Ottos Mops hopst fort

SCHWEICH/TRIER. Der eigenwilligen Faszination der Lyrik von Ernst Jandl erlagen die Besucher einer Veranstaltung der Kreiskulturtage in der Schweicher Synagoge. Die unnachahmliche Rezitation des Kunst- und Theaterpädagogen Bruno Plum und ein Vortrag von Anne Uhrmacher von der Universität Trier weckten den Drang, selbst zu "jandln".

Knisternd gespannte Stille herrscht in der Synagoge Schweich, als Bruno Plum ganz bedächtig den Bühnenraum betritt, seinen Mund öffnet und zu einem sichtbaren "O" formt. "ottos mops trotzt otto: fort mops fort", deklamiert er mit erhobener, deutlich artikulierender Stimme und schauspielerisch brillanter Gestik. Das dreistrophige Sprachspiel um den Vokal "O" reizt unwillkürlich zum Schmunzeln.Wenn Worte zu Lauten werden

Ebenso wie das Gedicht "Schmerz durch Reibung" aus dem einzigen Wort "frau", das sich nach und nach in die beiden Laute "fr" und "au" auflöst, die pro Zeile bis zu achtmal wiederholt werden. In Plums meisterhafter Rezitation und der Erklärung von Anne Uhrmacher wird deutlich, wo der Reiz dieses scheinbaren Unsinns liegt: Hier wird lautmalerisch mit den Assoziationen der Zuhörer gespielt. "Frau" impliziert Geschlechterbeziehung. Reibung, die im Laut "fr" hörbar ist und in der Silbe "au" eine schmerzhafte Bedeutung erfährt. Als "zielgerichtet" hat der im Jahr 1925 in Wien geborene und 2000 dort gestorbene Dichter Ernst Jandl seine Texte verstanden, als Grenzerweiterung und literarisches Gegenstück zu Zwölftonmusik oder ungegenständlicher Malerei. Tatsächlich, so führt Uhrmacher aus, gebe es Parallelen zur Zwölftontechnik. Jandl entziehe den als richtig empfundenen Zusammenhang und entwickele neue formbildende Kräfte durch Veränderungen der Buchstabenwertigkeit mit Kleinschreibung und Vervielfältigung. Als "Entstellung, Missbildung, Auswahl, Umformung, Amputation und Transplantation" hat Jandl selbst seinen alle Normen sprengenden Umgang mit Sprache bezeichnet. Dieser, so Uhrmacher, erfreue sich, obwohl als avantgardistische und skandalumwitterte Sprachrevolution aufgefasst, größter Popularität, sogar bei Schulkindern. Denn Jandls Gedichte stimmten durch Witz, Humor, Parodie und Ironie heiter."Nöhmen sö söch eune tass"

Rezitator Bruno Plum führt das trefflich vor Augen, beispielsweise mit seiner Interpretation von "die tassen", einem Gedicht aus stumpf wiederholten Floskeln: "nöhmen sö söch eune tass". Hier wird der Versuch gewöhnlicher Leute parodiert, durch affektiertes Parlieren Vornehmheit zu signalisieren, was jedoch in pure Lächerlichkeit ausartet. Im Laufe des Vortrags- und Rezitationabends stellen sich die Ohren auf die ungewöhnliche Kost ein, werden hellhörig für die entlarvende Spitzfindigkeit von Jandls Sprache. Die zeigt ihre Meisterschaft im Gedicht "wien: heldenplatz", das mit 28 neu erfundenen Wörtern klar verständlich die Massenhysterie einer Nazifeier zum "Anschluss" Österreichs an Deutschland wiedergibt. Mehr noch, sie in Sätzen wie: "und den weibern ward so pfingstig ums heil / zumahn: wenn ein knie-ender sie hirschelte" als obszönes Zerrbild zeichnet. Spätestens jetzt hat sich in der Schweicher Synagoge Interesse zu Faszination und Begeisterung gesteigert, wie der brandende Applaus des Publikums zeigt.

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