Eucharistie zu feiern", ist aber der Auffassung, dass dazu die volle Kirchengemeinschaft Vorraussetzung ist. Darum muss die Annäherung der Kirchen weitergehen, bis dieses Ziel erreicht ist. Von den anderen Kirchen wird in der Enzyklika sehr wohlwollend gesprochen. Von einer ökumenischen Eiszeit ist nichts zu spüren. Die Süddeutsche Zeitung beurteilt das Papstschreiben als "persönliches Glaubenszeugnis und auch als Testament" dieses Papstes und fügt hinzu, sie sei "literarisch formuliert und anrührend zu lesen". So ist es! Dem Leser stellt sich dabei die Frage, welchen Stellenwert die Eucharistie in seinem Leben als Christ einnimmt. Josef Schönborn,Regionaldekan

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