Kurzgeschichte Pitter rettet die Liebfrauenkirche
Korlingen · Autor Bernhard Hoffmann aus Korlingen (Landkreis Trier-Saarburg) erzählt eine neue Geschichte vom Pitter aus dem frühen 19. Jahrhundert – illustriert von Christina Bublitz. Diesmal geht es um ein historisches Gebäude in Trier.
Jetzt wollten der Pitter und die Katharina das selbst sehen, diese allgemeine Begeisterung für Napoleon, die er nicht hatte glauben wollen. Na ja, seit der Kaiser die Kirchen aus der Säkularisation ausgenommen hatte und den „Code Civil“ erlassen hatte, war auch der Pitter ihm wohl gesonnen. So machten sie sich am nächsten Morgen auf nach Trier, zwei Kinder im Bollerwagen hinter sich herziehend. Herrje, was war die Stadt geschmückt, alle Blumen, die der „Fructidor“ hergab, rote, weiße, gelbe Dahlien und Astern und Chrysanthemen und Laubgebinde, die man sich nur denken konnte, hatte man herbeigeschafft. Alles blitzte vor Sauberkeit, und dann der helle Sand auf den Straßen – wunderschön war das.
Aber jetzt zur Sache: Schaut, da kommt der Kaiser aus dem Palais Walderdorff. Jedenfalls muss er es sein, denn da glänzen die Uniformen der Leibgarde. Und der begleitende Minister, Talleyrand, ist dabei. Er selbst trägt die einfache blaue Uniform ohne die mindeste Auszeichnung am Revers und den schwarzen Hut mit der Kokarde. Bischof Mannay lässt alle Glocken läuten und erwartet ihn vor dem Dom in vollem Ornat, die Priester in zwei Reihen hinter ihm. 50 Chorknaben in weißen Kleidern stehen Spalier bis zum weit geöffneten Eingang, aus dem das Brausen der Orgel ertönt, bereit zum „Te Deum“. Dem Bischof reicht der Herrscher freundlich die Hand – und geht vorbei. Mannay brummt verärgert, aber Talleyrand vertröstet ihn auf den Empfang am Abend.
Jetzt steht er vor Liebfrauen, das störende Gemäuer gefällt ihm neben dem Dom nicht: zu dicht, nicht römisch, zu gotisch. „Solche Monstren haben wir zur Genüge in Frankreich, und weit größere“, sagt Napoleon zum Präfekten Keppler. „Am besten démolir“ – abreißen! Tja, das Französisch hat der Pfarrer von Liebfrauen nicht verstanden, sonst hätte er sicher nicht den frohen Mut gehabt, die Tore aufreißen zu lassen und mit breiter Geste einzuladen.
Widerwillig, allein der Höflichkeit gehorchend, ließ sich der Kaiser ins Innere bitten. Seinem römischen Auge missfielen sofort die mehrfach gerundeten Pfeiler, das Kreuzrippengewölbe, die vielen Rosetten und farbigen Maßwerkfenster. Der Kaiser liebte die Geraden und nicht die Kurven. „Clarté“ – Klarheit, anstatt dieses barbarischen Geschmacks, von dem Göthe „als abgesagter Feind der verworrenen Willkürlichkeiten gotischer Verzierungen“ gesprochen hatte. Das war allerdings, bevor er das Straßburger Münster vor sich hatte. Natürlich führte man Napoleon zum berühmten Punkt, von wo aus alle zwölf Säulen zugleich sichtbar waren. Und dahin hatte der Pitter die Katharina und die Kinder schnell gezogen, weil er wusste, dass jeder Besucher auf diesem Punkt stehen musste. Gelangweilt starrte seine Majestät in die Höhe und studierte scheinbar die Fugen. Der Pfarrer sprach: „1235 unter Erzbischof Theoderich von Wied begonnen, um 1260 schon vollendet ...“, und die Ordonnanz übersetzte.
Die Sache hätte ein schlimmes Ende für den Prachtbau genommen, denn Napoleons Kunstgeschichte endete vor dem Jahr 1200. Aber jetzt – und die Trierer wissen das hoffentlich dem Pitter zu danken – jetzt ergreift Pitter wie beiläufig, aber so laut das Wort, dass es jeder im ganzen Rund hören konnte: „C’est étonnant que l’empereur veut faire démolir une architecture française.“ Der Nachbar schaut ihn erschrocken an. Es ist Stadtrat Hayn. Was redet da ein Bauer Französisch? Aber der Kaiser wäre nicht der Kaiser, wenn er das nicht gehört hätte. „Was meint der Mann?“, fragt er. Und Recking, der Bürgermeister, sagt zum Pfarrer: „Schnell, der Erbauer!“ Eilends erklärt der es: französischer Ursprung – Künstler aus Nordfrankreich – Verbindung von französischer Konstruktionsweise mit Spätromanik – Vorbild Kathedrale zu Reims … „Kein Zweifel?“, fragt der Kaiser. „Kein Zweifel, zu originell, Zentralbau ohne Vorbild, ganz französisch, sans doute.“ Und der Pitter schmunzelt.
Denn jetzt bewegt sich Majestät wie auf schwebenden Teppichen durch das Monument. Er erkennt das gleicharmige Kreuz des Aufbaus. Er nickt, zeigt, begeistert sich am Grundriss, lächelt. Und als er von der Quadratur und der Triangulatur und von den Apsiden aus drei Seiten eines Achtecks und den fünf Seiten eines Zehnecks bei der Hauptapsis hört, haben alle rundum in bravem Gehorsam das Lächeln im Gesicht. Ein solcherart gestaltetes französisches Meisterwerk soll gewürdigt werden, er lässt dem Pfarrer 600 Francs für nötige Baumaßnahmen übergeben. Und rauscht davon, die Kutsche steht vor der Kirche. Ab geht es zur Simeonkirche. Die ließ Napoleon zum römischen Tor rückverwandeln. Und die Liebfrauenkirche, dieses kostbare Juwel französisch-deutscher Kunst, durfte stehen bleiben. Kein Wort mehr vom Demolieren und so. Und was bekam der Pitter dafür? Gottes reichlichen Segen vom Pfarrer. Das war ihm schon lieb, aber ein paar Francs vom Bürgermeister Recking hätten auch nicht geschadet.
Das Buch „Pitter, Napoleon und das Trierer Land“ – 25 Geschichten aus der Besatzungszeit um 1800 mit 50 farbigen Illustrationen von Christina Bublitz – ist erhältlich per E-Mail an mail@treves.de oder im örtlichen Buchhandel.
ISBN: 978-3-88081-704-3.