Schlaflos surfend um die Welt

TRIER. Mehr als 1400 Schüler aus 50 Ländern diskutierten beim sechsten schulischen Sonderchat über Verbrauch, Nachhaltigkeit und Zukunft. Das Herz der Aktion schlug in Trier, wo ein Team engagierter Ausdauersurfer im Computerraum des Hindenburg-Gymnasiums als Techniker und Türsteher den Laden rund um die Uhr am Laufen hielt.

Donnerstag, 0 Uhr Weltzeit, 1 Uhr Ortszeit - von Trier aus starten nach und nach Surfer rund um die Erde. Mehr als 1400 werden es am Ende dieses Marathonkonferenztags sein. "Da hocken Leute in Indonesien, Lettland und den USA, tauschen sich aus, und alles läuft bei uns zusammen", freut sich Projektleiter Martin Jarrath. Für den Erdkunde-, Chemie- und Computer-Lehrer flimmert schon die sechste Supersitzung über die Mattscheibe. Als Unesco-Schulprojekt 1998 mit Kollegen geboren, hat er sein Vorzeigekind beim Ortswechsel 2003 mit nach Trier gebracht. Zum zweiten Trierer Online-Schultag kommen in diesem Jahr auch Schulaufsichtsbehörde, Oberbürgermeister und Kulturdezernent den jungen Chat-Profis über die Schultern gucken.Schüler aus Bosnien, Indien, Russland und China

Insgesamt sechs Schulen aus Deutschland, Polen, Estland und Dänemark organisieren das Event. Doch die Zügel haben jetzt die Trierer in der Hand. Neben technischen Boxenstops sichern die Jugendlichen den virtuellen Informationsfluss, haben sich dafür sogar mit anderen auf Wochenendexkursion zum Moderator fortbilden lassen. Tag X - nach wochenlanger Vorbereitung: Laufend gehen noch Anmeldungen rein, müssen geprüft und frei geschaltet werden. Gerade hakt es im System, ein irgendwo in Übersee gestrandeter User will mit Trierer Hilfe wieder ins Datenmeer. "Aber es geht nicht in erster Linie um die Technik", erklärt Leitlehrer Jarrath das Ziel der Mega-Konferenz: "Überall gibt es Computer an den Schulen, aber kaum realistisch umsetzbare Angebote, damit inhaltlich im Unterricht zu arbeiten." Hier werde lebendig Englisch, Sozialkunde, Politik und Erdkunde betrieben. Auf der Internetseite zum Agenda21now! getauften Projekt hätten Vorbereitungsmaterialien zum Konsum-, Energie- und Zukunftsthema gelagert. "Das ist mehr als ein Chat. Wir haben qualifizierte Teilnehmer aus den Unesco-Verbundschulen und Experten", stellt er klar. Dabei könne immer jeder ab 14 Jahren mitreden. Aus der virtuellen Bekanntschaft sind zum ersten Mal auch ausländische Schüler live zum Diskussions-Marathon nach Trier gekommen: "Unsere Sichtweisen sind sehr verschieden, aber das ist spannend", erzählt Maciej Kawalski - in der Konferenzsprache Englisch. Der 18-Jährige ist mit Lehrer und fünf Mitschülern erst am Tag zuvor extra aus dem polnischen Katowice an die Mosel gereist und sitzt jetzt in der Webzentrale neben seinen deutschen Kollegen. "Im Moment haben wir etwa 3000 Wortbeiträge", überschlägt Fabian Beck aus der Computer-Crew. Auf seinem PC führt der Zwölft-Klässler durch die vier Konferenzräume zu Nachhaltigkeit, Konsum, Energie und Produktion. An einem Themenast zu China im Konsumaufwind hangeln sich Schüler aus Bosnien, Indien, Russland und Deutschland neben Chinesen entlang: "Man spürt deutlich regionale Unterschiede, Innen- und Außensicht", beschreibt der 17-Jährige mit ernster Miene. Daneben flirten und frotzeln Horden von Jugendlichen im Off-Topic-Kaffeeraum. Sein Englisch habe schon beim Internetprojekt vor einem Jahr einen kräftigen Schubs bekommen. Ansonsten sieht Beck das ganze schlicht als Abenteuer im Klassenraum: "So viele Leute aus verschiedenen Ländern, rund um die Uhr ohne Schlaf, Selbstversorgung, einfach cool", findet er und sieht den restlichen 13 Stunden zuversichtlich entgegen.

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