Das Leben in Listen Von schnatternden Gänsen und süßem Gebäck: So entstanden die Bräuche zum St. Martinstag

Vom riesigen Feuer steigen Rauchschwaden in die Luft, die Finger sind voller Zucker und im Gemeindehaus hat jemand den Tombola-Hauptpreis abgestaubt: Eine Gans. Es ist wieder St. Martin. Auch die Stadt Trier hat wohl etwas mit dem Namensgeber des Festes am 11. November zu tun.

 Der St. Martinstag hat eine lange Geschichte. Einige Bräuche, die heute noch typisch für den 11. November sind, reichen bis ins Mittelalter zurück

Der St. Martinstag hat eine lange Geschichte. Einige Bräuche, die heute noch typisch für den 11. November sind, reichen bis ins Mittelalter zurück

Foto: Unfallkasse Rheinland-Pfalz

Wer war eigentlich Sankt Martin?

Wie bei vielen historischen Personen vermischen sich auch bei Sankt Martin Geschichte und Sage. Laut Überlieferungen war er ein römischer Soldat, der um das Jahr 316 nach Christus in der römischen Provinz Pannonien im heutigen Ungarn geboren wurde. Aufgewachsen ist er in Pavia in Oberitalien. Martin starb am 8. November 397 im Alter von 81 Jahren im Ort Candes bei Tours. Am 11. November wurde er beigesetzt.

Der berühmten Legende nach ritt er an einem kalten Wintertag an einem hungernden und frierenden Bettler vorbei. Der Mann tat ihm leid, weswegen Martin mit seinem Schwert seinen warmen Mantel teilte und dem Bettler eine Hälfte davon gab. In dieser Nacht erschien Martin der Bettler im Traum, gab sich als Jesus Christus zu erkennen und bedankte sich bei Martin für seine Güte.

Nach diesem Erlebnis ließ sich Martin im Alter von 36 Jahren taufen und im christlichen Glauben unterrichten. Im Jahr 372 wurde er zum Bischof von Tours geweiht. Rund 30 Jahre lang ging Martin dieser Aufgabe nach und soll zahlreiche Wunder vollbracht haben. Nach seiner Beerdigung am 11. November wurde er heiliggesprochen. Heute ist St. Martin der Schutzpatron Frankreichs und verschiedener Berufe, beispielsweise der Winzer, Weber und Schneider. Aber auch der Beschützer der Armen und Bettler.

Der Grund, warum Martin Schutzpatron der Winzer wurde, ist auf eine Begegnung in Trier zurückzuführen: Kaiser Maximus lies zu Ehren Martins ein Festmahl veranstalten. Als während des Essens der Becher herumgereicht wurde, lies der Kaiser zuerst Martin daraus trinken, in der Hoffnung, den Becher dann aus dessen Händen zu erhalten. Dieser gab den Kelch jedoch an den Priester weiter, weil es sich laut ihm nicht ziemte, einen Kaiser einem Priester vorzuziehen. Alle Anwesenden bewunderten und applaudierten Martin für sein Verhalten und ein Weinkelch wurde daraufhin Teil seines Wappens.

Die Legende von Sankt Martin, auf einem Fenster dargestellt.

Die Legende von Sankt Martin, auf einem Fenster dargestellt.

Foto: Getty Images/iStockphoto/Jorisvo

Der Martinsumzug

Traditionell ziehen am 11. November, also an dem Tag, an dem Martin beigesetzt wurde, vor allem Kinder mit ihren Eltern durch die Straßen und singen dabei Martinslieder. Typisch ist auch, dass vorweg ein verkleideter Soldat mit dem typischen roten Mantel auf seinem Pferd reitet, der den Heiligen Martin darstellen soll.

Den wohl ersten, organisierten Martinsumzug in der Art feierte man zur Wende des 20. Jahrhunderts im Rheinland, schreibt Dieter Pesch in seiner Dissertation zum Martinsbrauchtum im Rheinland. Da die wirtschaftliche Bedeutung des 11. Novembers zu der Zeit kaum noch eine Rolle spielte, wurde der Soldat aus Tours nach Angaben des Erzbistums Köln ab sofort zu einem Symbol der Nächstenliebe. Im Zentrum der Umzüge stehen jetzt vor allem die Mantelteilung und das traditionelle Martinsfeuer.

 Wandbild eines St. Martinsumzugs in der Grundschule St. Paulin in Trier.

Wandbild eines St. Martinsumzugs in der Grundschule St. Paulin in Trier.

