Kultur Leere Kirchen – Kirchen for future – ein dritter Weg

Der Trierische Volksfreund dokumentiert den Text des ehemaligen Diözesanarchitekten Alois Peitz. Grundlage dafür ist ein Vortrag bei der Tagung „Tatort Altbau – Kirchen in Not - ungenutzt, umgenutzt?“ der Handwerkskammer Koblenz mit der Architektenkammer Rheinland-Pfalz und der Generaldirektion Kulturelles Erbe.

„Als Architekt könnte ich eine lange Reihe gelungener und wenig gelungener Umnutzungen von Kirchenräumen aufzählen und beschreiben. Ich sammle sie seit über 50 Jahren. Ich würde eine Tagung, die sich den Namen „Kirchen in Not” gegeben hat, damit vollends zu einer Architekturtagung umbiegen, auf der Architekten zeigen, was sie alles so drauf haben. Ist ja spannend, leere Kirche sind für den Architekten Zonen der vollen Subjektivität. In diesen Gebäudehüllen geht so gut wie alles: Konzertsaal und Wellneszentrum, Kolumbarium und Tanzsaal, Bibliothek und Künstleratelier, Hotel, Krankenhaus, Kaserne und Wohnungen. Kirchen sind coole locations!

Aber - wie alle Dinge unseres Lebens hat auch dieser Befund eine Kehrseite: Den Architekten ist dieses Ausloten neuer Nutzungen in Kirchenräumen nur dadurch möglich, weil Gemeinden mit den Bistümern die Räume immer häufiger aufgeben und dem Immobilienmarkt zur Verfügung stellen.

Einige Zahlen:

Seit der Jahrtausendwende wurden in Deutschland rund 500 kath. Kirchengebäude als Gottesdiensträume aufgegeben, 135 davon abgebrochen. Das Bistum Essen muss immer als Beispiel herhalten: 105 Kirchen aufgegeben, 31 abgerissen, 52 profaniert (entweiht)….

Nun mögen diese Zahlen bei mehr als 24 000 kath. Kirchen in Deutschland marginal klingen, aber - ich zitiere den Bonner Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards - „aber wir stehen in dieser Entwicklung erst am Anfang, …und wenn sich kein Umdenken einstellt, ist für die kommenden Jahre ein starker Anstieg der Zahlen absehbar.”[1]

„Wenn sich kein Umdenken einstellt” (Gerhards).

Das ist mein Thema, das sind meine Thesen:

- Die Kirchenräume behalten und mit Phantasie auch als Räume für soziale Begegnung, Mischnutzungen, Sinneserfahrung und Chance zu erweiterter Gottesbegegnung umrüsten statt umnutzen.

- Partner für Mitnutzungen suchen statt Verkauf und Umnutz durch Dritte.

- Die Situation der leerer werdenden Kirchen als Chance nutzen und Kirchen zur Welt hin öffnen.

- Die Situation nutzen, um aus der Zeit gefallene und menschenunfreundliche Regeln und Vorschriften - auch die des CIC - abzubauen.

Begründungen dazu und Wege dahin möchte ich in vier Wahrnehmungs- und Fragebereichen vorstellen:

1. Meine persönliche Wahrnehmung als Mitglied der kath. Kirche und als Architekt - über 30 Jahre als Diözesanarchitekt im Bistum Trier.

2. Wie nehmen Kirchengemeinden solche Auflösungen wahr? Was hält die Öffentlichkeit, die Zivilgesellschaft von außergewöhnlichen Räumen wie Kirchenräumen?

3. Nehmen wir Architekten die Kirchenräume als architektonische Qualität und als besondere Aussage von Architektur noch wahr?

4. Wie können solche Wahrnehmungen zu ganz konkreten Hilfen und Lösungen im Umgang mit den Kirchenräumen führen? - das, was ich gerne den Dritten Weg nenne.

Zu 1.) Ich nehme in der Geschichte wahr:

Auflösungen von Kloster- und Gemeindekirchen und Umnutzungen fanden und finden immer statt, mal nach Gewalteinwirkungen durch Kriege, Revolutionen und Besatzungen, mal ganz einfach, weil Leben und Gesellschaft sich verändern in Sprache, Mode, Umgangsformen, in allem, womit wir uns ausdrücken - auch im Bereich von Architektur.

