Kurzgeschichte Gottfried Gans – eine Weihnachtsgeschichte

Autor Bernhard Hoffmann aus Korlingen (Landkreis Trier-Saarburg) erzählt eine neue Geschichte vom Pitter aus dem 18. Jahrhundert. Diesmal geht es um Weihnachten.

 Ein Fuchs ist in der Nacht in den Hühnerstall eingedrungen.

Ein Fuchs ist in der Nacht in den Hühnerstall eingedrungen.

Foto: Christina Bublitz

Ach, die niedlichen Gänseküken, die hat der Pitter im kalten Frühjahr vom Trierer Markt mitgebracht, die kleinen gelben Bällchen mit den weichen Schnäbelchen. Die Kinder sind aus dem Häuschen, jedes bekommt eines und darf es benennen. Adam heißt da eines und Eva ein anderes, wie seltsam! Andere heißen Ernst oder Gottfried – was den Kindern so einfällt. Wie können die die denn auseinanderhalten? Aber sie behaupten steif und fest, jedes zu kennen, am Beinchen, am Federchen, an den Augen – glückliche Kinderzeit. Denn die Erwachsenen denken an ganz anderes: Adam gibt Schmalz, Evas Eier machen den Kuchen gelb, Ernst wird die Weihnachtsgans, und Gottfried kommt in die Suppe. „Pfui!“, schreien die Kinder. Aber haben sie recht? Na, lassen wir sie spielen, die Küken herumtragen wie Säuglinge, sie füttern und streicheln. Die Winzlinge folgen ihnen auf Schritt und Tritt, allen voran der Ganter Gottfried. Es ist wunderschön.

Aber als sie größer sind, zischen sie beim Pitter, und bei seiner Frau Katharina gehen sie mit scheelem Blick zur Seite. Und einmal, da verscheucht der Pitter den Gänserich mit weit ausgebreiteten Armen und lautem „Hu!“, weil er ihm im Weg steht. Da zischt der Kerl mit Schlangenzunge, streckt den Hals vor, wackelt mit dem Bürzel – er will tatsächlich den Pitter angreifen.

Gott sei dank haben das die Kinder nicht gesehen, aber die Feindschaft ist perfekt: Gottfried, der Ganter, zischt und rennt mit gestrecktem Hals auf den Pitter zu. Und der Pitter zischelt ironisch zurück. „Du Weihnachtsbraten!“, sagt er. „Wer? Was?“, schreien die Kinder. „Die Gans wird zu Weihnachten geschlachtet.“ – „Niemals!“ Vier Kinder, ein Ausruf. „Der Satansbraten, aus, Ende! Wollt ihr hungern?“ – „Dann essen wir Brot und Äpfel.“ – „Pah, das werdet ihr schon sehen!“ Diese Geschichte wird nicht gut enden – für den Ganter. Wozu ist er schließlich auf der Welt. Was sich Kinder so denken …

Aber dann kommt eine Wendung. Die Monate gehen dahin, die Gänse werden groß und fett – da freuen sich die Erwachsenen. Und den Kindern sind sie immer noch dieselben Spielkameraden. Sie marschieren mit ihnen durchs Dorf, Gottfried vorneweg, alle hinterher. Bloß lassen sie sich nicht mehr auf dem Arm tragen. Naja, aber Freunde sind sie immer noch.

Da passiert Folgendes: Eines Nachts wacht die Katharina vom Lärm im Hühnerstall auf, weckt den Pitter. Der geht mit der Laterne, öffnet die Stalltür – heißa, da ist Leben: Die Hühner flattern gackernd herum, die Gänse schreien – und da, da beißt Gottfried dem Fuchs in den Schwanz, wie der gerade einem Adam oder einer Eva oder dem Ernst an den Hals will. Er beißt und hält fest, der Fuchs kommt nicht zum Zuge und schnappt in die Luft. Aber jetzt ist der Pitter da, und hui, wie schnell der da weg ist. Und das ist gut so, denn ein Fuchs ist das Ende der Hühner, das Ende der Eier, das Ende der Mahlzeit, und die Suppe kommt auch nicht von nichts. So ist das im Leben.

Und als der Pitter sich erschöpft hinsetzt und alles Federvieh sich beruhigt hat, nähert sich der Ganter – erst einen Schritt, dann noch einen. Jetzt steht er ganz im Licht der Laterne und zupft sich zwei Federchen aus dem Kleid. Und tatsächlich, jetzt wackelt er zwei weitere Schritte auf den Pitter zu, kein Zischen, kein langer Hals – und sie sehen sich in die Augen, die Gans so schräg, der Pitter mit ungläubigem Blick.

Da nimmt der Pitter zwei Körnchen Futter und streckt ganz langsam die Hand aus – und da streckt der auch seinen Hals und legt seinen orangefarbenen Schnabel auf die Handfläche … Herrgott, was ist das? Dem Pitter ist ganz seltsam zumute, wie er da den Kopf des Tieres in seiner offenen Hand hält. Da muss er schlucken. Ja, es gibt wunderschöne Geschichten, und die hier ist wahr. Fortan geht der Gottfried mit dem Pitter in Stall und Scheune überall mit hin. Wo der eine ist, ist der andere nicht weit. Die Kinder lachen, wenn der Pitter über den Hof geht und sie den hinter ihm her watschelnden Gottfried sehen. Aber der Pitter schämt sich kein bisschen für seine seltsame Freundschaft. Und wenn es niemand sieht, drückt er ihn ein wenig an sich wie einen guten Kameraden.

 Neue Gänseküken werden von den Kindern begrüßt, aber nicht von Pitter.

Neue Gänseküken werden von den Kindern begrüßt, aber nicht von Pitter.

Foto: Christina Bublitz

Und wie das so ist: Die Kinder verlieren nach und nach das Interesse an den Gänsen. So sind Kinder, aber es gibt ja auch so viel anderes zu erleben. Und so fällt es nicht besonders auf, dass der Adam und der Ernst und eine Gans nach der anderen bis vor Weihnachten auf dem Teller landen – bloß der Gottfried nicht. Da ist der Pitter dagegen. Seinen Gottfried verspeist niemand. Auch an Weihnachten nicht!

Der Pitter würde ihn glatt zur Bescherung reinlassen, aber da kennt er die Katharina schlecht. Na, bringt er ihm ein paar Lecker­bissen raus und streicht ihm ganz zart über den Hals. Dann wackelt der Gottfried mit dem Kopf, was in Gänsesprache schon recht be­achtlich ist. Und da sitzen sie gemeinsam am Fest des Friedens und der Hoffnung, der Gottfried mit dem Pitter. Und der Pitter hält seine hohle Hand hin, und der Gottfried legt seinen Kopf hinein. 

24 der Pitter-Geschichten von Bernhard Hoffmann erscheinen im Januar als Buch: „Der Pitter. Korlinger Geschichten I“, 140 Seiten mit 50 Illustrationen von Christina Bublitz, 18,90 Euro, ISBN-10: 0-21612-108-6

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