Schneeballeffekt gegen Tabu-Thema

BIEWER. Vor 15 Monaten wurde er gegründet, in wenigen Wochen ist Schluss: Der Verein "Kinder sind tabu" leistete in der kurzen Bestehens-Zeit Aufklärungsarbeit über sexuellen Missbrauch. Probleme blieben nicht aus.

 Infos gegen Missbrauch: Der Verein "Kinder sind tabu" betrieb Aufklärung mit Broschüren und Handzetteln.Foto: Gabriela Böhm

Infos gegen Missbrauch: Der Verein "Kinder sind tabu" betrieb Aufklärung mit Broschüren und Handzetteln.Foto: Gabriela Böhm

VereinsgründerinElke Bulger spricht von rund 100 Fällen jährlich in der Region,bei denen Kinder Opfer sexualisierter Gewalt sind. DieDunkelziffer liege zehn Mal höher. Dreieinhalb Jahre lebten Elkeund Frank Bulger mit ihrem Mieter Dieter Gieseking unter einemDach - nicht wissend, dass der Nachbar bekennender Pädophilerist. Die Erkenntnis darüber veranlasste das Ehepaar, sich in dieMaterie einzuarbeiten. Elke Bulger: "Wir wollten das Tabu-Themasexuelle Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern in dasöffentliche Licht rücken." Mit Flugzetteln versuchten sie,Aufklärungsarbeit zu leisten - kein leichtes Unterfangen, wiesich heraus stellte. Legten einige Geschäftsleute die Broschüren noch auf ihrer Theke aus, zeigten Kinderärzte "Null Reaktionen" auf die Bitte, die Flyer in den Praxen zu verteilen. Etwas Enttäuschung schwingt in Elke Bulgers Resümee über die Vereinsarbeit mit. Was aber auch daran liegt, dass Unterstützung ausblieb. "In den ersten Reaktionen auf das Thema Pädophilie waren die Leute total entsetzt. Viele sagten Hilfe für den Verein zu, die wurde aber nicht eingelöst", berichtet die 42-Jährige.

Unzufrieden blickt sie jedoch nicht auf die letzten 15 Monate zurück. Schließlich gab das Ehepaar Bulger vielen Medien Informationen über sexuellen Missbrauch von Kindern, Hilfsmöglichkeiten und geeignete Beratungsstellen weiter. Kontakte zu überregionalen Organisationen wie Pusteblume e.V., Dunkelziffer e.V. und dem Kinderschutzbund ergaben ein kleines Netzwerk. Elke Bulger spricht von einer Art "Schneeballeffekt".

Eine der wichtigen Aktionen war eine Aufklärungsserie in Radio 22, in der Fachleute vom Kinderschutzbund und eine Anwältin Informationen zu Pädophilie gaben. Da das Ehepaar Bulger selbst keine fachliche Ausbildung hat, war von Anfang an die enge Zusammenarbeit mit Profis vorgesehen. Aufklärungsveranstaltungen in Kindergärten und Schulen waren geplant - doch die Vorhaben scheiterten am fehlenden Fachpersonal. "Nur durch solche Info-Abende kann man langfristige Aufklärungsarbeit leisten", sagt Bulger und bedauert, dass es zu wenig fest angestellte Fachkräfte für diesen Bereich gibt.

Sie betont, bei ihren Vereinsaktivitäten nicht Dieter Gieseking "im Visier" gehabt zu haben. Doch zwangsläufig sei das Gespräch immer wieder auf ihn gekommen. Auch der Pädophile suchte die Öffentlichkeit und machte bundesweit Schlagzeilen mit seinem Antrag, als so genannter Gefangenenhilfeverein "Krumme 13" ins Vereinsregister aufgenommen zu werden. Zuletzt schrieb er das Ehepaar Bulger im Januar aus Hamburg an, um auf "schockierend kumpelhafte Art" über seine derzeitigen Aktivitäten zu berichten. Völliges Unverständnis hat Elke Bulger für Fernsehsender, die in Talkshows Gieseking ein Forum für seine Ansichten boten.

Wenn in wenigen Wochen der Verein "Kinder sind tabu" aufgelöst wird, liegen die Gründe dafür in der beruflichen und privaten Belastung der Bulgers. Dann werden zu gleichen Teilen der Kinderschutzbund und eine betreute Wohngruppe für misshandelte Kinder in den Genuss der gesammelten 1000 Euro kommen. 30 Mitglieder hatte der Verein, Prominente oder spendable Firmen waren nicht darunter. Trotz aller Probleme zieht Elke Bulger ein positives Fazit, wenn "wir durch unsere Aktivitäten nur ein Kind vor sexuellen Missbrauch bewahren oder seinen Leidensweg beenden konnten".

Morgen in unserer Stadtteilserie: Die Geschichte der Biewerer Mühlen.

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