Und dieser Wandel hat auch vor Kirchen nie halt gemacht.

- Wir verwandeln Gasometer in Kunstzentren,

- Gefängnisse in Museen,

- in Trier sitzt der Stadtrat im Chorraum einer gotischen Klosterkirche,

- bis vor kurzem der Oberbürgermeister in der Apsis an Stelle des Altares,

- und wenn Sie in Domnähe in Trier an der Rappelkiste, ein Spielwarenladen, hochschauen, entdecken Sie die Fassade einer Kirche, hier war Kloster.

Ich entdecke an Beispielen der Geschichte ganz grundsätzlich: Leben ist Wandel. Wir müssen das Beten nicht verlernen, wenn wir keine Kirchen mehr haben.

ABER. Ich entdecke auch: Das Freiwerden, Profanieren und Umnutzen von Kirchenräumen fand in der Vergangenheit meist nach Gewalt von außen, durch Eingriffe Dritter statt. Revolution, Säkularisation, Besatzermächte sind die Veranlasser. Am Anfang des 19. Jahrhunderts wurden kirchliche Verwaltungen im Zuge der Säkularisation staatlicherseits zur Aufgabe von Einrichtungen und Kirchen gezwungen.[2]

Heute und gerade in Deutschland finden die Kirchenschließungen freiwillig statt - durch den Eigentümer Kirche, in friedlichen Zeiten, in Zeiten des Wohlstands, in Zeiten gefüllter Kassen. Und es sind nicht Einzelfälle, es sind Hundertschaften. Manchmal wird man den Eindruck nicht los, die Bistümer wetteifern miteinander, wer der Beste, der Originellste bei der Vermarktung der Kirchenimmobilie ist.

Ich nehme wahr, ganz konkret beim Thema des Geldes, dass durch die Situation der zentral bei den Bistümern eingehenden Kirchensteuer dort auch die Entscheidungshoheit legt. Die Kirchengemeinden mit den Menschen vor Ort, eigentlich autonome Körperschaften, können de facto aus eigener Kraft kaum noch entscheiden.

Es ist interessant festzustellen, wie sich vor diesem Hintergrund in den Gemeinden immer häufiger neue juristische Personen als Förder- oder Bauvereine bilden, zur Unterstützung, für den Erhalt und den Betrieb ihres Kirchengebäudes.

Im Raum Trier sind es z.Zt. der engagiert arbeitende Förderverein Kirche Trier-Heiligkreuz e.V. und, ebenso engagiert, der Förderverein Alte Kirche Igel e.V. Die kath. Kirchengemeinde Igel an der Obermosel mit gerade mal 1100 Kirchenmitgliedern z.Bsp. hat für ihre historische Zweitkirche im ersten Jahr 130 Fördermitglieder geworben. Jetzt gibt es Aufmaßpläne der Kirche, Renovierungsprogramme, Arbeitsgruppen für Fundraising, Veranstaltungen in und um die Kirche bis zum Vorschlag eines eigenen Liturgieausschusses. An der Spitze solcher Vereine stehen engagierte Laien - nicht der Pfarrer. Die Vorstände sind Fachfrauen und Fachmänner unterschiedlicher Disziplinen - emotional, engagiert, professionell.

Ich nehme wahr, wie bei der Entscheidungsfindung über den Erhalt einer Kirche meist von statistischen Zahlen ausgegangen wird, von der Zahl der sonntäglichen Gottesdienstbesucher in Verbindung mit der Zahl der dafür zur Verfügung stehenden Priester. Bei Prof. Gerhards lese ich: ” Ein Priester kann nach Kirchenrecht eine Samstags-Vorabendmesse und 2 Sonntagsmessen feiern. Das bedeutet pro Priester 3 Kirchen, der Rest kann weg.” [3]

Nach dieser Rechnung braucht man bei 100 Priestern noch 300 Kirchen, bei 10 noch 30, und wenn es nur noch einer wäre, dann noch drei. Der

Leser spürt die Denkfehler und spürt auch, dass bei dieser Methode alle anderen gottesdienstnahen Formen und anderer Gebrauch außen vor bleiben.

