Kurzgeschichte Der Pitter, der Pfarrer und der schwarze Kaffee

Korlingen · Autor Bernhard Hoff­mann aus Korlingen (Landkreis Trier-Saarburg) erzählt eine neue Geschichte vom Pitter aus dem frühen 19. Jahr­hundert – illustriert von Christina Bublitz. Diesmal geht es um ein Genussmittel.

 Pitter kauft neue Schafe für das Dorf und stellt die Frau als Schäferin ein.

Pitter kauft neue Schafe für das Dorf und stellt die Frau als Schäferin ein.

Foto: Christina Bublitz

Es gab da die eine im Dorf, die mit ihrer Frömmelei dem ­Pitter das Leben schwer machte. Deren Mann war jetzt gestorben. Über 100 Schafe hatten die beiden gehalten, und der Dung war wertvoll für die Korlinger Felder. Aber auch ein böser Mensch leidet, und so auch die eine, die über den Verlust ihres Mannes nicht leicht hinwegkam. Nicht allein, dass er das sanftmütigste Schaf in der Herde gewesen war, der ihr ein getreuer Zuhörer all ihrer seltsamen Un­geheuerlich­keiten war. Er allein war es auch, der die Schafe führte und wusste, wann und wohin. Der sie geschoren hat und ihre Krank­heiten heilte – und der den Handel mit Wolle und Fleisch betrieb.

So musste sie also einen Schäfer einstellen und den mit dem monatlichen Verkauf eines Schafs oder Lamms entlohnen. Das ging gut, denn eine Herde erhält und vermehrt sich selbst. Aber dann kamen Franzosen aus Trier auf der Suche nach Fleisch. Und das Schaf­fleisch war ihnen lieb und teuer, 50 Francs gaben sie für ein einjähriges gemästetes Lamm. Eines Tages kam einer, der hatte drei Pfund Kaffee zum Tausch anzubieten. Und damit fing das Übel an. Denn einmal auf den Genuss gekommen, blieb es nicht beim Sonntagsbecher. Es gab ihn bald täglich. Der Kaffee machte munter, hob ihre Laune, beschwingte sie bei der Arbeit in Garten und Stall, beim Kleemähen oder Rüben­häckseln. Wenn sie morgens die Bohnen in der Pfanne röstete, zog der Geruch durch ganz Korlingen.

Da ging wieder ein Lamm weg für eine Kaffeemühle mit Kurbel und Stahlmahlwerk und so einer kleinen Schublade unten. Dann tauschte sie eines gegen ein feines Porzellan­geschirr. „Sèvres“ stand drauf. Oh, diese leuchtenden Farben – nicht so ein langweiliges Graublau wie die üblichen Becher und Schalen aus der Eifel. Tja, und dann gab sie eine Zibbe her, ein Mutterschaf aus der Herde, um noch mehr Kaffee kaufen zu können.

Das Verderben nahm seinen Lauf, die Herde schrumpfte. Aber es sollte noch schlimmer kommen: Jakob Christian Schmelzer, von dem sie früher die Schafe bezogen hatte, erwarb von den Besatzern das ehemalige Augustinerkloster St. Agneten in der Weberbachstraße. Er baute eine moderne Rüben­zucker­fabrik. Den Zucker brachten der Frau die Soldaten jetzt nach Korlingen mit.
Der sei ein Allheilmittel, gebe Kraft und langes Leben und so weiter. Und den gab sie jetzt in den Kaffee – und Tasse um Tasse ging noch schneller weg. Teuer war er, der Wunderzucker. Die Herde schrumpfte.

So ging das jetzt jede Woche, ein Soldat brachte Kaffee, ein anderer Zucker, ein dritter neues farbiges Porzellan, Meißener, Rosen­thal, Hutschen­reuther, wahrscheinlich alles aus Plünderungen. Nun hatte sie noch 20 Tiere, der Schäfer musste entlassen werden, und sie hielt die Tiere jetzt in einem Pferch. Aber wenn stets getauscht wird, wie soll sich die Herde da vermehren? 15 Schafe waren es bald, dann zwölf, dann zehn. Die Herde schmolz wie der Schnee im März unter der Sonne.

