Kurzgeschichte Vom Pitter und der Burgruine in Sommerau

Autor Bernhard Hoffmann aus Korlingen (Landkreis Trier-Saarburg) erzählt eine neue Geschichte vom Pitter aus dem 18. Jahr­hundert. Diesmal geht es um die Ruine einer Ritterburg.

 Alle Dorfbewohner aus Sommerau helfen Pitter beim Transport der Steine. Illustration: Christina Bublitz

Alle Dorfbewohner aus Sommerau helfen Pitter beim Transport der Steine. Illustration: Christina Bublitz

Oh, wie lecker der Wein dieses Jahr geworden ist. „Der Korlinger Andreasberg hat sich so herrlich entwickelt, da wollen wir doch gleich ein Stück daneben anbauen“, sagt der Pitter. Gesagt, getan – dem Abt füllts ja den Keller, er wird nichts dagegen haben. Aber eine Weinbergsmauer muss her, zur Wald­racher Straße zu, sonst schwemmt’s alles herunter, denn steil ist der Südhang zur Ruwer. „Pitter, besorg du die Steine!“ – „Ich?“ – „Ja, du! Du kannst doch alles!“ – „Aha, ich soll fahren und schuften und ihr seht zu“, lacht der Pitter. „Aber wir laden ab und bauen die Mauer.“ – „So, hm!“

Dabei denken alle an dasselbe: an die Burgruine im Tal von Sommer­au. Da hatten Trierer Ritter im 13. Jahrhundert einen wunderschönen Platz auf einem Felssporn am Wasserfall gefunden, auf drei Seiten von der Ruwer umflossen, mit Turnier­platz und einem Seerosen­teich. Aber 1575 wurde sie von luxemburgischen Soldaten beschädigt und seither nie wieder instand­gesetzt. Schaut euch den herrlichen Bergfried an, 16 Meter hoch – aber das ist auch alles, was herrlich ist, denn die Burg wird schon seit zwei Jahrhunderten wegen ihrer schönen Schiefer­steine von den Sommer­auern zum Hausbau genutzt. Jedes neue Haus in Sommerau zeigt die behauenen Steine im Mauerwerk, die schönen Sandstein­gewände an Haustür und Fenstern. Und so verfällt das Monument mehr und mehr.

 Pitter schlägt vor, eine kleine Kapelle zu bauen. Illustration: Christina Bublitz

Pitter schlägt vor, eine kleine Kapelle zu bauen. Illustration: Christina Bublitz

Was solls, denkt der Pitter, ich fahre, sie setzen auf, das bleibt sich gleich. Also ab nach Sommerau. Das ist ein schöner Weg entlang der Ruwer, die schimmert so silbern und rauscht wie ein Traum vorbei. Hug, das Pferd, geht so gedanken­verloren und der Pitter so gedankenvoll: Er sieht schon die neuen Reben vor sich, Riesling natürlich, und schmatzt mit den Lippen.

Und dann ragt die Burg empor: An den hohen Bergfried haben sich auch die Sommer­auer ja nicht gewagt, aber rundum ragen die halben oder viertel Mauern mal höher, mal tiefer wie abgebrochene Zähne. Und jetzt steht er da und will abräumen. „Das geht nicht, das mit den Steinen von der Burg!“ – „Wer sagt es?“ – „Na, die Sommerauer.“ – Aber ihr habt doch früher alle die Steine …“ – „Ja, schon, früher, aber jetzt sei Schluss, es sei Diebstahl.“ – „Aber wem stiehlt man denn etwas, es ist doch kein Besitzer mehr da“, erwidert der Pitter. „Der Pfarrer hats gesagt!“ – „Was?“ – Es ist eine Sünde, sechstes Gebot!“ Na, da hat einer nicht aufgepasst, aber der Pitter schweigt wegen des siebten Gebots. Und, ja, was glaubt ihr? Streicht er die Segel? Er denkt nach, packt erst mal sein Butterbrot aus, genießt die frische Luft am Wasserfall neben der Mühle …

Und dann ist das ja beim Kauen so, dass das Gehirn in Tätigkeit gesetzt wird. So wie das Korn nebenan vom Groben zum Feinen geht, kommt beim Pitter vom Einfall bis zur Durchführung alles ganz klar heraus.

„Was macht man nach einer Sünde?“, fragt er. „Bereuen und beichten.“ – „Und dann?“ – „Eine Kerze, fünf Rosenkränze und so weiter.“ – „Und dann?“ – „Ist alles wieder gut.“ – „Schaut, so machen wir das auch: wir bauen eine Kapelle neben die Burg, und dann bereuen und beichten wir. Da hinein kommen Kerzen, Rosenkränze und ein Bild der Mutter Gottes.“ – „Und damit …?“, fragen sie. „Ist alle Schuld getilgt“, sagt der Pitter.

Eieiei, das ist schwere Theologenkost, das muss man erst verdauen. Dann sagt ein Sommer­auer was, der baut einen Stall; dann ein anderer, der ist am Hausbauen für seinen Sohn; dann der Müller, der braucht einen mäuse­sicheren zweiten Speicher. Es verdaut sich so ganz praktisch gesehen doch schneller als man glaubt. Zumal die Steine ja sozusagen vor der Haustür liegen, die für den Eigenbedarf und die für die kleine Kapelle auch.

Nur für euch gesagt: Gottseidank ist der Pitter kein Theologe geworden. Die Sommerauer sind dem klugen Mann so dankbar für den klerikalen Rat, dass sie ihm alle helfen, sein Fuhrwerk mit Steinen zu beladen. „Halt, aufhören! Wollt ihr meinen Hug umbringen?“, fragt er und schaut zu seinem Pferd. Na, so kommt der Pitter schon am Mittag mit einer ersten Ladung Steine zurück. Hei, ist das ein Hallo im ganzen Dorf – der Pitter hat’s wieder mal geschafft. Denn jetzt kommt raus, dass die Nachbarn vom Pitter schon dreimal vergeblich wegen der Steine ins Tal gefahren waren.

Und so wurden der alten würdigen Burg noch ein paar Zähne mehr gezogen, denn die Kapelle war schnell errichtet und steht noch heute. Man kann hinter dem großen offenen Torbogen noch heute die Maria im hellblauen Kleid bewundern.

24 Pitter-Geschichten von Bernhard Hoffmann sind als Buch erschienen: „Der Pitter – Korlinger Geschichten I“, 140 Seiten mit 50 farbigen Illustrationen von Christina Bublitz, 18,90 Euro, ISBN: 9783755778547.

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