Auf das heiße Thema von Weihe und geweihtem Priestertum als Voraussetzung für Gemeindeleitung möchte ich in diesem Zusammenhang nicht eingehen. Nur soviel: Die in der vergangenen Woche in Rom zu Ende gegangene Amazonas-Synode hat „Prozesse angestoßen, die nicht mehr umkehrbar sind und auch für Deutschland spürbar sein werden” (Pirmin Spiegel, Misereor-Geschäftsführer). Und „Tradition…”, so erinnert Papst Franziskus zum Synodenabschluss „Tradition heißt Bewahrung der Zukunft und nicht Behüten der Asche.”[4]

Zu 2: Welche Wahrnehmungen machen betroffene Gemeinden, welche Wahrnehmung macht die Gesellschaft, wenn Kirchen profaniert, umgenutzt oder einfach verkauft werden? Überhaupt: Welchen Stellenwert haben besondere Räume wie Kirchen in der Zivilgesellschaft?

Der Verlust einer Kirche durch Fremdeinwirkungen, Krieg, Besatzung, selbst durch untertägigen Bergbau, wie an der Saar, ist nicht nur für die Gläubigen, sondern auch für die ortsnahe Bevölkerung so gravierend, dass sie alles daran setzen, nach Ende der Fremdeinwirkung die Kirche wieder herzurichten oder sogar wieder aufzubauen, wenn sie zerstört war (Paradebeispiel Frauenkirche in Dresden, kein Einzelfall).

In der Stadt Vilnius in Litauen waren etwa 40 von 60 Kirchen von den Sowjets de facto profaniert und zu Werkhallen, Produktionsstätten und Lagerhallen umgewandelt. Seit der dortigen Wende vor ca 30 Jahren sind alle wieder hergerichtet, alle als Kirchenräume wieder erlebbar und alle - oft in kluger Verbindung mit öffentlichen Trägern und Agenturen - als Gottesdiensträume wieder nutzbar. Das trifft übrigens für die Kirchen in den baltischen Staaten generell zu, es sind Hunderte.

Wie soll eine Gemeinde es verkraften, wenn ihr das Dekret des Bischofs zur Entweihung ihrer Kirche verlesen wird? Natürlich gibt es dazu Vorgespräche mit den Verantwortlichen und Hinweise an die Gemeinde. Aber es bleibt für viele Gemeindemitglieder, die oft seit Generationen hier ihre religiöse Heimat hatten, ein schwer zu ertragender, ein schmerzlicher Akt. Der letzte Gottesdienst und die anschließende Prozession, in der man versucht, in einer anderen Kirche des Ortes neue Heimat zu finden, haben etwas vom Beerdigungsritus an sich und geben in die Öffentlichkeit das Signal: Wir geben auf, wir geben unsere Präsenz und Relevanz in der Öffentlichkeit preis, wir verabschieden uns von unserem zeichenhaften Bestand. Ich meine: Das ist in einer symbol- und werbeträchtigen Welt wie der unseren ein leichtfertiger Verzicht. Selbst wenn in Zentren von Großstädten Zuflucht und Nachbarschaft in einer nah gelegenen Kirche möglich wären, sind schon am Stadtrand und noch weniger übers weite Land neue Heimaten kaum zu finden. Auch hier erlaube ich mir, Albert Gerhards zu zitieren: „Faktisch ist es so, wenn eine Kirche aufgegeben wird, kommen viele der alten Kirchgänger nicht mehr in die ‚neue‘ Kirche. …Als aktive Gemeindemitglieder gehen sie mit großer Wahrscheinlichkeit verloren.”

Und die breite Öffentlichkeit. Die Zivilgesellschaft?

Wohin nach „Halle”?

Wohin nach „Nine Eleven”?

Wo entwickelte sich vor 30 Jahren die friedliche Revolution in der DDR?

Wohin will der Asylant noch, der Obdachlose?

Wo geht man hin, wenn die Welt aus den Fugen gerät?

Ins Einkaufscenter, ins Kino, ins Filmstudio?

Nun wird jemand sagen: Das sind alles Ausnahmesituationen. Ja, das stimmt, das sind Ausnahmesituationen. Aber sie zeigen, welches Potential, welche Chancen in den Kirchen stecken - immer und für jeden und in jeder Situation.