Und auch wenn der Geruch des gerösteten Kaffees nach wie vor durch das Dorf zog, war nicht zu übersehen, dass die Frau bettelarm geworden war. Sie lebte von Kaffee mit Zucker und ein bisschen Schafsmilch. Im Pferch wurden neun, acht, sieben Tiere gezählt, dann sechs, fünf. Zuletzt nur noch vier Zibben, den Bock hatte sie tatsächlich doch auch verkauft – was für eine Dummheit. Da schickte der Pitter die Katharina vor, von Frau zu Frau, wie er sagte, weil er sich drücken wollte.

Die Katharina erreichte nichts, lobte jedoch den Kaffee. Aber der Pitter wäre nicht der Pitter, wenn er jetzt aufgeben würde. Bei aller Wut auf die heuchlerische Querulantin, die ihm das Leben schon so oft schwer gemacht hatte: Im Dorf stand einer für den andern, gemeinsam, miteinander, füreinander. So weihte er den Pfarrer ein. Hier ging es um eine Existenz, da musste auch Hochwürden mal helfen, Teufel mit Beelzebub auszutreiben. Der Geistliche war vom Elend der Frau so überwältigt, dass er tatsächlich den Pitter’schen Plan übernahm und hinging.

Mit zittriger Hand schenkte sie dem Herrn Pfarrer eine Tasse Kaffee ein, Zucker dazu, und der trank mit geschlossenen Augen, schluckte und schluckte das süße Gift … Doch Halt: Er hatte ja einen Auftrag. So stieß er die Tasse plötzlich von sich und starrte in den kleinen Rest. „Das Schwarze“, murmelte er. „Herr Pfarrer?“ – „Das Böse versteckt sich“, sagte er. „Jesus, Maria, Josef, bei mir?“ – „Überall“, erwiderte der Pfarrer. „Aber wo?“, rief sie entsetzt. „Da unten ist es schwarz …“ – „Da? Da drin… in dieser…?“ – „Ja, da kommt es durch“, sprach der Pfarrer mit tiefer Stimme. Er reichte ihr die Tasse, in deren spiegelndes Bodenschwarz sie fassungslos hineinschaute, als könnte sie den Urgrund der Hölle erkennen. „Zitterst du?“, fragte er unvermittelt. „Schläfst du schlecht? Hast du eine unbändige Lust nach diesem Getränk?“ Und jetzt nahm er vor ihren Augen einen Löffel des kristallweißen Zuckers und löste ihn in dem schwarzen Rest auf: „Siehst du, wie das Weiße verschwindet in dem Schwarzen?“ Da krümmte sie sich weinend über den Tisch und bat den Herren Pfarrer, den Bösen von ihr zu nehmen. „Verbanne das Schwarze aus deinem Haus, und deine Seele wird gerettet.“ Aber jetzt wurde ihm der Zinnober doch zu toll, er stand eilig auf, zog seinen Hut auf und ging ohne Segen hinaus. „Aber Sie haben es für eine gute Sache gemacht“, beruhigte ihn draußen der Pitter.

Und jetzt? Kein Kaffee, kein Zucker mehr, aber viel Arbeit. Beim Jakob Christian Schmelzer kaufte der Pitter auf Kosten der Gemeinde zehn Merino­schafe für den Pferch und einen Bock – einen Teufelskerl, der seine Arbeit tat. Die eine wurde ganz offiziell Gemeinde­schäferin für Wolle und Käse. Und zu Ostern und Weihnachten auch für ein gutes Stück Fleisch.

Das machte sie ganz gut, und der Geruch von geröstetem Kaffee zog bloß noch sonntags durch Korlingen. Aber nie mehr von der einen, die überall vom ver­derblichen Einfluss des Bösen eiferte. Sie wusste zu berichten, wie ihr der Leibhaftige einmal durch den Kaffee­satz empor­gestiegen sei. Nun ja, manche änderte nichts und niemand, nicht einmal der Pfarrer und der kluge Pitter.

Von Bernhard Hoffmann erscheinen im Verlag Kleine Schritte in Trier im Herbst 25 neue Geschichten mit 50 Illustrationen von Christina Bublitz. Weiterhin lieferbar: „Der Pitter. Korlinger Geschichten I“, 140 Seiten, 18,90 Euro, ISBN: 9783755778547.

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