Kurzgeschichte Hug, das Pferd

Autor Bernhard Hoffmann aus Korlingen erzählt eine neue Geschichte vom Pitter aus dem 18. Jahrhundert. Diesmal geht es um einen neuen Altar für die örtliche Kapelle und eine ganz besondere Ausstattung.

 Pitter und seine Begleiter aus Korlingen bitten beim Abt im Trierer Kloster um einen neuen Altar.

Pitter und seine Begleiter aus Korlingen bitten beim Abt im Trierer Kloster um einen neuen Altar.

Foto: Christina Bublitz

Im Jahr 1771 lassen sich am fünften Sonntag nach Pfingsten Johann, Nikla und natürlich der Pitter aus Korlingen nach der Messe in Sankt Martin zu Trier beim Abt Lejeune melden. Dem schwant schon Unheil. Was sie wünschten, fragt er. Sie ergehen sich in umständlichen Reden: Grüße vom Pfarrer, das schöne Kloster, die kommende Ernte, die Messe, der Herr Hochwürden und so. Zur Sache, sagt er. Und der Pitter, in dessen Hirn der Gedanke gewachsen war, geradeaus: Wir wünschen einen würdigen Altar für unsere neue Kapelle.

Habe ich euch nicht die Heiligen Johannes und Paulus gegeben? Ja, aber die stünden so verloren … Und ein Altar so wie in St. Martin – fünf Stück sind da, wirft Johann dazwischen und schlägt sich auf den Mund – so einen Altar bräuchten sie auch.

Wofür? Beten könne man auch so. Aber, meint Pitter, es fehle dann, wie sagt man ... das Innerste. Das müsse man sich halt denken. Ja, sagt Pitter, aber man solle ja beten und nicht denken. Und – da jetzt Schweigen herrscht – der Glanz Gottes schwebe dann über ihnen, bringt Nikla jetzt den einzigen Satz an, den er sagen soll.

Der Abt schaut zum Fenster hinaus. Die Korlinger bringen fleißig ihren Zehnten, der Viez ist zwar sauer, aber es sind ehrliche Leut. Und der Pitter, na ja … Da neigt der Kaplan seinen Kopf zum Ohr des Abtes, und der, darauf, es sei da noch ein Stück, das man besehen wolle. Und so ziehen sie zu fünft in eine der vielen Scheunen, ziehen eine Leinwand herunter. Da steht ein Tabernakelaltar, so staubig und grau wie eine Feldmaus, kaum dass man die Farbe erahnen kann. Davor purzeln kleine Figuren am Boden. Der Kaplan lächelt süffisant und wischt mit einem Finger eine Staubspur. Ein anderer als der Pitter wäre davongezogen, doch dieser Mensch sieht durch den Schmutz den Glanz aus Grün und Rosa und die gelben Streifen. Wahrhaftig, er sieht die Falten im Gewand der Jungfrau mit dem Kind und Kronen.

Den könnt ihr haben, sagt der Abt. Für 20 Ster Holz, sagt der Kaplan. Für 20 Ster Holz, sagt der Abt. Aber die Maria gehört nicht dazu, sie ist zu wertvoll, sagt der Kaplan. Aber, erwidert der Pitter, sie ist die Seele des Ganzen. Bleibt hier, sagt der Kaplan. Bleibt da, sagt der Abt. Bleibt? ... fragt Pitter und denkt – bis ein kurzes Lächeln seine Mundwinkel umzuckt. Bleibt …, wiederholt er, während der Abt interessiert einen Balken im Dach studiert. Und die drei küssen dem Abt die Hand und ziehen frohgemut nach Hause.

Eine Woche danach an einem Samstag ziehen Pitter, Johann und Nikla mit Hug, dem Pferd, von Korlingen nach Trier. Sie sind um 6 Uhr los und schon um 9 Uhr am Kloster. Sie laden den Altar auf den Heuwagen, gut in Leinen verpackt und mit Heu unterlegt, denn die filigranen Streben hoch oben dürfen nicht brechen.

 Der schwere Transport des Altars von Trier nach Korlingen per Pferdegespann beginnt.

Der schwere Transport des Altars von Trier nach Korlingen per Pferdegespann beginnt.

Foto: Christina Bublitz

Der Pitter legt noch ein langes Paket dazu: Proviant, sagt er. Mit ganz zarten Händen legt er’s ins Heu und bedeckt es damit. Der Kaplan gibt noch seinen Segen, bitte, wenn`s sein muss, und los geht es. An der Porta Nigra vorbei, durch den kleinen Vorort die Kohlenstraße hoch.