Niemand hat das besser beschrieben als Susanne Kippenberger, preisgekrönte Journalistin beim Berliner Tagesspiegel, Autorin: „An Urbanen Paradiesen (Buchtitel über Architektur des Vergnügens) mangelt es heute nicht. Wo aber geht man hin, wenn man schockiert und traurig ist, Trost und Gesellschaft sucht? Auf der Straße ist man schutzlos Kälte und Regen und dem Verkehr ausgesetzt. Ins Museum? Kunst hat etwas Besinnliches, Museen haben etwas Beruhigendes. Aber da kommt nicht jeder hin, nicht einfach so und umsonst, und da geht’s um Kunst, nicht um den Menschen… Die Kirche ist einer der letzten wirklich öffentlichen Räume in der Stadt und auf dem Land… Und die Sehnsucht der Menschen ist offenbar groß nach einem Ort, der das Ganze Leben umfasst, von der Taufe bis zum Tod, wo man sich sammeln und versammeln kann, allein sein kann mit sich und seinen Gedanken und sich dennoch aufgehoben fühlt. Und spürt, da war doch noch was, Generationen vor mir, da ist noch was, was anderes. Man spürt es, am eigenen Leib, auch wenn man nie in den Gottesdienst geht, die christlichen Symbole nicht zu lesen versteht. Dank der Architektur.”[5]

zu 3: „Dank der Architektur.” Nehmen wir Architekten die Kirchenräume als architektonische Qualität und als besondere Aussage von Architektur noch wahr?

„Wer in Berlin zur Gedächtniskirche kommt (Architekt Egon Eiermann) und es kommen eine Million Menschen im Jahr, Gottesdienstbesucher nicht mitgerechnet, dem öffnen sich die Türen vollautomatisch. An 365 Tagen im Jahr, von morgens bis abends. Hat man den Vorraum durchquert, wird man umfangen von einer eigenartigen blauen Atmosphäre, von fast absoluter Stille, von etwas Mystischem, von einem Raum als Gesamtkunstwerk.”[6]

Natürlich steht nicht überall eine Gedächtniskirche à la Berlin oder ein Trierer Dom. Dazu kann ich nur sagen: Die Dorfkirche in Kanzem an der Saar, die Kapelle St Joseph in Franzenheim bei Pellingen - um nur zwei herauszugreifen -, das sind deren Gedächtniskirche, das sind deren Dom. Vielleicht sollten wir Architekten den Theologen wieder zur - oder in die - Seite springen wie in den 70er Jahren, als es vor allem die Architekten waren, die dem Wunsch vieler Geistlicher nach dem kirchlichen Mehrzweckraum widersprachen, - so einer sakralisierten Senioren-Tanz-Gymnastikhalle mit Gottesdienstmöglichkeiten. (Ich weiß, von was ich rede!) Heute sollten wir Architekten uns mit Mut um die Erhaltung der leeren Kirchen-Räume einsetzen und auf die ständige Suche nach noch einer und noch einer Investitionsmöglichkeit verzichten.

Ja, für die Erhaltung der leeren Räume.

Die Leere ist in diesem Fall das Maß der Fülle!

Dafür sind sie gebaut.

Unsere perfekte Welt braucht Leerstellen.

Der Kündungs-Charakter der Kirchen aus Vergangenheit in Gegenwart und Zukunft, die durch Materialien, Konstruktionen, Konstruktionsmethoden und Licht geprägte Gestalt sind untrennbar und unveränderlich mit den Räumen verbunden. Und wie in einem Akku haben sie sich im Laufe von Jahrhunderten vollgesaugt mit geistiger Energie und Kraft, mit Gebet, Gesang und Stille, mit Transzendenz und Jenseitigem.

„Eine Kirche ist weniger von Funktion als von Bedeutung geprägt” (Josef Rüenauver, Alt-Erzdiözesanbaumeister Köln),

- hier sind Lebensmarken wie Taufe, Hochzeit, Beerdigung seit und für Generationen,

- hier sind die geschützten Räume für jeden Einzelnen in der Spannung zwischen Himmel und Erde,

- hier kann man sich erhaben und geborgen zugleich fühlen,

- hier sind die stadtbildprägenden Orte, durch die ein Dorfbild, ein Ortsteil erkennbar ist,

- Kirchen sind identitätsstiftende Raummarken,

- und das für alle, auch für die, die nicht zum Gottesdienst kommen.

