STADTGESPRÄCH

Dieser Tage vor dem Trierer Stadttheater: Neben der Eingangstür steht vor der Abendvorstellung eine Frau und hält ein Schild hoch mit der Aufschrift "Karte gesucht". Das kennt man aus Bayreuth, aber hierzulande haben selbst hartgesottene Theater-Fans so etwas noch nie gesehen.

Der böse Verdacht, es handele sich um eine vom Theater eigens abgestellte Komparsin, zerstiebt an der Kasse. Da stehen reihenweise Leute, die noch auf ein Last-Minute-Ticket hoffen, falls irgendwer seine Karte zurückgibt. Das muss Balsam sein für die Seele des publikumsschwundgeplagten Intendanten Gerhard Weber. Was gegeben wird an diesem Abend? Friedrich Dürrenmatts Tragikomödie "Der Besuch der alten Dame". Ohne auswärtige Stars, in einer für hiesige Verhältnisse durchaus modernen Inszenierung, frisch, frech, bissig. Es geht doch was in Trier, wenn man es richtig anfängt. Auch der Oberbürgermeister ganz oben in der Loge klatscht fleißig. Als ehemaliger Deutschlehrer dürfte Helmut Schröer eine Affinität zu Dürrenmatt haben. Aber vielleicht ist er ja auch aus ganz anderen Gründen am Thema interessiert. Schließlich geht es im "Besuch der alten Dame" um eine finanziell völlig desolate Stadt, die nicht mehr in der Lage ist, ihre Schulden zu bezahlen. Der Zustand des Pissoirs vorne rechts auf der Bühne entspricht durchaus dem Standard der einen oder anderen öffentlichen Einrichtung in Trier. In Güllen, wie das Theater-Städtchen heißt, naht Rettung in Form jener reichen alten Dame, die der Gemeinde und den Bürgern eine Milliarde Franken bietet, falls sie einen Mitbürger umbringen, der ihr einst Unrecht getan hat. Nach aktuellem Umrechnungskurs sind das 650 Millionen Euro. Damit ließe sich in Trier locker der Haushalt in Ordnung bringen, das Südbad veredeln, das Stadion ausbauen, alle Straßen sanieren, die Schulen luxuriös ausstatten, die Sportplätze mit Rasen versehen, der Petrisberg für den ÖPNV erschließen und und und... In Güllen beschließt der Stadtrat letztlich, auf die Bedingung einzugehen. Ein Glück, dass es solche Angebote nur im Theater gibt.Dieter Lintz

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