Telefonieren gegen das Vergessen

Eine schwarze Telefonzelle auf dem Trierer Hauptmarkt zieht die Blicke auf sich. Wer hineingeht und den Hörer abnimmt, kann Erinnerungen lauschen; Erinnerungen von Zeitzeugen, die aus ihrer Sicht über den Schrecken des Nationalsozialismus berichten. Die Installation von Initiator Jan-Christoph Krug kann noch bis Dienstag, 9. Februar, besucht werden.

 Nachdenken inmitten des Alltags: Passanten können den Geschichten von Zeitzeugen des Nationalsozialismus in der schwarzen Telefonzelle auf dem Hauptmarkt lauschen. TV-Foto: Mechthild Schneiders

Nachdenken inmitten des Alltags: Passanten können den Geschichten von Zeitzeugen des Nationalsozialismus in der schwarzen Telefonzelle auf dem Hauptmarkt lauschen. TV-Foto: Mechthild Schneiders

Trier. (mehi) Bereits um 10 Uhr steht die erste Besucherin vor der schwarzen Telefonzelle auf dem Hauptmarkt. Da hatte Jan-Christoph Krug seine Installation gerade erst aufgeschlossen. Die Frau habe das gesamte Band angehört, berichtet er. Immerhin mehr als 30 Beiträge mit einer Gesamtspieldauer von 45 Minuten sind darauf. Aufgesprochen haben sie Zeitzeugen, die die nationalsozialistische Zeit von 1933 bis 1945 miterlebt haben und ihre Erinnerungen schildern.

Vor einem Jahr hat der TV das Projekt vorgestellt. Das Ziel: Zeitzeugen sprechen ihre persönliche Geschichte und Geschichten auf Band, die Passanten in der Telefonzelle am nationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar hören können. Roman Herzogs Idee einer nachdenklichen Stunde inmitten der Alltagsarbeit funktioniere sehr gut, sagt Krug.

Auf den TV-Bericht hin hatten sich einige Menschen gemeldet. Zudem haben Krug und sein Verein Pioniergeister mit jungen Erwachsenen aus dem Stadtgebiet und dem Dekanat Schweich-Welschbillig zusammengearbeitet, die ebenfalls Interviews geführt haben. Deshalb fördert der Bund das Projekt im Rahmen seines Programms "Vielfalt tut gut".

Viele Zeitzeugen waren damals Kinder. Sie berichten von der Reichspogromnacht am 9. November 1938, von eingeworfenen Fenstern, zerstörtem Mobiliar auf den Straßen. Die Ungläubigkeit der damaligen Kinder ist noch heute zu spüren. Genau wie die Angst vor Fliegeralarmen. Die Unfassbarkeit, wenn sie erzählen, wie Piloten auf Kinder und Frauen schossen. Die Ungewissheit als Flüchtling, aber auch die Dankbarkeit für die Hilfe wildfremder Menschen. Manchmal ist ein Lachen zu hören, wenn etwa eine Frau erzählt, dass sie Schwarzsender gehört hat.

Die Zeitzeugen erzählen auch von starken, mutigen Menschen. Margarethe Melchisedech hat einen gekannt: ihre Oma. Diese hatte ein jüdisches Mädchen versteckt und ein anderes großgezogen. "Ich möchte, dass diese Sachen nicht verloren gehen." Die Jugend solle informiert sein, damit sie darüber nachdenke, ist das Anliegen der 77-Jährigen.

Hans Heitkötter will sein Wissen weitergeben, damit es nicht verloren geht. Er hat seine Geschichten bereits für die Familie aufgeschrieben. Nun erzählt der 95-Jährige sie erstmals öffentlich; erzählt, dass er als Mitglied der Katholischen Jugend als "staatsgefährlich" galt und als solches bevorzugt bei Mobilmachung einzuziehen gewesen sei. "Wir waren Kanonenfutter für Hitler."

Die schwarze Telefonzelle auf dem Hauptmarkt ist bis Dienstag, 9. Februar, täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet.

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