Powerfrau mit offenem Ohr

TRIER. Als sie den neuen Lebensweg beschritt, war sie 49 Jahre alt. Nach schwerer Krankheit entschließt sich Marina Name geändert) für ein Ehrenamt, das nur auf akustischem Wege abläuft. Seit drei Jahren leiht sie einmal pro Woche der Nummer gegen Kummer ihre Stimme und Kompetenz, um gemeinsam mit Jugendlichen in Problemsituationen Lösungen zu finden.

"Ich hab schon alles mitgemacht: grüne Haare, blaue Haare, Piercings...", sagt die lebenslustige Frau lachend, wenn sie von ihren vier eigenen Kindern erzählt. Doch das ist nur die Spitze des pubertären Eisberges Das lernt sie bereits in der halbjährigen Ausbildung für das Kinder- und Jugendtelefon. In Rollenspielen bringt Diplom-Pädagogin Claudia Berlingen den Teilnehmern reale Fälle aus dem Alltag des Kinderschutzbund-Angebots nahe. "Dies hat mir gezeigt, dass es einige Dinge gibt, die meine Vier nicht abgedeckt haben", stellt Marina fest. Wirklich heftige Fälle sind statistisch gesehen zwar relativ selten, aber sie wiegen schwer. Es gibt keine Patentlösungen

Ein Gespräch ist unlöschbar in Marinas Gedächtnis gebrannt: "Einmal hatte ich einen Missbrauchsanruf, der zweieinhalb Stunden gedauert hat. Danach war ich fertig." So schlimm solche Anrufe auf den ersten Blick sind, sie erzeugen auch positive Empfindungen: "Ich bin trotzdem mit einem guten Gefühl aus dem Gespräch gegangen, weil ich merkte, dass das Mädchen zum allerersten Mal offen darüber geredet und ihr das sehr geholfen hat", erinnert sich Marina. Sie bekam auch einen großen Vertrauensbeweis: Nach einer guten Stunde verriet ihr das missbrauchte Mädchen seinen Vornamen - freiwillig. Normalerweise ist das Kinder- und Jugendtelefon als anonymes Angebot angelegt, um die Hemmschwelle vor dem Griff zum Hörer niedrig zu halten. Hilfe heißt im Kinderschutzbund nicht, dass es eine Patentlösung gibt. Es geht vielmehr um das gemeinsame Erarbeiten von Lösungsansätzen. "Das wichtigste ist erst einmal zuhören", bestätigt Marina, "dann ergibt sich vieles, denn Kinder haben wirklich unglaubliche Ressourcen." Diese zu wecken ist das Ziel. Warum setzt man sich ehrenamtlich zwei Stunden am Stück in ein Altbau-Büro und nimmt immer geduldig den Hörer ab? Eine soziale Ader muss man haben, aber die alleine würde schnell verpuffen. "Klar mache ich es, um den Kindern zu helfen, aber ich bin nicht Mutter Theresa. Ich nehme auch für mich etwas aus der Arbeit mit", macht Marina die positive Wechselseitigkeit des Angebots deutlich. "Am schönsten ist es, wenn man am Ende ein Dankeschön zu hören bekommt. Diese Bestätigung habe ich gottseidank recht oft und macht es erträglicher, dass wir nicht verfolgen können, wie der Fall weitergeht." Das Kinder- und Jugendtelefon: Tel. 0800/1110333.

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