Senioren im Streitgespräch

Trier. (red) Die Spielregeln sind einfach: Jeder darf alles sagen, keiner muss sich rechtfertigen und niemand soll angegriffen werden für das, was er sagt. Beim Freitagsstreitgespräch, das seit rund fünf Jahren wöchentlich im Begegnungsforum Haus Franziskus in der Trierer Christophstraße stattfindet, ist jeder willkommen.

Auch an diesem Freitagnachmittag sind wieder 18 meist ältere Gäste ins Foyer des restaurierten Kutscherhauses gekommen. Ihnen gemeinsam ist der Wunsch nach Kontakt zu anderen Menschen und guten Gesprächen. Eine ältere Dame im Rollstuhl sitzt mit im Kreis. "Ich freue mich auf jeden Freitag, den ich hierher kommen kann, denn ich möchte mit gesunden Menschen zusammen sein und ganz normal mit ihnen diskutieren", sagt die 60-jährige Margit P. Sie ist an Multipler Sklerose erkrankt und lebt seit 20 Jahren in einem Pflegeheim. "Hier im Haus Franziskus wissen die Menschen, dass ich zwar körperlich eingeschränkt bin, aber sehr klar denken kann", sagt sie und beteiligt sich rege an der Diskussion, die von Franz-Josef Euteneuer, dem Leiter des Begegnungsforums, moderiert wird. Ein anderer Gast des heutigen Nachmittags, Günther R., hat vor sich eine Kladde mit umfangreichen Notizen liegen. "Ich bereite mich auf die Themen der Freitagsstreitgespräche inhaltlich vor", sagt der ehemalige Lehrer, der dafür auch die Stadtbibliothek aufsucht. "Mir macht das Freude, und es hält mich jung", betont er. Selbstvertrauen stärken

Er kommt regelmäßig ins Haus Franziskus, besucht das Tagescafé und bietet einmal im Monat einen Bibelkreis an. Zusammen mit der Psychologin Gertrud H., ebenfalls ein häufig gesehener Gast im Haus, übernimmt er auch schon mal die Moderation des Freitagsstreitgesprächs. Die Menschen, die das Haus Franziskus besuchen, nehmen an den Veranstaltungen und Kursen teil und haben die Möglichkeit, ihren Fähigkeiten entsprechend selbst Angebote zu machen. "Das stärkt ihr Selbstvertrauen, sie entfalten sich und entdecken auch im Alter neue Seiten an sich", freut sich Euteneuer. So zum Beispiel Ludwig P.: Der ehemalige Juwelier hat sein Abitur an einem humanistischen Gymnasium gemacht. Noch heute interessiert er sich für Philosophie. Im Haus Franziskus traf er Gleichgesinnte und bietet jetzt auch selbst Kurse zu philosophischen Fragestellungen an. Maria W. ist mit ihren 48 Jahren eine der jüngeren Teilnehmerinnen am Freitagsstreitgespräch. Sie kommt seit einigen Monaten mit großer Begeisterung. "Ich finde es unglaublich interessant, was ältere Menschen denken und sagen. Sie haben so viel erlebt. Mir gehen da oft die Augen auf", gibt sie zu. Sie ist gerne mit älteren Menschen zusammen und empfindet es als eine Vorbereitung auf ihr eigenes Alter. "Ich habe schon jetzt Vorstellungen davon, wie ich leben möchte, wenn ich alt bin. Vorbilder dafür finde ich auch hier im Begegnungsforum", sagt sie.

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