Selbstbestimmung bis zum Schluss?

TRIER. (chj) Dieter Lintz hat eine und Franz-Josef Tentrup auch. Ebenso meldete sich jeder Vierte im Publikum auf die Frage der Moderatorin Marion Barzen, wer eine Patientenverfügung besäße. 120 Besucher kamen zur Podiumsdiskussion mit dem Titel "Bestimmen wir uns zu Tode?" in der Volkshochschule am Domfreihof.

In Deutschland haben sieben Millionen Menschen eine Patientenverfügung - Tendenz steigend. Bei der von den Sozialdiensten katholischer Frauen und Männer veranstalteten Podiumsdiskussion "Bestimmen wir uns zu Tode?" in der VHS sind überdurchschnittlich viele Besucher dabei, die über ihr Sterben mitentscheiden möchten. Fast 30 Gäste melden sich auf die Frage der Moderatorin Marion Barzen, wer eine Patientenverfügung besäße. Zu ihrer nicht geringen Überraschung zeigen auch Franz-Josef Tentrup und Dieter Lintz von den Diskussionsteilnehmern auf. "Das ist aus der Beschäftigung mit dem Thema heraus entstanden", sagt der TV-Redakteur, der die Aktion "Da sein" mit ins Leben gerufen und zahlreiche prämierte Artikel darüber geschrieben hat. "Es muss die Option vorhanden sein, selbst zu entscheiden, ob alles Medizinische versucht wird, oder die Geräte irgendwann abgeschaltet werden." Franz-Josef Tentrup, langjähriger Leiter der Trierer Palliativstation und Mitgründer des Hospizhauses, wirbt zwar auch für die Patientenverfügung, ist aber aus eigenen Erfahrungen skeptisch, was den Stellenwert angeht. So sei es problematisch, einer spontanen Willensäußerung nachzukommen. So berichtet er von einem Patienten, der nicht weiter beatmet werden wollte, aber im Nachhinein glücklich darüber war, dass der Arzt anders entschied. "Eine Patientenverfügung kann keine Forderungen stellen", so Tentrup. "Sie hat nur Veto-Recht." Dies ist jedoch eine Grauzone. Es gibt noch keine gesetzliche Regelung zur Patientenverfügung. Laut Gerald Gass vom rheinland-pfälzischen Gesundheitsministerium könnte sich das aber bald ändern. Der Landtagsabgeordnete nahm an den aktuellen Koalitionsverhandlungen teil und bestätigt, dass die Rechtssicherheit von Patientenverfügungen verstärkt werden solle. Bestätigen kann dies der Vorsitzende der Bezirksärztekammer, Peter Schwerdtfeger. Nach drei Schlaganfällen vegetierte seine Mutter anderthalb Jahre im Pflegeheim vor sich hin. "Das war eine schreckliche Erfahrung." Nicht nur deshalb empfiehlt Schwerdtfeger, auch im Sinne der Angehörigen eine Patientenverfügung zu verfassen. Auf der anderen Seite müsse ein Arzt natürlich auch erkennen, inwieweit das Umfeld Einfluss auf diese Entscheidung genommen hat. Der HNO-Chefarzt im Mutterhaus erinnert sich an zwei Fälle, in denen Angehörige wissen wollten, wie lange der Großvater noch zu leben habe. Im ersten Fall profitierten die Kinder von der Doppelrente des Opas, im zweiten verweigerte der Großpapa den Bau einer Veranda. Wolfgang Ockenfels von der Theologischen Fakultät Trier hat deshalb große Bedenken bei der Patientenverfügung. Da der eigene Wille auch stark durch die Umgebung manipulierbar sei, solle der Mediziner die Frage nach lebensverlängernden Maßnahmen beantworten. Einig sind sich jedoch alle Teilnehmer, dass vor dem Verfassen einer Patientenverfügung eine Beratung mit dem Arzt notwendig sei. Dann solle der eigene Wille schriftlich fixiert werden. Trotz der differenzierten, anderthalbstündigen Diskussion bleibt das Thema "Patientenverfügung" komplex, und die schwierige Entscheidung, ob man über lebenserhaltende Maßnahmen mitbestimmen will, mehr oder weniger einem selbst überlassen. Oder wie Tentrup es formuliert: "Sterben wird eine harte Wegstrecke bleiben."

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