„Auch die Gottlosen”, hat Nietzsche erkannt, „brauchen Räume, in denen sie ihre Gedanken denken können”. Wie ein Visionär schrieb er vor etwa 150 Jahren: „Es bedarf einmal und wahrscheinlich bald der Einsicht, was vor allem unseren großen Städten fehlt: stille und weite, weitgedeckte Orte zum Nachdenken, Orte mit hochräumigen, langen Hallengängen…,wohin kein Geräusch der Wagen und der Ausrufer dringt…, Bauwerke und Anlagen, welche als Ganzes die Erhabenheit des Sich-Besinnens und Bei-Seitegehens ausdrücken… Alles, was die Kirche gebaut hat, drückt diese Gedanken aus.” [7]

Das heißt natürlich, im wörtlichen und übertragenem Sinn die Kirchenräume offen halten, gründlich Hausputz halten, von allem befreien, was nicht authentisch ist und immer einfach so drin blieb. In vielen Fällen, in denen der Hausputz seit dem 19. Jahrhundert ansteht, empfängt uns eine verklemmte Atmosphäre, jedenfalls nicht der Atem und die Luft für unserer Kinder und Enkel. Wo hängt in Deutschland in einer kath. Kirche ein Bild eines Malers der klassischen Moderne oder eines Zeitgenossen? - um nur ein Thema möglicher Verknüpfung von Kirche und Zeitgenossenschaft anzudeuten. Nirgends. Die Künstler ihrerseits haben sich immer wieder religiöser Themen angenommen, ihre Werke hängen alle in den Museen, weltweit.

Also umrüsten statt umnutzen, und die Rolle der Kirchenräume nicht auf die Funktion der Liturgie beschränken. Ich bin - als ehemaliger Guardini-Hörer - ein Freund der Liturgie, diesem großartigen Spiel der Menschen vor Gott. Es geht heute um Liturgie plus, um eine „spirituelle Architektur, die die Patchwork-Religiösität der Menschen spiegelt und sie dort abholt.” [8] Ich bin überzeugt: Je größer die Säkularisierung der Gesellschaft, desto größer auch die Sehnsucht nach der Wirkweise religiöser Räume, nach Rückzugsorten, nach „Proberäumen für eine andere Gesellschaft.” ( Dr. Paula Bahr, Kulturbeauftragte des Rates der EKD 2011).

Selbst das neue Schalker Stadion hat sich eine eigene Kirche geleistet. Ich meine, für ihren missionarischen Auftrag in die Welt hat die Institution Kirche in den Kirchbauten ein ungeheuer wirkungsvolles, werbewirksames Potential.

Dieses Offenhalten und Weitermachen, das klingt auch im Abschlussdokument der Trierer Bistumssynode von 2016 mit. Da heißt es: „Die Synode ist von der Notwendigkeit eines Perspektivwechsels überzeugt und betrachtet ihn als wesentlich für die Zukunft der Ortskirche von Trier. Sie nimmt damit tiefer, anders und radikal wahr, dass sich das gesellschaftliche und mit ihm auch das christliche Leben in einem rasanten Wandel befinden. Im Neuen liegt Radikalität, die nicht dem Alten, bisher Bekannten verhaftet bleibt, sondern sich mit Mut und Weite neuen Perspektiven stellt …”.

Leider wird der Inhalt des Papiers derzeit von Strukturfragen überlagert.

XXL für die Verwaltung - Ja, aber gleichzeitig bitte „small is beautiful“ für die Beheimatung in und um die vorhandenen Kirchen.

Es gibt Beispiele für die hier angedeutete Art der Neu-Nutzung von bestehenden Kirchen. Das Bistum Trier betreibt in Saarbrücken das Projekt Eli.ja, eine Jugendkirche, die längst eine andersartige Kirche für alle geworden ist, die Elisabethkirche in Saarbrücken-Ost. Eine Beton-Hallenkirche der Nachkriegszeit wurde zu Eli.ja:

Neuer Name, neues Logo auf dem Dach,

Bänke raus, bunte Stühle rein,

Gottesdienste, Diskussionsveranstaltungen mit der Öffentlichen Verwaltung,

Verschenkbörse, Tanz, Theater, Workshops, Kunst, Handwerk, Kultur,

Jugendliche, Schulklassen, Firmgruppen können den Raum nutzen für die unterschiedlichsten Projekte,

Glaubensgespräche und Diskussionen mit anderen Religionen,

Chöre, Bands, der Landesjugendchor des Saarlandes haben hier Probe- und Aufführungsmöglichkeit,

um die Kirche ein „urban gardening” Projekt,

„Garten Eden-Beete für Jeden” für Menschen aus dem Viertel, einfach so, ein Brotschrank der Initiative Foodsharing,

öffentliche Konzerte und alternative Wortgottesdienste.

