Schieb auf, lass los!

TRIER. Ein Feuerwerk intelligenter Satire mit hohem Selbst-Wiedererkennungswert prasselte auf die Besucher des Kabarett-Programms "Begrabt meine Uhr an der Biegung des Flusses" in der Tufa Trier nieder. Frank Astor vermittelte in einem "Musik-Seminar-Kabarett" acht Wege, das Leben als Profi-Arbeitsaufschieber zu genießen.

Die Nebelmaschine faucht, wummernde Bässe ertönen, das Publikum klatscht rhythmisch mit, und aus dem wolkigen Weiß löst sich plötzlich Motivationsguru Francesco. Charismatisch wie Falco, dynamisch wie ein Spitzentrainer heizt er seinem Publikum ein, jeder und jedem: "Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens, yeah, wenn du heute nach Hause gehst, wirst du Herr über deine Zeit sein!" Zur Melodie von "Live is Life" hämmert er seinen "Seminarteilnehmern" die Erkenntnis ein: "Ihr seid alle Millionäre, Zeitmillionäre, und was tut ihr mit euren Millionen? Vergeuden!" Klar für Zeitfuchs Francesco, dass das angesichts der Maxime "Zeit ist Geld" nicht geht. Deshalb muss der Tag länger werden. Also dehne man den Montag auf 48 Stunden aus, dann hat man Dienstag gespart und Kraft für einen 72-Stunden-Mittwoch. Was Frank Astor hier mit großartiger schauspielerischer Leistung an sein Vorgängerprogramm "20 Methoden, sein Leben zu verplempern" anknüpft, ist Persiflage auf Zeitmanagement-Seminare. Überaus gelungen, denn sowohl er als auch der Autor des Programms und seiner Songs, Malte Leyhausen, haben einschlägige Erfahrung. Leyhausen ist Unternehmensberater und Trainer für Zeitmanagement, Astor hat als Profi-Schauspieler in Unternehmen Präsentationstraining angeboten. Seit zwei Jahren ergänzen sie ihre Talente im Kabarett. Als Dritter im Bunde formt Regisseur Michael Seyfried Astors Auftritte zur auch das Publikum einbeziehenden, ausgebufften Show. Mit dramaturgischem Knalleffekt: Guru Francesco wird Opfer seiner eigenen Effizienz-Ideologie, die in Wahrheit dazu geführt hat, dass er stets nur Dinge aufgeschoben hat. Und weil er alles verliert, sich sein Leben nun umkehrt ("Die Katze füttert mich"), kann er sich endlich zu seinem Talent, im Dauerlauf Erfolge zu verhindern, bekennen und eine neue Ideologie verkünden: "Schieb auf, lass los!" Klar, dass auch das Methode haben muss. Zum Beispiel: "Setze dir nie Prioritäten!" "Halte Unordnung!" Oder: "Besuche Seminare! (Vielleicht das für 68er: Vom LSD zu DSL?)". Die nähere Erklärung dieser Grundsätze führt in "Epizentren der Arbeitsvermeidung" (Versicherungen, Post), beleuchtet die Steigerung von Bodenhaltung (Käfighaltung, Buchhaltung) und charakterisiert Schreibtischtypen: Das chaotische Genie (perfekt im Stapelbilden), oder den Entertainer (mit Diddl-Tasse und China-Poster: "Albeite immel flöhlich und ohne mullen"). Das Pointen-Feuerwerk erntet Lachsalven, es ist niemand im Publikum, der sich nicht wieder erkennen oder besser: ertappt fühlen würde. Zum Beispiel in den köstlichen praktischen Tipps, wie man gesprächige Kollegen als Zeitdiebe nutzen oder Unordnung steigern kann, indem man Telefonnummern auf Zetteln und ohne Namen notiert. Ein bisschen stand Paul Watzlawicks "Anleitung zum Unglücklichsein" Pate. Deshalb kann das spritzige Programm nicht ohne sinnhafte Quintessenz enden. Der Geschichte vom Fischer, den ein Unternehmensberater belehrt: "Du musst deine Effizienz steigern, dann wirst du reich und könntest den ganzen Tag in der Sonne sitzen und angeln", woraufhin der Fischer sagt: "Das kann ich jetzt schon!"

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