Picknick und Protest

Ein Tag der Kontraste in Trier : morgens ein fast idyllisches Protest-Picknick auf dem Viehmarkt, nachmittags aufgeladene Stimmung bei der NPD-Kundgebung auf dem Simeonstiftplatz - und dazwischen eine volle Fußgängerzone, wo die Einkäufer und Touristen von den Ereignissen am Rande kaum etwas mitbekamen.

Trier. Schon morgens um zehn bevölkern gut zweihundert Menschen den Viehmarktplatz. Man sitzt auf Decken und Tüchern, es wird geklampft und getrommelt, die Atmosphäre erinnert an die Friedensbewegung Anfang der 80er Jahre - nur dass die meisten, die auf diese sympathische Weise ihre Abneigung gegen Rechtsradikale dokumentieren, damals noch gar nicht auf der Welt waren. Wenn die Parteien sonst vergeblich nach engagierten jungen Leuten Ausschau halten: Hier könnte man sie treffen.

OB Klaus Jensen zitiert Martin Niemöllers berühmtes Gedicht von dem Mann, der mangels eigener Betroffenheit nie protestierte, als die Nazis nacheinander die politisch Missliebigen, die Gewerkschafter und schließlich die Juden abholten. "Als sie mich abholten, war niemand mehr da, der protestieren konnte", endet der Text. Er könnte eine Art Leitmotiv des gesamten Tages werden.

Bundesvorsitzender findet kein Gehör



SPD, UBM und Grüne sind mit vielen Stadtrats-Köpfen vertreten, auch wenn der eine oder die andere sich mit der ungewöhnlichen Form des Sit-Ins etwas schwertut und lieber stehen bleibt. Vereinzelt trauen sich auch CDU'ler in die Runde, Bürgermeister Georg Bernarding schaut vorbei, Geschäftsführer Michael Merten trinkt einen Antifa-Kaffee am Juso-Stand. "Bei denen gibt's auch nicht nur Betonköpfe", sagt eine junge Frau anerkennend.

Schauspieler vom Theater sind gekommen, diskutieren engagiert den Umgang mit Rechtsradikalen, einige Aktivisten basteln Transparente für nachmittags. Gewerkschaftsfahnen von Verdi und der GEW flattern im Wind. Als sich die Veranstaltung nach dreieinhalb Stunden auflöst, ist der Platz so sauber, als sei die Stadtreinigung schon da gewesen.

Unterdessen hat die Polizei den Simeonstiftplatz großflächig abgesperrt, die Bushaltestellen verlegt und etliche Fahrzeuge samt mehreren Hundertschaften in Stellung gebracht. Aber die NPD lässt auf sich warten. Mehr als eine Stunde braten die Gegendemonstranten und die in dicke Sicherheits-Uniformen verpackten Polizisten in der Sonne, bevor sich die kleine Schar der Kundgebungsteilnehmer vor einem Lautsprecherfahrzeug versammelt.

Erster Redner ist der Trierer NPD-Chef Safet Babic, der sich dem Pfeifkonzert und den "Nazis raus!"-Rufen der zahlenmäßig um den Faktor 30 überlegenen Gegendemonstranten fast genüsslich stellt. Der Bosnier schimpft über die "Integration wesensfremder Ausländer in Trier", schimpft auf "Scheinasylanten" und "Arbeiterverräter" und lobt unter Bezug auf die nahe Porta Nigra den "erfolgreichen germanischen Befreiungskampf gegen die römischen Besatzer". Was immer er ins Mikrofon schreit: Die Gegner können es ohnehin nicht verstehen, und das kleine Fähnlein der eigenen Leute reagiert kaum darauf. Um die Reihen fest zu schließen, sind es ohnehin zu wenige.

Gegendemonstranten beweisen Ausdauer



Auch die Rede des NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt findet allenfalls bei den Journalisten und der Einsatzleitung mit Polizeipräsident Manfred Bitter an der Spitze akustisches Gehör. Voigt setzt auf soziale Themen, fordert das Verbot der Spekulation, empfiehlt gar Babic als "antikapitalistischen Kämpfer" für den Stadtrat - die Rechten setzen offenkundig auf die Krisen-Verlierer als Zielpublikum. Mit Logik hat das wenig zu tun. Voigt schimpft auf die Abwrack-Prämie für nicht-deutsche Autos - sein Lautsprecher-Wagen ist ein Hyundai mit Zwickauer Kennzeichen. Dann erzählt er von blonden deutschen Mädchen, die sich nicht mehr in die U-Bahn trauen. "Ihr seid nur ein Karnevalsverein", tönt es von den Gegendemonstranten zurück. Deren Ausdauer erweist sich als größer als die der Mikrofonbatterien. Logistik scheint nicht die Stärke der "knallharten nationalrevolutionären Opposition" zu sein, die Babic zum Schluss noch einmal beschwört.

Am Ende fliegen ein paar wassergefüllte Plastikbeutel auf den Platz - sie landen in der Nähe der Pressevertreter. Um 16.45 Uhr ist der Spuk zu Ende.

Meinung

Ein guter Tag für Trier

Es war ein guter Tag für Trier. Es gab keine Gewalt, keine Krawalle. Die NPD als zugelassene Partei konnte - was eine Demokratie aushalten muss - ihr Recht auf Demonstration wahrnehmen. Und die Gegner waren nicht nur zahlenmäßig derart überlegen, dass sie die Kundgebung in ihr Gegenteil verkehrten: in eine kraftvolle Manifestation gegen die Rechtsradikalen. Mancher, der das traurige NPD-Häuflein aus dem Bus aussteigen sah, hat sich gefragt, ob sich dafür der Protest-Aufwand überhaupt lohnt, ob man nicht die Rechten eher aufwertet. Die Frage ist berechtigt, greift aber zu kurz. Es geht darum, dass eine Stadt wie Trier, die gerne ihre Weltoffenheit betont, nicht zulassen darf, dass auf ihren Straßen und Plätzen öffentlich - unwidersprochen durch die Bürgerschaft - rassistische, menschenverachtende Parolen verbreitet werden. Egal, ob von 30 oder 3000 Unverbesserlichen. Wo soll man die Grenze ziehen, ab wann sich Gegenwehr "lohnt"? Wenn beim nächsten Mal zehn Mal so viele Rechtsradikale kommen? Die Gegendemonstranten haben gezeigt, wo Schluss sein muss mit dem Wegsehen. Und wo man sich hinter Mitbürger stellen muss, die beleidigt und bedroht werden. Die Trierer sollten ihnen dafür dankbar sein. Schade, dass anderen ihre politische Abgrenzungsstrategie oder ihr gepflegter Individualismus wichtiger war als die Chance, diese Basis der Gemeinsamkeit zu verbreitern. Nächsten Freitag wäre eine Gelegenheit, das Versäumte nachzuholen. d.lintz@volksfreund.de

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