Kurzgeschichte Der Kartoffelkrieg

Autor Bernhard Hoffmann aus Korlingen (Landkreis Trier-Saarburg) erzählt eine neue Geschichte vom Pitter aus dem 18. Jahrhundert. Diesmal geht es um ein Lebensmittel.

   

 

Foto: Christina Bublitz

Der Pitter hatte von einem fahrenden Händler einen kleinen Sack einer selt­samen Knolle geschenkt bekommen. Das war vor einem Jahr gewesen. Dann hatte er sie im Garten gepflanzt, die unterirdischen Knollen geerntet, die Katharina hatte sie gekocht. Alles, wie ihnen der Mann gesagt hatte.

Und jetzt saßen sie abends am Tisch und aßen – heimlich, nur sie beide spät abends in der Küche. Denn alle hatten den Pitter wegen dem verschenkten Platz im Garten und dem funzeligen Kraut ausgelacht. Das schmeckte nämlich nach nichts, und eine aus dem Dorf hatte es schwer in den Magen bekommen, weil sie nachts einige Hände voll gestohlen und gegessen hatte.

Hmm, wie die beiden sich den Schmelz der gebutterten Erdfrucht auf der Zunge vergehen ließen, wie sie jede einzelne der dampfenden Grundbirnen, wie sie hießen, zerlegten und zelebrierten, auf dem Messer zum Mund. Die Katharina schloss sogar die Augen, weil es gleich so warm im Magen wurde wie bei einem guten Stück Fleisch. Hu, und noch eine zerteilt und noch eine – da waren sie alle.

Pitter, mehr davon, Pitter, die Knolle ist Gold wert, Pitter, wann kommt der Mann wieder? Na, ein bisschen viel verlangt vom Pitter, zaubern kann er nicht. Aber zum Glück kommt der Händler gerade rechtzeitig vor der Pflanzzeit, und der Pitter will jetzt einen ganzen Sack. Der Mann nimmt eine heraus und meint, jede sei einen Taler wert. Das sei doch – ruft der Pitter entsetzt. Ja, sagt der Mensch, man bezahle ihn sogar mit Gold. Was er denn anzubieten habe? Pitter rechnet, will drei Taler geben, und das ist eine Menge. Mehr! Fünf Taler. Mehr, 15 Taler, sagt der Unverfrorene. Damit könne er ja ein ganzes Feld Roggen bestellen, sagt der Pitter, Wucher sei das, er solle sich schleichen. Die Frucht hält sich den ganzen Winter, Pitter, ich will dein Gewehr. Herrje, woher wusste der Mensch, dass der Pitter das beste Gewehr im Dorf hatte, beim Preisschießen der Stadt Trier gewonnen? So ein kostbares Stück, das konnte man doch nicht einfach weggeben. Schützenkönig oder satt werden, Pitter?

Und dann überlegte Pitter, wo er sie am besten pflanzen sollte. Natürlich auf dem Brachland. Zu viel durfte er nicht abzweigen wegen dem Futter. Aber für ein halbes Feld reichten seine Knollen schon hin. Das Pferd Hug zog die Furchen, dann legte er sie hinein. Ob die ausländischen Krümmel nicht den Acker verdürben, fragte man ihn. Ob er nicht einem Schelm aufgesessen sei, lachte man ihn aus. Was hätte er denn bezahlt für den welschen Betrug? Da standen sie herum und schauten misstrauisch auf die kleinen gelben Äpfelchen.

Aber dann, im August, zog er zum Erstaunen der Bauern dicke Knollen aus der Erde, schüttelte den Grund ab und zeigte sie ihnen. Herrgott, konnte das nicht Teufelsbrut sein, so seltsam geformt, so unförmig, Nasen, Augen, die einen anblickten, grausliches Zeugs.

Na, die Katharina sah die Kerle auch kritisch an, arg dick waren sie – und wie klein war doch die Saat gewesen. Gut, erst mal waschen. Oha, recht appetitlich! Man muss sie schälen, sagte sie. Schälen, wie ein Apfel?, fragte der Pitter, die essen wir doch auch mit den Schalen. Aber sie hatte im „Almanach für die gute Hausfrau“ von 1774 gelesen, was es mit der sogenannten Kartoffel auf sich hatte. Pitter nahm das Kneipchen* und schnitt dicke Scheiben rundum ab. Bist du des Teufels?, rief sie, als sie das Wasser aufsetzte und Holz nachlegte, ganz fein! Aha, ganz fein. Und die Schalen sind für die Schweine, gekocht.

