Spendenaktion Wittlicherin setzt sich gegen Blutrache ein

Wittlich · „Meine Hilfe zählt“: Katrin Bornmüller aus Wittlich bittet um Spenden, damit grausame Selbstjustiz im südosteuropäischen Albanien endet.

 Im Dezember 2018 erhielt Katrin Bornmüller (Dritte von links) in einer Zeremonie in der albanischen Hauptstadt Tirana für ihren langjährigen Einsatz den Ehrentitel der Friedensbotschafterin.

Im Dezember 2018 erhielt Katrin Bornmüller (Dritte von links) in einer Zeremonie in der albanischen Hauptstadt Tirana für ihren langjährigen Einsatz den Ehrentitel der Friedensbotschafterin.

Foto: TV/IGFM

Katrin Bornmüller packt ständig: Regelmäßige Hilfstransporte, die Tausende Kilometer zurücklegen. „Unser Lager ist so voll“, sagt sie. Am Freitag startet der 504. Transporter in Wittlich, er bringt Notlinderndes nach Litauen. Oder die 80-Jährige packt ihre eigenen Koffer. Anfang August fliegt sie in den Irak, um sich ein Bild vor Ort zu machen, um Netzwerke auszubauen, um zu helfen. Auch eine Einladung nach Berlin hat sie angenommen, wird während einer Kundgebung von Iranern auf dem Pariser Platz sprechen.

Seit rund vier Jahrzehnten setzt sich die Wittlicherin für Menschenrechte ein, neun Jahre lang war sie Vorsitzende der deutschen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), heute ist sie dort Ehrenvorsitzende. 1980 hatte Bornmüller die IGFM-Arbeitsgruppe in Wittlich gegründet, die sie leitet. Viele Ehrenamtliche setzen sich mit ihr für die vielen Hilfsaktionen ein.

Darunter ist das „Meine Hilfe zählt“-­Projekt „Blut­rache­fehden beenden, versteckte Familien­angehörige unterstützen“. „Blutrache ist eine der hinterhältigsten Arten von Selbstjustiz“, sagt Bornmüller. In Albanien habe das Phänomen unermessliches Leid in Familien gebracht. Sie hat in Albanien eine Mutter besucht, die sich seit Jahren mit einem ihrer Söhne versteckt. Mehr dazu später.

 Vereinsmitglieder in Wittlich beim Beladen von LKW mit Hilfsgütern.

Vereinsmitglieder in Wittlich beim Beladen von LKW mit Hilfsgütern.

Foto: TV/Katrin Bornmüller

Aktuell werde von über 200 Fällen berichtet. Bornmüller erklärt das grausame Prinzip der Blutrache: „Wenn ein männliches Mitglied einer Familie ermordet wird, dann soll dieser schrecklichen Tradition folgend ein Sohn der Familie des Täters, der mindestens 13 Jahre alt ist, das gleiche Schicksal erleiden.“ Das sei religions­übergreifend. Christen wie Muslime nähmen sich das Recht zur Selbstjustiz. Was steckt dahinter? „Die Überzeugung, das Recht zur Verteidigung der Familien­ehre zu haben, wenn die staatliche Justiz in den Augen der Opferfamilien schwere Verbrechen zu milde ahndet“, sagt Bornmüller. Inzwischen seien auch Frauen und Mädchen Opfer. Manche Fehden dauerten Generationen. Denn es sei nicht zwangsläufig zu Ende, wenn sich eine Familie gerächt habe. Mit dem Vergeltungs­akt beginne die Revanche. „Es ist so schrecklich, man kann es sich nicht vorstellen“, sagt Bornmüller.

Für unschuldige Familienmitglieder, die um ihr Leben fürchten, bedeutet das, dass sie sich verstecken müssen. Während ihres humanitären Einsatzes vor drei Jahren in Albanien traf Bornmüller eine Mutter, die sich mit einem ihrer Söhne seit zehn Jahren unter ärmlichsten Bedingungen in einem Schuppen in den Bergen versteckt. Der Sohn habe nie die Schule besucht oder eine Ausbildung machen können, sagt die Menschenrechtlerin. Eine ehemalige Lehrerin versorge die beiden mit Lebens­notwendigem, immer auf der Hut davor, entdeckt zu werden. Sie sei der einzige Kontakt der zwei zur Außenwelt.

Eine Professorin für internationales Recht und Vorsitzende der IGFM in Albanien bemüht sich seit Jahren, 30 Fehden im Großraum der Hauptstadt Tirana zu beenden – und dass die Familien versorgt werden. Sie selbst unterstützt zwei davon, insgesamt sieben Personen, die in einem Versteck leben, darunter fünf minderjährige Kinder.

Es gibt Hoffnung: Laut Bornmüller versucht ein kleines, sorgfältig ausgesuchtes Team in Albanien, die verfehdeten Familien an einen Tisch zu bringen. Mit dabei sei ein Mediator, Wieder­gutmachungs­leistungen würden ausgehandelt. Wirklich Schluss sei erst, wenn ausnahmslos alle Familienmitglieder zustimmten. Die Vermittlungen sind der Wittlicherin zufolge langwierig, doch es gibt Erfolge, Menschenleben konnten gerettet werden.

 Der Einsatz aller Helfer in Albanien ist ehrenamtlich. Die IGFM bittet über das Hilfeportal unserer Zeitung um Spenden, damit Frauen, Männer und Kinder, die sich aus Furcht vor Blutrache verstecken müssen, mit Lebens­notwendigem und mit Schul­materialien versorgt werden können. 5000 Euro werden gebraucht, 3200 Euro fehlen noch.

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