Sightseeing mit den Ohren

Trier · Die meisten Trierer wissen, wie ihre Stadt aussieht. Aber wie hört sich ein Rundgang durch die Innenstadt an? Welche Gerüche steigen einem dort in die Nase? Wer sich nicht auf seine Augen verlässt, erlebt die Stadt von einer ganz anderen Seite. Ein Rundgang mit zwei Blinden.

Trier. Wer erkennt diesen Platz: Rechter Hand ist das Flattern mehrerer Fahnen im Wind zu hören - Seile klacken gegen die Masten, an denen sie befestigt sind. Im Hintergrund ist eine hohe Mauer, die die Schritte und die Stimmen der Passanten widerhallen lässt. Der Wind weht immer wieder einen würzigen Geruch, der an Pizza erinnert, über den heißen Platz. Links ist das Klirren von Gläsern und das metallene Geräusch von Besteck zu hören, das gegeneinander stößt. Am lautesten sind aber die Autos und Busse, die direkt vor der Nase vorbeirauschen.
So nimmt den Platz vor der Basilika wahr, wer die Augen schließt und, wie Arno Schuh und Marion Remmy, genau hinhorcht und riecht. Schuh, ein humorvoller Mann mit kratziger Stimme, ist blind. Remmy, eine quirlige blonde Frau mit weicher Stimme, sieht ebenfalls fast nichts. Die beiden sind Kollegen, sie arbeiten beim Bistum. Wer mit ihnen durch Trier schlendert, nimmt all die bekannten Orte von einer neuen Seite war. Eine Seite, die immer da ist, der man in der Regel aber keine Beachtung schenkt: der Klang der Stadt, ihre Gerüche, das Gefühl, über Pflastersteine zu laufen.
Schuh und Remmy hören dieselben Geräusche, wie jeder andere auch - aber sie haben gelernt, genauer hinzuhorchen. Wenn sie mit ihren Blindenstöcken unterwegs sind, orientieren sie sich stark an dem Echo, das der Stock auf dem Untergrund erzeugt. Das Echo seines Weges zur Arbeit kennt Arno Schuh so gut, dass er manchmal am Klang erkennt, wenn eine Tür offen steht, die sonst geschlossen ist.
Auf dem Weg zum Hauptmarkt übertönen die Glocken zweier Kirchen das Rattern des weißen Langstockes auf dem Pflaster; es ist zwölf Uhr. Die beiden Glocken läuten abwechselnd, aber in unterschiedlichen Abständen, sodass sie am Schluss synchron schlagen. Dann ist es wieder stiller, die Schritte und das Murmeln der Passanten in der Palaststraße sind klarer und lauter vernehmbar als an der Basilika, wo es weniger Mauern gibt, die ihr Echo zurückwerfen. Im Rücken ist die Glut der Mittagssonne zu spüren, in der Ferne dröhnt ein Flugzeug.
Wortfetzen und Satzteile


Doch auf Höhe des Petrus-Brunnens auf dem Hauptmarkt wird es plötzlich richtig laut. Rechts und links sind unzählige helle Stimmen gleichzeitig zu hören, nur Wortfetzen und Satzteile sind erkennbar: "... schon eine halbe Stunde!" - "... zusammen eine Pizza." Eine Schulklasse strömt um Remmy herum, die den Stock beim Gehen leicht nach vorne streckt und damit die Gruppe in zwei Hälften teilt.
An der Porta Nigra angekommen, endet die kleine Tour durch die Klänge, die Gerüche und die übrigen Facetten Triers, die sich mit den Augen nicht einfangen lassen. Einige Städte verleihen inzwischen Audioguides, also kleine Geräte, mit denen sich Touristen unterwegs eine Stadtführung anhören können. Aber selbst diese Führungen beschreiben in der Regel nur das, was zu sehen ist. Bis es Führungen für alle Sinne gibt, sei jedem Trierer, der seine Stadt neu kennenlernen will, ans Herz gelegt: Ab und an die Augen schließen und einfach hinhören!

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort