Rätselraten in der Grube

TRIER. Römische Stadtmauer, mittelalterliche Stadtmauer, ein Jahrhunderte alter Abwasserkanal und eine vor über 40 Jahren gebaute unterirdische Toilettenanlage – die archäologischen Grabungen auf dem Simeonstiftplatz geben Einblicke in 18 Jahrhunderte Stadtgeschichte.

Rätsel der trierischen Geschichte müssen nicht unbedingt aus Jahrhunderte alter Vergangenheit resultieren. Manche haben erst wenige Jahrzehnte auf dem Buckel. Die unterirdische Toilettenanlage am Simeonstiftplatz etwa. "Wir wissen, dass sie Anfang der 60er-Jahre gebaut wurde", sagt Rainer Thelen vom städtischen Denkmalpflegeamt. "Aber mehr ist uns leider nicht bekannt. Offenbar existieren keine Akten mehr darüber." So lässt sich leider auch nicht ohne weiteres in Erfahrung bringen, wie dieses seltsame Projekt zustande kam. Was da vor gut vier Jahrzehnten fabriziert wurde, kommt in seiner unsensiblen Scheußlichkeit so richtig zum Vorschein, seit sich Archäologen auf dem Simeonstiftplatz tummeln. Aus der Bausünde eine Tugend machen

Die Mitte März begonnenen Grabungen des Rheinischen Landesmuseums entlang der Stadtmauer bringen es an den Tag: Das Doppel-Klo mit seperaten Treppenzugängen für männliche und weibliche Besucher wurde ohne Rücksicht auf die historische Bausubstanz rund 2,50 Meter unter der Platz-Oberfläche in die Überreste der römischen Stadtmauer hineingebrochen. In diesem Fall aber lässt sich aus einer Bausünde der jüngeren Vergangenheit eine Tugend machen. Wenn schon keine Römersteine mehr im Wege sind, dann lässt sich an der Stelle der einstigen Bedürfnisanstalt die Haustechnik des neuen Museums-Anbaus am Simeonstift unterbringen. Die noch vorhandenen stattlichen Überbleibsel der Stadtbefestigung werden in den Keller des Neubaus integriert und für Besucher zugänglich gemacht. Die Grabungen auf dem Simeonstift machen deutlich: Die Mittelalter-Stadtmauer entstand dort im zwöften und 13. Jahrhundert auf den Resten der rund 1000 Jahre älteren Römermauer. Sie durchschnitt einen früheren mittelalterlichen Mauerzug - möglicherweise die erste Beringmauer des Simeonstifts aus der Mitte des 11. Jahrhunderts. "Der Grenzverlauf dieser Mauer hat sich bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts durch eine gepflasterte Stichstraße erhalten und wurde erst durch die Anlage des Parkplatzes auf dem Simeonstiftplatz völlig verwischt", sagt Rainer Thelen. Nach dem Bau der Mittelalter-Stadtmauer expandierte das Simeonstift innerhalb der Stadtgrenzen. Die zweite Beringmauer verläuft einige Meter weiter westlich in Höhe der Ex-Toilettenanlage schräg auf die Stadtmauer zu; Erweiterungsmauer Nummer drei verlief kurz vor der heutigen Straße. Teller von Mauerbauer?

Ganz frisch bei den Simeonstiftplatz-Grabungen zutage gekommen ist im Abschnitt zwischen zweiter und dritter Beringmauer unvermutet ein Teilstück eines mittelalterlichen Abwasserkanals. Thelen: "Er mündete sehr wahrscheinlich in den damals quer über den Platz verlaufenden Stadtbachkanal." "Und er dürfte wohl im 16. Jahrhundert aufgegeben worden sein", vermutet Landesmuseums-Grabungsleiter Joachim Hupe. Die genauen zeitlichen Einordnungen wollen die Experten erst nach Abschluss der archäologischen Grabungen in voraussichtlich sechs bis acht Wochen vornehmen. Ausgerechnet einer der betagtesten Funde lässt sich zeitlich relativ präzise einordnen. Ein in mehrere Scherben zerbrochener römischer Teller trägt den Töpfer-Stempel der Werkstatt eines gewissen Mainius. "Der ist in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts belegt", berichtet Joachim Hupe. Just in jener Zeit errichteten die Römer Triers erste steinerne Stadtmauer und deren mächtige Torburgen, von denen nur die Porta Nigra erhalten blieb. Möglicherweise stammt der Teller von einem der Mauerbauer aus dem römischen Trier.

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