Foto: hoff ludwig

Das Martinsfeuer

Das Martinsfeuer findet heute in der Regel am Ende und Ziel des Martinsumzugs statt. Ursprünglich wollte man damit wohl böse Geister vertreiben und für ein Gedeihen der Wintersaat sorgen. Die Feuer sind seit mehreren Jahrhunderten in vielen Dörfern zu finden und existieren wahrscheinlich länger als die eigentlichen Umzüge. So schreibt der Schriftsteller Montanus in seinem Buch Die deutschen Volksfeste, Volksbräuche und deutscher Volksglaube in Sagen, Märlein und Volksliedern davon, wie er bereits 1818 im Rheintal „Tausende von Flammen überschaute.“

Die erste Erwähnung des Feuers gab es 1276 in den Niederlanden. Knapp 200 Jahre später, 1448, redet Graf Friedrich von Moers das erste Mal von Sankt Martin als „Funkentag.“ Laut Historiker Hans Dieter Heimig war es früher üblich, dass sogar die meisten Bauernhöfe eigene Martinsfeuer veranstalteten. Dabei soll unter anderem über das Feuer gesprungen worden sein. Das symbolisierte die reinigende Kraft des Feuers. Am Ende des Martinsabends gab es, früher wie heute, oft etwas Süßes.

Das Martinsfeuer steht mittlerweile im Zentrum der Martinsumzüge.

Das Martinsfeuer steht mittlerweile im Zentrum der Martinsumzüge.

Foto: IMAGO/Marc John

Die Martinsbrezel – Gebäck an Sankt Martin

Laut Hans Dieter Heimig geht Gebäck am Martinstag bis ins 16. Jahrhundert zurück. „Aus Köln ist bezeugt, dass Kinder nach 20 Uhr am Martinsabend singend von Haus zu Haus zogen, um das zu erhalten, was vom Martinsschmaus übrig geblieben war.“ Singen an Sankt Martin ist auch heute Standard, damals ging es im Text jedoch noch um die Verehrung der Heiligen. Das sogenannte „Heischen“ nach Gebäck war für viele Menschen nach einiger Zeit allerdings mehr ein Betteln. Daher entschied man sich dazu, den Kindern nach den Martinsumzügen gemeinsam süßes Gebäck zu geben.

Vielerorts waren es Weckmänner, vor allem im Rhein- und Sauerland, im Ruhrgebiet und in Westfalen allerdings Martinsbrezeln. Eine süße Brezel aus Hefeteig, mit einer Kruste aus Zucker. Die ist heute natürlich nicht nur am Martinstag, sondern mindestens um die ganze Martinszeit in den meisten Bäckereien in der Region im Angebot.

 Die süße Martinsbrezel.

Die süße Martinsbrezel.

Foto: Adobe Stock

Laternen

In einem der bekanntesten Martinslieder heißt es „Ich geh‘ mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir“. So, oder so ähnlich, wird das Lied schon seit dem 19. Jahrhundert gesungen. Den Brauch, dass sich Kinder aus Rüben und Kürbissen Laternen schnitzen, gibt es schon weitaus länger. Warum sie aber auch beim Martinszug zum Einsatz kommen, dafür gibt es verschiedene mögliche Erklärungen.

Eine dieser Überlieferungen, die auch das Erzbistum Köln anführt, ist die, dass der Leichnam vom Heiligen Martin damals in einem Boot über einen Fluss überführt wurde. Begleitet wurde er dabei von Laternenlicht.

Kinder ziehen an Sankt Martin mit Laternen durch die Straßen.

Kinder ziehen an Sankt Martin mit Laternen durch die Straßen.

Foto: dpa-tmn/Mascha Brichta

Die Martinsgans

Manche kennen sie vielleicht, die Sage von den verräterischen Gänsen. Martin, der als überaus fromm und gläubig galt, sollte im Jahr 371 zum Bischof von Tours ernannt werden – was er selbst aber nicht wollte. Deshalb versteckte er sich in einem Gänsestall. Doch die Vögel schnatterten so laut, dass sie das Versteck Martins verrieten und er das hohe Amt schließlich doch annehmen musste. Demnach würden Gänse also zur Strafe geschlachtet werden.

 Gänse sollen Martin damals verraten haben.

Gänse sollen Martin damals verraten haben.

Foto: dpa/Frank Hammerschmidt

Eigentlich ist der Ursprung des Brauchs nach Angaben des Erzbistums Köln aber ein ganz anderer: Der Martinstag hatte im Mittelalter eine wichtige wirtschaftliche Bedeutung. Denn mit ihm endete das Geschäftsjahr. Um die fällige Pacht zu zahlen, schlachteten die Bauern am Vorabend des Martinstags eine Gans und nutzten sie als Zahlungsmittel. Außerdem begann damals nach dem 11. November die 40-tägige Fastenzeit vor Weihnachten. Deshalb gab es vorher noch einmal ein Festessen, zu dem häufig ein deftiger Gänsebraten serviert wurde.