Kurzgeschichte Vom Pitter, dem Pastor und dem süßen Wein

Autor Bernhard Hoffmann aus Korlingen (Landkreis Trier-Saarburg) erzählt eine neue Geschichte vom Pitter aus dem 18. Jahr­hundert. Diesmal geht es um einen Weinberg.

 Der Pfarrer setzt sich für den neuen Weinberg ein.

Der Pfarrer setzt sich für den neuen Weinberg ein.

Foto: Christina Bublitz

Selbst dem Pfarrer stieß der Wein sauer auf. Und nicht nur das, es schüttelte ihn derart, dass – aber lasst mich der Reihe nach erzählen: Felder, Wald und Wiesen umgaben Korlingen seit Jahrhunderten. Korn für die Mühle im Tal, Futter fürs Vieh, Obstbäume – Viez gab es reichlich – und Gemüse, alles baute man an.

Nur Wein gab es keinen. Den musste man kaufen: von den Irschern, den Filschern, den Wald­rachern, ja, sogar die Sommer­auer hatten ihren Weinberg neben der Burg. Wer konnte sich schon den Wein leisten, den man für teuer Geld kaufen musste.

Denn die Korlinger waren arme Bauern. So bekam man immer den schlechten, den sauren, wo das erste Glas einem ein Loch in den Magen riss - und das zweite es wieder zusammenzog. Ja, zu Hochzeiten und zum Leichenschmaus gab’s guten Wein. Aber bei den wenigen Einwohnern kamen Hochzeiten nur alle 20 Jahre vor, und die Zähigkeit der alten Korlinger bewahrte sie lange davor, mit den Füßen zuerst hinausgetragen zu werden und den Nachkommen Kosten zu ver­ursachen.

So sah also der Pitter Messe um Messe in der Kapelle, wie es den Pfarrer bei der Wandlung schüttelte. Und zwar so, wie er sich vorstellte, dass ein Blitz einschlug: Zuerst erschrickt die Baumkrone, dann beben die Äste, dann zittern die Blätter, und dann bricht alles zusammen. So ähnlich konnte er das beim Herrn Pfarrer beobachten. Über den ganzen Körper lief ein zitternder Krampf. Beim ersten Schluck ein kleiner und noch viel gründlicher beim letzten Austrinken. Manche hielten das für eine besondere Art der Ergriffenheit, aber der Pitter wusste es besser.

Denn den Pfarrer plagte ein saurer Magen. Die Grundherrschaft, das Kloster St. Martin in Trier, hatte die Wein­bereitung in Korlingen ver­boten. Wein hatten die da unten genug, die feinen Mönche in ihren kommoden Stuben, die guten Säfte von Mosel und Ruwer. Die Korlinger sollten Korn und Obst liefern, dazu Schiefer und Holz. Das wurmte sie und den Pitter besonders, dem sein eigener Kopf schon immer das Maß der Dinge war.

Na, da fasste er eben wieder mal einen Plan, um den Abt rumzukriegen. „Habe schon alles für die Messe vorbereitet, Hochwürden“, sagte er eines Sonntags und goss vor den erstarrenden Augen von Johann Jakob Stammel den Wein in das Glasgefäß. Er hielt die Flasche beim Eingießen besonders hoch, sodass die fast wasserklare Flüssigkeit die Gestalt des Priesters beben ließ, dessen Magen sich wieder mal verkrümelte. „Wir könnten anderen Wein machen, Hochwürden. Der Mann meiner Schwester hat Wein machen gelernt. Süße Weine, Hochwürden, nicht so ein saures Getränk wie dieses.“ Beim Wort „sauer“ schüttelte es Hochwürden schon wieder. „Sauer ist auch nicht gut“, fügte der Pitter hinzu. Und wieder das Schütteln. „Ich mag auch keine sauren.“ Und wieder. „Legen Sie ein Wort für unseren eigenen Weinberg beim Abt ein, für süßen Wein statt ...“ Naja, jetzt reichte es.

So ging es Sonntag für Sonntag, und immer schauderte es den Pfarrer bis in die Zehenspitzen. Seine Neigung zum Altar war Erlösung – oder Schmerz? „Hochwürden“, sagte der Pitter, „ich mein, Sie vertragen diesen Wein nicht. Wir könnten anderen bereiten.“ Aber ach, der Pfarrer winkte schon wieder ab, wusste er doch, dass allein der Name der Korlinger und besonders des Pitter beim Abt alles andere als Wohlgefallen erzeugten. Verlorene Mühe.

Doch dann, eines Sonntags, hatte der Pitter süßen Wein in den Messkelch gegeben. Und die Messe kam zur Wandlung, der Pfarrer trank – und er lobte Gott und vollzog die Wandlung. Es war sehr feierlich. „Pitter, was war das für ein Wein?“, fragte Stammel. „Den kann mein Schwager hier bei uns machen. Wir haben auch gute Lagen“, berichtete der Pitter. 

Und der Pfarrer winkte dem Pitter mit einem freundlichen Gruß und fuhr am Nachmittag nach Trier. Tja, und im Herbst desselben Jahres 1777 pflanzten die Korlinger ihre ersten Reben oberhalb des Weges nach Waldrach in einer reinen Südlage.

Aber man soll ja bei der Wahrheit bleiben: Der Pitter hatte dem Pfarrer in ein bisschen Messwein immer reichlich Traubenmost gegossen. Dem lieben Gott wird’s gleich sein, denn nur das Herz muss rein sein.

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