Kurzgeschichte Wenn Amors Pfeil sehr tief fliegt

Autor Bernhard Hoffmann aus Korlingen (Landkreis Trier-Saarburg) erzählt eine neue Geschichte vom Pitter aus dem 18. Jahr­hundert. Diesmal geht es um die Liebe.

 Es gibt zwei schüchterne Verliebte, die sich vom Weg zur Kirche kennen.

Es gibt zwei schüchterne Verliebte, die sich vom Weg zur Kirche kennen.

Foto: Christina Bublitz

Alle sahen es und wussten es, und Klatsch und Tratsch machen ja am meisten Spaß. Bloß: Es ging einfach nicht voran mit den beiden. Sonntags in der Kirche, da sah man die heimlichen Blicke vom Anton hinüber zu einer Bank auf der Frauenseite und wusste, warum die Marie immer nur ganz gerade nach vorne schaute. Es war zu köstlich, zuweilen vergaß man sogar die Predigt.

Aber es ging eben nicht voran mit dem Anton aus Irsch und der Marie aus Korlingen. Jedenfalls belebte es den Gottesdienst­besuch. Die Korlinger gingen nämlich zur Kirche über den Berg nach Irsch. Da hatten die beiden sich gesehen – autsch! Und da hatte es gefunkt, so heftig, wie das eben manchmal geht. Und nach der Messe hielt man sich ach so gerne vor der Kirche auf und genoss, dass der Anton jede Woche ganz zufällig einen Schritt näher hinter der Marie herging.

Da erbarmte sich der Pitter und nötigte dem Anton jedes Mal ein Gespräch auf, damit er ein paar Hundert Meter weiter mitlaufen konnte. Die beiden freundeten sich sogar an, wobei das Gespräch relativ einseitig war. Denn der Anton machte höchstens „Ach so“, „Ja ja“, „So so“ und „Hmm“ und hatte nur Augen – na, für wen wohl? Dann kam er zum Pitter nach Korlingen, um mit ihm zu reden. Worüber? Tja, über einen Stiel vom Beil und einen Schleifstein und die Vorzüge der neuen Gürtelschnallen und so wichtige Sachen. Komisch, da lief die Marie über den Hof: zu den Hühnern und von den Hühnern, in den Stall und aus dem Stall und in den Garten und so weiter. Aber die sah den Anton gar nicht, überhaupt nicht, und hörte ihn auch gar nicht. Das lag aber daran, dass der Anton immer vergaß, was er sagen wollte und scharf überlegen musste.

Da wurde es dem Pitter zu bunt. So viel Blödheit beim Anton und so viel Salz im Kuchen und Zucker in der Suppe bei seiner kleinen Schwester gingen ihm gehörig auf den Geist. Als nun der Anton eines Tages wiederkam, war er vorbereitet. „Marie, komm schnell!“, schrie er. „Das Kalb ist ausgebüxt. Anton, rasch, hilf!“ Und der Anton lief hinter dem Pitter her, und die Marie flugs aus dem Haus. An den Kaninchen vorbei, hinter der Scheune entlang, von dort zwischen Holzschuppen und Stall zurück. Rumms! Da fällt der Anton der Länge nach hin. Er rappelt sich gerade auf und dreht sich um, um nach der Ursache zu suchen, als – hui! – die Marie auf ihn drauffliegt, der Länge nach. Ob es ein ur­zeitlicher Beutegriff oder beherztes Ausnutzen der Lage ist, jedenfalls umklammert der Anton die Marie mit beiden Händen. Und ob es schreckhaftes Erstarren oder eine sozusagen raffinierte List der Marie ist – wer weiß das? Jedenfalls bleiben beide so liegen und starren sich an. So kann der Pitter heimlich die Schlaufe des Seils am Schuppen lösen und zieht es unbemerkt von der anderen Seite in die Scheune zurück. Natürlich war er darüber­gesprungen, wo es die beiden umgerissen hat. Pitter, Pitter! – Die beiden sitzen nebeneinander da und fragen sich, ob es wehtut und wo und fassen sich an Kopf und Ohren, Arme und Hände. Und der Anton streicht der Marie über die Haare und die Marie dem Anton über die Stirn, wie man das bei kleinen Kindern macht.

 Die Verliebten stolpern über ein Seil.

Die Verliebten stolpern über ein Seil.

Foto: Christina Bublitz

Dann – na, das war schon eine ganze Weile später – begleitete die Marie den Anton den halben Weg. Die Wiesen waren so grün und die Felder so gelb und der Himmel so blau – so war es noch nie gewesen, ehrlich. Und der Anton hörte zum allerersten Mal, dass die Vöglein so wunderbar singen. Gott, wie schön das alles war. Oben angekommen auf der Korlinger Höhe, verabschiedeten sie sich und gaben sich voller Inbrunst – die Hände. Und der Anton sagte zu Marie: „Marie!“ Das ist zwar nur ein Wort, aber übersetzt heißt das: „Liebes, Liebstes, Allerliebstes, ich liebe dich jetzt und immerdar, willst du meine Frau werden?“ Das verstand die Marie natürlich und antwortete: „Anton!“ Und das verstand der natürlich auch.

So rannten sie nach Hause, die Marie mit fliegenden Röcken und rasendem Herzen, der Anton ein Kinderlied singend, von Bienchen, summ, summ, summ. Jedenfalls waren die beiden bald danach verheiratet, und die Marie zog zum Weinbauern Anton nach Irsch. Verrückt, was Amors Seil so anstiften kann.

24 Pitter-Geschichten von Bernhard Hoffmann sind als Buch erschienen: „Der Pitter – Korlinger Geschichten I“, 140 Seiten mit 50 farbigen Illustrationen von Christina Bublitz, 18,90 Euro, Infos per E-Mail an hoffmann1530@aol.com oder im Buchhandel, ISBN: 9783755778547.

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