Lassen wir jetzt die Katharina erst mal probieren. Sie schickte jedenfalls den Pitter aus der Küche, schälte selbst und kochte. Und nachdem sie das mit dem Kochen probiert hatte, zauberte sie nach einer Suppe Gestampfte, mit Milch und Sahne, da aßen die Kinder glatt das Doppelte. Dann gebratene Stifte mit schönen Krüstchen, dann Geriebene. Ja, tatsächlich, die Katharina hat in Korlingen die Grumbierschnietscher** erfunden, indem sie Mehl und Ei ins Geriebene tat und so flache Tellerchen ins Fett legte. Und die schmeckten allen, eieiei!

So weit der gute Teil unserer Geschichte. Denn dann kam eines Tages der von der Abtei bestellte Kaplan von Irsch, Pater Antonius Sonnier, über den Berg. Man hätte ihm zugetragen, der Pitter habe Grundbirnen geerntet. Ja und? – Da sei der Zehnte fällig. – Wie das, das sei Brachland. – Egal. – Aber vom Brachland hätten sie noch nie den Zehnten gegeben. – Bei Früchten schon. – Sie könnten natürlich von dem Kraut den Zehnten haben, das liege noch da. – Mensch, willst du dich widersetzen?, schrie der Kaplan. So musste der Pitter nach Irsch zwei ganze Zentnersäcke fahren. Was hatte der eine Wut im Bauch. Über den Berg hoch zurück überlegte er. Und zu Hause wusste er schon eine Lösung fürs nächste Jahr. Er pflanzte genau in die Mitte eines Gerstenfelds seine Kartoffeln. Die Nachbarn, die inzwischen von seinen Kartoffeln probiert hatten, halfen mit und freuten sich diebisch auf die zu erwartende Ernte, von der sie etwas abbekommen sollten.

 Ein Zehntel seiner Ernte und zusätzlich ein Kalb musste der Pitter  an die Abtei St. Martin abgeben.

Ein Zehntel seiner Ernte und zusätzlich ein Kalb musste der Pitter an die Abtei St. Martin abgeben.

Foto: Christina Bublitz

Aber der Pater Sonnier kam schon weit vor der Ernte, als die Halme noch niedrig waren, und sah das Grün mitten im Feld. Du wirst vors Gericht kommen, Pitter. – Aber, Hochwürden, es ist Gründüngung, gerade da ist der Boden ausgelaugt. – Pitter, treib’s nicht zu weit. Im August ist der Zehnte in Irsch, Amen! – Amen, grummelte der Pitter und biss auf die Zähne, um dem Kaplan keinen Fluch nachzuschicken. Also fünf Zentnersäcke mit dem Johann nach Irsch gebracht, Wut im Bauch, den Berg hoch – und da hatte er schon wieder eine Idee.

Im nächsten Frühjahr pflanzte er seine Kartoffeln, und mit ihm alle Nachbarn gleichfalls, um die Felder als Grünstreifen. Sie warteten schon auf den Kaplan. Der aber sagte nichts. Nur drei Tage später war der Pitter als Vertreter der Gemeinde nach Irsch geladen. Der Abt Le­jeune erwartete ihn, es wurde Gericht gehalten.

Das grüne Zeug hätte so schöne weiße Blüten, es sei ein Schmuck. – Pitter, sagte der Abt nur. Die Früchte seien doch unter der Erde und gehörten somit niemandem. – Pitter, sagte der Abt etwas lauter, auch Rüben sind unter der Erde. – Sie seien arm genug und das Kloster … – Pitter, Pitter, sagte der Abt und schüttelte den Kopf, es ist nur der Zehnte. – Aber … – Nichts aber, und zusätzlich gebt ihr ein Kalb als Strafe. Und noch ein Wort, und du sitzt im Karzer.

Und so mussten die Korlinger auch von ihren heißgeliebten Kartoffeln fortan den Zehnten ab­geben. Was sie nicht besonders traf, denn Kartoffeln gab’s genug. Aber es wurmte sie schon, dass die reiche Abtei St. Martin noch ein bisschen reicher wurde.

* ein kleines Küchenmesser

** Reibekuchen

24 der Pitter-Geschichten erscheinen im Januar mit Illustrationen als Buch. Infos per E-Mail an hoffmann1530@aol.com

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