Kurzgeschichte Ein gefährlicher Gast im Dorf

Korlingen · Autor Bernhard Hoff­mann aus Korlingen (Landkreis Trier-Saarburg) erzählt eine neue Geschichte vom Pitter aus dem späten 18. Jahr­­hundert. Diesmal geht es um den Schinderhannes.

Zur Strafe muss Hannes den Bauern bei der Feldarbeit helfen.

Zur Strafe muss Hannes den Bauern bei der Feldarbeit helfen.

Foto: Christina Bublitz

Es rumpelt in der Küche, hört mal! Da ist etwas gefallen, ganz dumpf, dann klirren Gläser. Der Pitter steht an der Haustür, zieht die Stiefel nicht aus, geht hinein. Ach, das ist jetzt eine hässliche Geschichte. Denn da steht einer in der offenen Tür zur Speisekammer, den gefüllten Sack geschultert, zerzaustes Haar, ein schwarzer Bart, kleine Augen wie ein Bär, riesengroß! Und jetzt, Pitter? Mutig geht er voran, auf den Kerl los – aber das ist vergebliche Mühe, denn der schubst den Pitter zur Seite wie einen Feder­kiel. Der Pitter brüllt um Hilfe und ist wieder aufgestanden. Schon ist der Mensch da raus. Aber weiter als bis in den Hof kommt er nicht: Da stehen der Nikla und der Johann. Die wollen ihn halten – hach, einen solchen Riesen halten! Der geht einfach weiter, schüttelt sich nur. Aber da hat er nicht mit dem Pitter gerechnet: Der springt ihm jetzt von hinten auf den Rücken und klammert sich an ihn wie eine Klette. Da kann der Mensch sich dehnen und strecken, biegen und beugen, der Pitter hält fest.

Da kommt der Johann. Der dreht ihm die Hand auf den Rücken und hält sie fest. Da rennt der Niklas herbei, der hat einen Strick in der Hand und windet ihn um sein Handgelenk. Da lässt sich der Pitter fallen und greift das andere Handgelenk – und jetzt ist es vorbei, denn der Johann bindet ihn. Aber, Teufel noch mal, wie bei den Katzen, der hat sieben Leben: Man muss ihn überall fesseln, denn er schleudert die Korlinger immer noch mit seinem gewaltigen Körper zur Seite. Da kommt die Katharina um die Ecke und schreit. Tja, da blickt er kurz auf, einen Augenblick zu lang. Denn jetzt binden ihn der Johann und der Pitter endgültig auch an den Füßen.

Der Nikla muss sich setzen, der Johann kann nicht mehr sprechen, dem Pitter schwankt der Boden unter den Füßen. Aber der Kerl liegt gefesselt am Boden, blickt sie mit Augen voll Hass an – und bespuckt sie noch. Was nun? Den Gendar­men übergeben, war ihr erster Gedanke. Sie stellen ihn auf, verlängern die Fußfesseln: „Marsch, los geht’s!“ – „Wohin?“ – „Zur Wache.“ – „Nein, um Gottes Willen nicht“, schreit er. So einer ruft Gott an? Der Pitter klatscht ihm aufs Hinterhaupt. „Tut das nicht, ich bin der Schinderhannes! Ich brauche nur meine Mannen zu rufen …“ Au weh, da stockt der Zug. „Du bist doch der, der den Niklas Rauschenberger erschlagen hat“, sagt der Johann. „Er hat es verdient, ein Räuber und Leuteschinder“, erwidert der Fremde barsch. „Ein Mensch, immer noch“, sagt der Pitter. „Hört her, ich bin aus dem Gefängnis­turm in Simmern geflohen, ich allein habe zwölf Franzosen erledigt. Sie wollten mir den Hals rasieren, sie haben so eine schneidige Maschine dazu … Wenn ihr Franzosenfreunde seid, dann los, ich habe keine Angst!“ Na, als Franzosenfreunde bezeichnet zu werden, das musste erst mal verdaut werden. Zwar waren sie freie Bauern geworden unter dem Napoleon, die Klosterherrschaft war vorbei. Doch die andern, das waren die Besatzer. Und auch sie regierten und verlangten Steuern.

