Saure-Gurken-Zeit in Kürenz

KÜRENZ. Einkaufen gleich um die Ecke - das wünschen sich auch die Kürenzer. Da es aber auch billig sein und die Auswahl stimmen muss, favorisieren sie große Läden fern des Ortskerns. Die Alt- und Neu-Kürenzer Geschäftsleute verlieren so mehr und mehr die Grundlage.

Auf dem Boden stehen in Kisten gepackt Gewürzgurken-Gläser und Rotwein-Flaschen. Hinter der leer geräumten Fleischtheke sind zwei Verkäuferinnen mit Putzlappen am Werk. "Wir schließen heute", sagt Natalie Birth. Eineinhalb Jahre lang hat die aus Russland stammende Familie Birth am Weidengraben im "Birth Markt" auf 500 Quadratmeter Fläche Lebensmittel aus Russland und deutsche Produkten angeboten. Die Kunden hat das Angebot jedoch nicht zufrieden gestellt: Wenig Auswahl, Konserven mit russischen Etiketten und selten Kaffee im Regal waren die Gründe, warum die meisten das neue Einkaufszentrum in Tarforst ansteuerten. "Wir können nicht wie große Ketten palettenweise einkaufen. Daher waren deutsche Produkte für uns teurer", erklärt Natalie Birth die Lücken im Sortiment. Nun soll mit dem Umzug in Geschäftsräume in der Paulinstraße alles besser werden. Der Weidengraben aber entwickelt sich weiter zum reinen Wohngebiet ohne Einkaufsmöglichkeit. Auch der Backshop der Biebelhausener Mühle und die Sparkasse mit ihrem Geldautomaten haben bereits die Segel gestrichen. "Problematisch" ist für den neuen Ortsvorsteher Karl Lübeck die Lebensmittelversorgung in Kürenz. Der Supermarkt in der Kürenzer Straße ist der einzige Lebensmittelladen im Stadtteil, jedoch durch seine Randlage auch nur gut mit dem Auto oder dem Bus erreichbar. "Wenn es in einer Straße noch eine Apotheke, eine Metzgerei und eine Bäckerei gibt, fördert das gegenseitig das Geschäft", sagt Michael Franz Schmidt, Inhaber der St. Bonifatius Apotheke in Alt-Kürenz. Die Fleischerei Pössel, die Bäckerei Anton und die Apotheke St. Bonifatius in der Avelsbacher Straße konnten daraus jedoch in der zurückliegenden Zeit nicht so recht Kapital schlagen. Erst seit März dieses Jahres können ihre Kunden wieder die Geschäfte wie gewohnt mit dem Auto anfahren. Eineinhalb Jahre wurde die Straße erneuert. "Davon haben sich die Geschäftsleute noch nicht erholt", weiß Apotheker Schmidt. Die Umsätze aus der Zeit vor der Baustelle seien noch nicht wieder erreicht. "Die Geschäftsleute in Alt-Kürenz haben sehr gekämpft. Ein Laden wird in Kürze jedoch schließen müssen", verrät Schmidt. Zu groß sei die Konkurrenz des Einkaufszentrums Tarforst, wo die Gänge zum Arzt, zur Apotheke, in Supermarkt und Drogeriemarkt in einem Aufwasch zu erledigen sind. Den dörflichen Ortskern und den Zusammenhalt in Alt-Kürenz sieht der Apotheker dadurch bedroht. Für Kürenzer Lokalkolorit sorgt noch die Bäckerei Anton in der Avelsbacher Straße. Mit ihrem Brot "Lehmarsch"-Brot hält sie die humorvolle Bezeichnung für Kürenzer in Erinnerung. Eine Abwechslung für den an Großketten-Brot gewöhnten Gaumen bietet auch Heike Hoffmann, die die Bäckerei in der Domänenstraße in der vierten Generation führt. Zwar wird bei ihr kein Teig mehr geknetet, und es raucht auch kein Ofen in der Backstube, doch bei ihr bekommt man Brote und Teilchen aus einer kleinen Dudeldorfer Bäckerei. Das Geschäft laufe jedoch "schleppend". An diesem Abend, kurz vor 18 Uhr, während der Feierabendverkehr durch die Domänenstraße rollt, hält noch schnell ein junger Mann und kauft bei Heike Hoffmann sein Weizenmischbrot. Doch die Gewürzgurken und den Rotwein für das Abendessen hat auch er nicht in Kürenz besorgt.

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