Vielfalt steht für diese Kirche im Osten von Saarbrücken. Schauen Sie sich die Netzwerke und Beiträge auf YouTube an!

Hier in Trier haben Mitglieder einer Gemeinde (Herz Jesu, Trier-Süd) den Begriff des Perspektivwechsels fast wörtlich genommen. Bei einer Tasse Kaffee sei, so erzählen sie, das Kunstwort SREDNA entstanden, das ist das Wort ANDERS von rechts nach links gelesen. Selbstbewusst schreiben sie auf ihrer Hompage: „ Am Anfang stand schlicht und einfach die geistliche Energie, die Neugier und der Tatendrang von einigen Menschen , kein Pastoralplan, keine Sozialraumanalyse, kein Bistumsprojekt. Der Geist des neuen Anfangs hat sich - ohne zu fragen - in einigen Herzen, Köpfen und Händen niedergelassen.” Zunächst war es ein Osterzeit-Projekt, inzwischen ist es ein Jahresprogramm, mit Wirkung in das Viertel, in den kommunalen Raum also.

Zwei Beispiele nur, die aber ahnen lassen, wie Kirchenräume Spielräume werden können, Spielräume für die Menschen im Miteinander und vor Gott.

Deshalb - meine ich - langsam und behutsam Umgehen mit dem Aufgeben von Kirchenräumen, dem Verkauf, dem Umbauen und Einbauen. Das sag ich auch in Richtung der Bischöflichen Verwaltungen. Wir sollten allen, vor allem den Gemeinden, Zeit lassen, Neues zu entdecken und Neues zuzulassen.

Als Architekt sage ich dazu auch: Die Kirchengebäude in Deutschland sind, vor allem im Vergleich zu anderen öffentlichen Gebäuden, bis auf wenige Ausnahmen baulich so gut in Schuss, dass wir ruhig die nächsten 25 Jahre die Spannung aushalten und die Räume groß und weit und unverbaut in die Zukunft führen könnten.

Auch die ehemalige Klosterkirche Maximin in Trier kann dazu als Beispiel genannt werden. Anfang der 1960er Jahre war der Antrag auf Abbruch formuliert, ein Schulgebäude sollte an ihre Stelle. Dann gab es Pläne für den Einbau von Decken und Nebenräumen in die ehemalige Kirche zur Nutzung als Sportstätte. Eine kluge Jury warnte schon damals vor Einbauten in den gerade wieder gewonnenen Großraum, weil „ diese Einbauten das Erlebnis der Gesamtwirkung nicht unwesentlich beeinträchtigen würden” (Jury Schlussempfehlung 1988/89). Maximin blieb unverbaut und ist nur dadurch heute Sporthalle, Konzertsaal und Gottesdienstraum zugleich, in Zeiten großer kirchlicher Veranstaltungen des Bistums sogar Stationskirche!

zu 4. Das führt zum 4. und letzten Abschnitt:

Wie können Kirchengemeinden das stemmen,

wie trägt sich was,

welche Alternativen zur Profanierung einer Kirche tun sich denn auf

und wie könnte man solche Alternativen anpacken.?

Im Falle von Maximin hat folgendes zur wirtschaftlichen Lösung beigetragen: bei der Investition halfen die staatlichen Zuschüsse für 2 Sporthallen, der Unterricht von ständig 2 Klassen Sport im Kirchenraum hilft bei den Betriebskosten und für ein Konzert-Wochenende gehen ca 1500 bis 2000 € ein. Natürlich ist Maximin so ein Paradebeispiel, dahinter steht das Bistum. Dennoch lässt sich dieses Beispiel durchaus herunter brechen auf die Schwarzbrot-Situation einer Kirchengemeinde.