Das ist ein langer Anstieg, und sie trinken. Dann sind sie auf der Höhe von Filsch, da ist es schon bald Mittag. Sie rasten, und alle trinken. Die Sonne brennt, der Schweiß läuft. Jetzt geht es den Filscher Berg hinauf. Hug, das Pferd, ist stark. Oh ja, so stark, dass es eine Freude ist, aber die drei müssen mit all ihren Kräften mitschieben. Sie schwitzen, ach Gott, es wird immer heißer.

Was ist das? Hug, was hast du, einen Nagel im Huf? Nein. Hug, komm, wir sind bald da! Los und hopp und hui, und einen Klaps und gute Worte … Aber Hug steht und lässt den Kopf hängen. Sie schieben ihn. Hug steht. Sie ziehen. Hug steht. Das ist, weil wir keine Mutter Gottes haben, mäkelt der Johann. Und alle stehen und trinken.

Alle? Pitter merkt es zuerst, als sein Beutel leer ist und Hug den Kopf wendet: Hug, der Starke, hat seit heute Morgen 6 Uhr nichts mehr gesoffen. Majusebetta, simmir blöd, ruft er, Wasser! Aber am Filscher Berg fließt keine Mosaische Quelle. Armer Hug, wir Trottel, sagt der Nikla und lehnt seinen Kopf an das Tier. Ach Hug, wie ruhig du bist in deiner Not. Und jetzt? fragt Johann. Aber Pitter ist schon weg, er stiefelt den Berg hinauf, den Berg hinunter und ruft im Dorf die Katharina.

Nach einer Stunde durstigen Wartens hebt Hug den Kopf und schnaubt. Da kommt der Pitter mit einem Fass auf der Schulter. Da, tatsächlich, da kommt die Katharina mit zwei Holzeimern. Da schwappt das Wasser raus, und Hug wiehert und ruckt vor. Der erste Eimer in einem Zug, der zweite, der dritte aus dem Fass, der vierte – die Eimer haben keinen Boden. Und jetzt! Die Katharina mit den Eimern vorn, Hug zieht, den Stall vor sich, das Wasser ruft.

Aber es geht schließlich den Korlinger Berg hinab, und Hug: der Stall, Wasser, Hafer. Herrjemineh, geht das schnell. Teufelsgaul, so mach doch langsam! Die Männer stemmen sich gegen den Wagen, Hug rennt, der Altar wackelt, Pitter stützt, Pitter hält, Pitter brüllt. Johann hängt im Zaumzeug, Nikla zieht am Schweif, Katharina liegt im Graben.

Gottseidank, die Korlinger! Sie laufen, rennen, werfen sich in die Speichen, halten Hug, den Starken. Noch zwei Eimer Wasser, und er geht wie ein Lamm.

Dann wuchten sie mit vereinten Kräften den Altar auf den alten Holzsockel. Johann und Nikla sind nach Hause, alle Helfer sind fort, sie hatten sich mehr erwartet: Wo sind die Schnitzereien, die Heiligen, die Engelputten, die Mutter Gottes? Was sie sehen, ist dreckiges Holz. Ach Pitter, ist das alles?

Aber an allen Stellen, wo die kräftigen Hände gehoben haben, schimmert die Farbe hervor: das Grün, das Rosa, das Gelb – und das ist Gold! Da geht die Katharina ins Haus, kommt mit Schwamm und Eimern und Lappen wieder. Und Pitter und Katharina waschen und trocknen und reiben und polieren und setzen die eins, zwei, drei, vier Engelchen in die Zapfen und zuletzt die ganz oben mit den Palmwedeln. Zufrieden sind sie, der Pitter ist stolz auf den Altar, und die Katharina ist stolz auf ihren Pitter, obwohl die Mutter Gottes fehlt. Und sie gähnt und will ins Bett. Und du? Gleich – nur noch eins.

Am nächsten Morgen zur Sonntagsmesse staunen sie, sie kriegen den Mund nicht mehr zu: Da glänzt ein Altar in zarten Farben, sechs Engel schweben an den Seiten, und oben thront – wahrhaftig! – Maria im roten Kleid in anmutig geschwungener Haltung, den goldenen Stab in der Rechten und den segnenden Knaben auf der Linken mit dem Zepter.

Ist das der Altar, den sie gestern gehoben haben, dieses verstaubte Stück Holz? Und waren da Engel, und war da eine Maria, und war da ein Jesuskind? Und zwei Kronen! Edelsteine blinken. Umrankt von einem grünen Baldachin, darüber die Weltkugel. Und das Gelb ist Gold! Nikla sieht Pitter an, und Johann sieht Pitter an. Der aber hängt in der Kirchbank wie ein Mehlsack. Und links, die Katharina, hat so kleine Augen und blinzelt ganz verdutzt zur Maria. Und der Pfarrer schaut immer wieder empor zum Altar – und verhaspelt sich vor lauter Aufregung ständig im Text.

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