Kurzgeschichte Vom Pitter und dem Korlinger Wasser
Autor Bernhard Hoffmann aus Korlingen (Landkreis Trier-Saarburg) erzählt eine neue Geschichte vom Pitter aus dem frühen 19. Jahrhundert. Diesmal geht es um eine Quelle.
Da war plötzlich so ein Gerücht im Dorf, und alle glaubten es. Das kann schnell gehen mit dem Glauben, entweder wenn es ernst wird oder wenn es jemandem nützt. Sogar von Irsch kamen sie oder von Filsch: Da war nämlich eine Heilquelle oberhalb der Wacken entdeckt worden, von wem bloß? Denn das Wasser hatte der Pitter schon in so manchem Winter hervortreten gesehen. Und jetzt war das eine „wundertätige“ Heilquelle.
So kamen also die Menschen mit den Augenleiden, dem harten Husten, dem Ischias und Zipperlein, dem Kreuzweh, Bauchweh und was es sonst noch so gibt. Denn so genau wusste das natürlich keiner, wofür oder wogegen das Wasser helfen sollte. „Wir gehen ins Mittelalter zurück“, schimpfte der Pitter bei seiner Frau Katharina. Aber die meinte, man solle die Menschen tun lassen, was sie wollten. Der Glaube versetze Berge, sage der Herr Pfarrer. Ja, Herrgott, aber anstatt zum Arzt zu gehen, saufe man jetzt schmutziges Regenwasser. Das sei vielleicht der schnellste Weg in den Tod.
Die Sache nahm einigen Aufschwung, die Menschen kamen und füllten das Wasser flaschenweise ab, das Korlinger Wasser wurde berühmt, kann ich euch sagen, bis zur Mosel herab. Am blödesten waren die, die lästerten und lachten – und nachts sah man sie mit vollen Flaschen heimkommen.
Am schlimmsten aber trieb es die eine aus dem Dorf, die beim ersten Vollmond nach der Wintersonnenwende abgefüllte Flaschen für teures Geld verkaufte. Die seien dreifach wirksamer. Sogar eine Prozession pilgerte den Berg hinauf.
Da könnt ihr euch vorstellen, dass dem Pitter der Kragen platzte. Er ging zum Pfarrer, der solle den Unsinn unterbinden.
Pitter: Schon 1784 habe Kurfürst Wenzeslaus solcherlei religiöse Missbräuche verbieten lassen. Und die Franzosen wären wohl kaum entzückt, wenn sie von dieser unvernünftigen Heilerei zu hören bekämen.
Pfarrer: Na, deren „Tempel der Vernunft“, die jetzt die Kirchen ersetzen sollten, würden den Menschen auch nicht helfen. Ohne den Glauben wäre der Mensch wie ein hilfloses Stöcklein auf dem Wasser.
Pitter: Aber die Medizin sei ein Gottesgeschenk und könne besser heilen als Grundwasser, das im Winter den Berg herunterlaufe.
Pfarrer: Der Mensch brauche etwas zum Festhalten.
Pitter: Kurpfuscherei sei das, Geldmacherei und Betrug dazu.
„Pitter, die Wege des Herrn sind unerforschlich“, sagt der Pfarrer. Der Pitter schaut ihn nur lange an, dreht sich um und geht.
„Da lebt man im 19. Jahrhundert, die Pest ist besiegt, und die Kaiserin Maria-Theresia hat die gesamte Bevölkerung mit Medizin gegen die Pocken impfen lassen, und die Scharlatanerie geht immer so fort“, schimpfte er beim Nikla. Die Alte verdiene sich dumm und dusselig. Jetzt habe sie sogar besondere braune Flaschen, so kleine medizinische wie in der Apotheke, sagte der.
Aber eines Morgens, als der Pitter sehr früh aufgestanden ist, um nach Trier zu gehen, hört er von weitem das Klicken von Flaschen. Mit einem Handwagen sieht er die eine kommen: „Aha, wieder Regenwasser abgefüllt?“ – „Was geht’s dich an?“ – „Heute Nacht war aber kein Vollmond.“ – „Das ist auch anderes Wasser.“ – „So?“ – „Für ärmere Leute, die Arznei ist billiger.“ Und jetzt passt auf, denn der Pitter kriegt sie dran: „Arznei, so, so!
Und gleichermaßen wirksam?“ – „Natürlich nicht.“ – „Klar, sind ja keine Vollmondernten“, sagt der Pitter und lacht. „Aber sie wirken wundertätig“, keift die Alte.
„Bloß, dass man mehr kaufen muss, wenn man geheilt werden will, stimmt’s?“ – „Wie? Was? Warum?“ Das versteht sie nicht, und der Pitter lässt sie stehen und geht kopfschüttelnd davon.
Na, da geht er nach Trier und dann wieder zurück den Filscher Berg hoch. Und da hat er sie schon, die Idee, wie der das Handwerk zu legen ist. Mit dem Nikla geht er noch vor Morgengrauen zur „wundertätigen Quelle“, lauter Kerzen und Votivtäfelchen stehen da. Und jetzt graben sie 200 Meter über dem Ausfluss Gräben nach links und nach rechts ins Feld. Wie die Äste eines Baumes sieht das aus. Das hat er im „Nutzbringenden Rathgeber für den churtrierischen Landmann“ gelesen, wenn es um die Entwässerung von Feldern geht. Und so verläuft sich die scheinbare Quelle – da hat der Pitter kein bisschen ein schlechtes Gewissen. Denn dann wird das nichts mehr mit der Quacksalberei und dem unverschämten Profit der einen im Dorf. Und die Leute gehen zum Arzt, statt unreines Wasser zu trinken. Ach je, wie sie schreien und zetern und klagen. Jetzt ist die Quelle versiegt! Der Herr will sie strafen! – Tja, die Wege des Herrn sind unerforschlich.
Anmerkung: Seit dem Jahr 1794 haben die Franzosen Trier und das linksrheinische Gebiet besetzt. Trier wird damals Hauptstadt des Saardepartements.
24 der Pitter-Geschichten von Bernhard Hoffmann sind als Buch erschienen: „Der Pitter. Korlinger Geschichten I“, 140 Seiten mit 50 farbigen Illustrationen von Christina Bublitz, 18,90 Euro, Infos per E-Mail an hoffmann1530@aol.com – auch erhältlich im Buchhandel, ISBN: 9783755778547.