Das heißt:

- den infrage stehenden Kirchenraum öffnen und umrüsten auch für im gottesdienstlichen Raum bis dahin ungewohnte, dennoch gemeindeorientierte Nutzungen,

- bei dieser Suche auch weniger „fromme”, raumverträgliche Nutzungen nicht ausschließen,

- auf die Suche gehen nach Partnern für Mitnutzungen,

- mit ihnen Nutzungsverträge schließen - meist sind es zeitlich begrenzte,

- bei all diesen Überlegungen die gottesdienstlichen Möglichkeiten für die Gemeinde als Ganzes oder Gruppen in der Gemeinde nie aus dem Auge verlieren,

- und miteinander dem Heiligen Geist vertrauen und sich vielleicht auch von etwas bis dahin noch nicht Erahntem überraschen lassen.

Letzteres erinnert an einen Text von Robert Musil aus seinem Roman ‚Der Mann ohne Eigenschaften‘: „Wenn man gut durch geöffnete Türen kommen will, muß man die Tatsache achten, daß sie einen festen Rahmen haben... Das ist eine Forderung des Wirklichkeitssinnes. Wenn es aber Wirklichkeitssinn gibt..., dann muß es auch etwas geben, das man Möglichkeitssinn nennen kann. Wer ihn besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier ist dies oder das geschehen, wird geschehen, muß geschehen; sondern er erfindet: Hier könnte, sollte oder müßte geschehen; und wenn man ihn von irgend etwas erklärt, daß es so sei, wie es sei, dann denkt er: Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein. So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebensogut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist...

Solche Möglichkeitsmenschen leben, wie man sagt, in einem feineren Gespinst, in einem Gespinst von Dunst, Einbildung, Träumerei und Konjunktiven; Kindern, die diesen Hang haben, treibt man ihn nachdrücklich aus und nennt solche Menschen vor ihnen Phantasten, Träumer, Schwächlinge und Besserwisser oder Krittler. Wenn man sie loben will, nennt man diese Narren auch Idealisten: Das Mögliche umfaßt jedoch nicht nur die Träume nervenschwacher Personen, sondern auch die noch nicht erwachten Absichten Gottes.“ [9]

Es sind vielleicht Wunschträume, die aber den Schritt zur Verwirklichung in sich tragen, die Träume

- von der Kirche St. Antonius in Trier als der Theaterkirche, in der das Stadttheater im Haupt- oder Seitenschiff einen zweiten Saal, den Konzertproberaum oder eine Studiobühne betreibt,

- von Heiligkreuz als der Konzertkirche, in der - vertraglich mit einer Agentur geregelt - eine bestimmte Zahl von gut dotierten Fremdkonzerten stattfinden,

- von Bonifatius in Trier-Kürenz mit ihrer Bauhausqualität als Kunstkirche der Moderne,

- von St. Martin im Trierer Maar-Viertel als Tafelkirche mit einer vom Altar ausgehenden bis zum Eingang reichenden Tafel für alle, die da hungrig und beladen sind, mit Kleiderkammer, sozialer Anlaufstelle und Treff, (das macht übrigens Papst Franziskus in der Basilika San Petronio in Rom, Essen mit den Armen in einer funktionierenden Basilika, Festessen an drei langen Tischen - und dann feiert er Gottesdienst mit ihnen),

- auch noch der Traum von St. Paulus in Trier als Jugendkirche, dort, wo sich tagsüber durch die Berufs-, Gewerbe- und Hochschule täglich etwa 20 000 Jugendliche aufhalten,

- und der Traum, Kirchen einfach nur zu öffnen in den Dörfern von Eifel und Hunsrück und mit allen vor Ort über Nutzungen in der Dorfkirche sprechen, mit dem Gemeinderat, der Feuerwehr, den Jugendgruppen und Schulen, den Sportlern, dem Theater- und Gesangsverein und sonstigen Gruppierungen. Sie werden in „ihrer Kirche” nur das tun, aber auch all das tun wollen, was sie verantworten können.

Mir ist bewusst, dass die einzelne Gemeinde, ihr Pfarrer, ihr Verwaltungsrat damit überfordert sein können, solche Wege zu finden und dafür dann auch noch juristisch einwandfreie Nutzungsverträge hinzukriegen und noch Sorge zu tragen, dass es auch läuft. Deshalb: Warum nicht eine kirchliche Trägergesellschaft „LEERE KIRCHEN” oder ein Verein dieser Art, „KIRCHE FOR FUTURE”, wie auch immer. Eine Gemeinde könnte ihre Kirche - sie bleibt ihr Eigentum - mit ihren Vorstellungen und Wünschen über eigene Nutzungen in einen solchen Trägerverein hineingeben und kluge Köpfe in der Trägergesellschaft würden netzwerkartig Verbindungen knüpfen, Partner suchen, für einen finanziellen Grundstock sorgen, Foundraising betreiben, Nutzungsverträge schließen und alles subsidiär regeln, was vor Ort nicht mehr geregelt werden kann.

