Peter Pan und die Wirklichkeit

TRIER-NORD. "In meinem Leben gab es immer wieder Katastrophen", sagt der 150-Kilo-Künstler Helmut Rach. Nachdem er vor 18 Jahren als Astrid-Lindgren-Experte beim "Großen Preis" von Wim Thölke das Gründungskapital gewann, stand er selbstständig mit seinem Kaspertheater auf den Brettern, die ihm die Welt bedeuten. Doch gegen die Wirklichkeit kommt er nicht an.

Der Vorhang öffnet sich: Zwei Stiegen hoch neben dem "Lieben Augustiner" über der Wohnung von Helmut Rachs Mutter steht ein Karree vermummter Gestalten im Eingang Spalier: Momo, die Schneekönigin, Hänsel, Gretel und die Hexe… Der Puppenspieler weiß selbst nicht genau, in welchem durchschimmernden Plastikbeutel wer seiner 130 Freunde gerade steckt. "Am liebsten ist mir der Hanswurst", sagt Rach nach langer Denkpause, "weil der meine Stücke alle verbindet." Exakt 20 Bühnengeschichten hat der große, schwere Mann mit dem wilden Rauschebart über den weichen Gesichtszügen hier oben in seinem einsamen Reich schon geschrieben. Dazu noch vier Romane - die jedoch bisher keiner verlegen wollte. Im Wohn- und Arbeitszimmer lagert Rachs Wahrheit. Schrankwände, Bords, Tisch, selbst Teile des Bodens sind überladen mit Büchern: Kruse, Schiller, Ende liegen da und - "natürlich" - Harry Potter. Alle habe er gelesen, sagt Rach, "und mehr als einmal".Griff nach dem Leben

Mit den für einen Mann seines Kalibers ungewöhnlich kleinen, weichen Händen fasst er vom "speziell stabil gebauten" Sessel neben sich zu Shakespeare: "Hinein ins volle Menschenleben." Danach habe er immer greifen wollen, nach seiner Art - auf der Bühne eben. "Mein Leben ist Lesen. Das Theater ist für mich die Tür zur Gesellschaft", sagt Rach und beginnt, seine Pfeife zu stopfen. Zum 26. Geburtstag wurde Rachs Traum vom eigenen Phantasiereich mit der Premiere von "Mio mein Mio" auf selbst gezimmerten Brettern, mit selbst geschnitzten Figuren, mit eigenen Texten und Kostümen wahr. "Es war wohl ein blauäugiger Plan, Kindern mit meinem Marionettentheater die Tür ins Reich der Phantasie aufstoßen zu wollen", sagt Rach und schaut traurig zu Boden. Seit diesem Jahr ist der selbstständige Puppenspieler mit den "wenigstens 30 Berufen vom Bildhauer, Maler, Schnitzer, Maskenbildner, Perückenmacher bis zum Designer und Tontechniker" wieder arbeitslos: "Die Bühne kann sich nicht tragen, ist wieder Hobby geworden", sagt Rach bedauernd. Don Juan, Doktor Faustus, das Passionsspiel, sein schwieriges Lieblingskind Momo - immer wieder standen sie vor leeren Sälen. Rachs Blick weicht aus. "Bombengranatenelementenblitzblotzdonnerwettersabbermentnochmal" flucht der ausgebildete Kaufmann "wie Bilbo" aus der Augsburger Puppenkiste: "Ich kann einfach nicht verkaufen."Leuchtende Augen, wippender Zeh

Leicht ächzend hebt er sich mit einem Ruck hoch zum blauen und silbernen Lametta, das als Wasser irgendwann über ein selbstständig drehendes Mühlrad auf seiner Bühne fließen soll, und denkt laut an sein Traumstück Peter Pan. Rachs Augen beginnen hinter den großen Brillengläsern zu leuchten. Er wippt mit dem nackten großen Zeh. Peter Pan, das Kind, das nie erwachsen werden will - ob das Helmut Rach sei? Ernst antwortet der Mann, der "am gleichen Tag wie Heinz Ehrhardt Geburtstag" hat, mit Erich Kästner: "Nur wer erwachsen wird und trotzdem ein Kind bleibt, ist wirklich ein Mensch." Endlich zündet er schmauchend die alte Pfeife an. Kontakt zum Puppenspieler, der auch auf Kinderfesten auftritt, unter der Telefonnummer 0651/23523.

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