Da sperrten sie den Räuber erst mal ein, und alle im Dorf beratschlagten. Der eine hatte Schlechtes vom Schinderhannes gehört, ein anderer Gutes und wusste seinen Namen: Johannes Bückler. Vieh habe er gestohlen, sagten die einen; er kämpfe gegen die Obrigkeit, also gegen die Besatzer, die andern. Er gebe von der Beute den Tagelöhnern ab – ach was, er saufe bloß mit ihnen und gebe einen aus.

Zuletzt war das Bild mehr schlecht als recht, aber ihn den Franzosen zu überlassen mit ihrem Mordwerkzeug, das wollte dann doch keiner. „Er soll erst mal bleiben und bei der Ernte helfen“, sagte der Pitter, „und dann sich davonmachen.“

 Hannes baggert die Korlinger Frauen an und muss das Dorf verlassen.

Hannes baggert die Korlinger Frauen an und muss das Dorf verlassen.

Foto: Christina Bublitz

So kam es, dass der gefürchtete Schinderhannes 1799 in Korlingen frei herumlief. Dabei war er freundlich, vor allem bei den Frauen ein Kavalier. Und wenn er abends von seinen Groß­taten prahlte und witzig erzählte, war die Küche beim Pitter voll: „Wer meinen Namen hört, läuft weg! – Gegen eine ganze Armee haben wir gekämpft und gewonnen! – Einmal habe ich einen Ochsen gehoben, in die Luft, so hoch! – Die Franzosen haben mehr Angst vor mir als vor einer ganzen Kompanie Preußen!“ – Na ja, nicht alles musste man glauben.

Und das ging einige Tage gut. Er schäkerte mit den Mädchen hier und da – aber mit der Regina besonders, auch heimlich. Und die achtete auf die zweideutigen Sprüche nicht wirklich, sondern fühlte sich geschmeichelt. Immerhin war der Hannes ein schneidiger Kerl. Wenn es so flötete aus seinem schön geschwungenen Mund, war sie wie verzaubert. Als der Hannes dann eindeutig und zudringlich wurde, lief sie weg – der Katharina vor die Füße, die den Braten lange gerochen hatte. Eine nächtliche Aussprache der Katharina mit dem Pitter, dann war es aus mit dem Schinderhannes in Korlingen. Am nächsten Mittag stehen sich der Pitter und der Hannes gegenüber: „Er muss gehen, sofort.“ – „Sonst?“ Da treten alle Männer des Dorfes hinter der Scheune hervor. „Such dir dein Liebchen anderswo!“ – „Ach, deswegen“, sagt der Hannes lachend. Aber da ist kein Pardon, die Männer haben Seile und Knüppel in den Händen. Blöd, wer da nicht kapiert, dass die Gendar­merie ruft. Also packt er seine Siebensachen, böse ist er nicht, er redet von seiner nächsten großen Tat, die schon geplant sei: „Berühmt werde ich einmal sein, ihr werdet von mir hören!“ Das Dorf wird er verschonen, zum Dank, er ist großzügig. Und er schreibt ihnen noch einen sogenannten „Freibrief“, gezeichnet Johannes Bückler, genannt der Schinderhannes. „Da können die Korlinger jetzt stolz sein“, sagt er. „Na danke“, sagt der Pitter anstandshalber – und zerreißt das Papier vor aller Augen, als der Mensch fort ist.

An einem nebligen Herbsttag des Jahres 1803 wird das Leben des Schinderhannes nach 54 Verhören in Mainz schließlich doch durch die Guillotine beendet.

Vom Autor sind 24 der Erzählungen als Buch erschienen: „Der Pitter – Korlinger Geschichten I“, 140 Seiten mit 50 farbigen Illustrationen von Christina Bublitz, 18,90 Euro, ISBN: 9783755778547.

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