Das ist mehr als ein Traum, das soll eine Bitte, ein Appell an die Verantwortlichen in unseren Bistümern sein. Und das ist ja nichts Neues. Wir kennen solche Situationen aus den 60er und 70er Jahren. Damals hatten viele Kirchengemeinden, vor allem an der Saar, ein eigenes kleines Krankenhaus oder Altersheim. Der Pfarrer unterschrieb die Arztverträge, der Verwaltungsrat formulierte Hausordnungen und ähnliches. Längst sind alle diese Häuser in Trägervereinen zu Hause. Das Robert Schumann Haus in Trier, die ehemalige Kath. Akademie des Bistums, oder das Reiseunternehmen Arche Noah, ehemals die Pilgerstelle, die Jugendbildungsstätten in Wallerfangen und Bullay, sie alle blieben am Leben in und durch Trägervereine.

Und da es bei solchen Teil- oder Mitnutzungen immer auch um pastorale, mindestens aber um Arbeit an den Menschen geht, sollten auch kirchliche Finanzbehörden - eigentlich selbstverständlich - an solchen Wegen interessiert und beteiligt sein, statt immer wieder über Rentabilitätsgesichtspunkte zu diskutieren.

Kirchen rechnen sich nun mal nicht.

Solche Trägergesellschaften oder Vereine als Unterstützer der Gemeinden könnten zum erwähnten Perspektivwechsel beitragen. In der Öffentlichkeit würde wahrgenommen, dass ein verändertes Bauwerk, auch eine veränderte Kirche, der Anfang einer neuen Geschichte ist,

- einer Geschichte, die die große Überschrift KIRCHE beibehält,

- einer Geschichte der Hoffnung und Zuversicht, dass in Jahrzehnten, Jahrhunderten vielleicht, das Umnutzen und Mitnutzen von Kirchen auch wieder mit umgekehrtem Vorzeichen verläuft.

In diesem Sinne ist den Beteiligten und Betroffenen ein klarer Kopf zu wünschen, etwas mehr Geduld statt schnellem Verzicht und weniger Ängste für die Kirche for future.

Als Recherche für diesen Beitrag dienten u.a. folgende Texte:

katholisch.de, Bonn 06.10.2017, Gespräch mit Prof. Albert Gerhards, Liturgiewissenschaftler Bonn.

ordens korrespondenz, 2014, Heft 2, S. 187, Monica Tontsch, Profanierung und Umnutzung von Kirchen.

■ ZEIT Nr. 45 , 74. Jahrgang, S.1, Leitartikel von Raoul Löbert, Ehen gegen Priestermangel.

■ Berliner Tagesspiegel, 09.12.2001, Susanne Kippenberger, Zwischen Himmel und Höhle.

■ Saarbrücker Zeitung 06.2013, Podiumsgespräch anlässlich einer Ausstellung in Saarbrücken, St. Michael, Architektin Ursula Witry (Lux.).

■ Herderkorespondenz 11.1999, S.582, Matthias Ludwig, Drohender Identitätsverlust, Zur allternativen Nutzung von Kirchengebäuden.

[1] Bonn 06.10.2017 Recherche von katholisch.de, Gespräch mit Prof. Albert Gerhards, Liturgiewissenschaftler Bonn

[2] nach Monica Tontsch in ordens korrespondenz 2014 Heft 2, S. 187, Profanierung und Umnutzung von Kirchen

[3]

4 ZEIT Nr. 45 , 74. Jahrgang, s.1, Leitartikel von Raoul Löbert, Ehen gegen Priestermangel

[5] Susanne Kippenberger, Bl. Tsp. 9.12.2001

[6] Susanne Kippenberger, Bl. Tsp. 9.12.200

[7] Hartmut Böhme, in: Der Architekt 3, 2001, S. 16-23

[8] Architektin Ursula Witry (Lux.) 2017 in Saarbrücken, Kirchbautagung in St. Michael

[9] Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Erstes Buch - Kapitel 5

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