Tote Soldaten, tote Pferde

SAARBURG. Die Amerikaner sind am 26. Februar 1945 in Baldringen nach kurzer Kampfhandlung dort einmarschiert. Max Kind erlebte als 14-Jähriger hautnah die Kampfhandlungen und die Kriegsgräuel an der Zivilbevölkerung.

Die letzten zwei Monate seit dem Bombenangriff am 23. Dezember 1944 auf Saarburg, erlebten die wenigen Zivilisten, die sich noch im Stadtteil Beurig aufhielten, wie meine Mutter, meine Großeltern und ich, tagsüber in einem Westwall-Bunker und nachts im Keller auf Matratzen. Vor Sonnenaufgang ging es zu dem Bunker, um nicht von den Jagdbombern (Jabo) entdeckt zu werden, da diese auf alles schossen, was sich bewegte. Mit der Abenddämmerung ging es zurück zu unserem Wohnhaus. Am späten Nachmittag des 20. Februar 1945 war der Beschuss auf Beurig so heftig, dass mein Großvater (Soldat im 1. Weltkrieg) sagte, wir müssen Beurig verlassen, die Gefahr sei mittlerweile zu groß! Wir nahmen unseren, schon vor Wochen gepackten Handwagen und fuhren in Richtung Irsch, Zerf, Baldringen. Wir reihten uns in die zurück flutenden deutschen Truppen ein und hatten großes Glück, nicht von den Artilleriegranaten getroffen zu werden. Darum endete unsere Flucht vorerst bei Bekannten in Irsch. Am folgenden Tag suchten wir einen nahegelegenen Bunker auf und konnten miterleben, wie amerikanische Soldaten auf den Anhöhen um Saarburg auftauchten! Am gleichen Abend hieß es, weiterziehen Richtung Baldringen. Von Jabos angegriffene deutsche Truppen, tote Soldaten, tote Pferde, brennende Fahrzeuge. In Baldringen bei Bekannten angekommen, warteten wir. An einem trüben Nachmittag des 26. Februar 1945 war es soweit! Amerikanische Panzer, die von Zerf herkamen, rückten nach einem kurzen Gefecht in Baldringen ein. Kurz darauf wurden wir von einem baumlangen amerikanischen Soldaten mit einem Gewehr aufgefordert, den Keller zu verlassen. Das Nachbargebäude stand in hellen Flammen und wir mussten uns mit erhobenen Händen in die Dorfmitte begeben, wo sich mittlerweile alle Dorfbewohner und Flüchtlinge eingefunden hatten. Meine Armbanduhr wechselte den Besitzer. Geldbeutel und andere Gegenstände wurden auf einen Haufen geworfen. Anschließend wurden alle Zivilisten in der Dorfkapelle eingesperrt und verbrachten dort die Nacht. Zur späten Stunde erschienen zwei Soldaten und belästigten ein 18-jähriges Mädchen aus Ayl-Biebelhausen und wollten es mitnehmen. Weil sie sich weigerte, musste sie zur Strafe auf dem Altartisch Platz nehmen. Dachten wir. Aber es kam anders: Kurz nachdem die Soldaten die Kapelle verlassen hatten, gab es einen lauten Knall, das Mädchen fiel, tödlich getroffen, vom Altartisch und verblutete. Am Morgen des 27. Februar 1945 kam es zu schweren Kampfhandlungen. Deutsche Soldaten einer Gebirgsjäger-Division versuchten einen Gegenangriff, der aber nicht gelang. Durch deutsche Panzergranaten wurde die Dorfkapelle getroffen und die dadurch herabfallenden Deckensteine verletzten eine Frau schwer. Das war der Anstoß für die in der Kapelle dicht an dicht sitzenden Menschen, gegen den Willen der Amis die Kapelle zu verlassen. Sie suchten im Keller eines Nachbarhauses Schutz. Die Front kam zu stehen und das fast drei Wochen lang! In Hentern, etwa zwei Kilometer entfernt, lagen die deutschen Truppen, und Baldringen war weiterhin in amerikanischer Hand. Auf zwei Keller verteilt, auf Stroh schlafend, mussten wir die ganze Zeit dort ausharren. Immer wieder Kampfhandlungen. An Waschen oder Kleider wechseln war nicht zu denken. Mittlerweile machten sich Kleiderläuse breit. Auch ich war davon betroffen! Zu essen gab es fast nur Pellkartoffeln. Sie waren das Einzige, was den etwa 60 Personen blieb, um ihren Hunger zu stillen. Als sich die Kampffront weiter in den Hunsrück verschob und für uns keine weitere Gefahr mehr bestand, war der Zeitpunkt gekommen, in unsere Heimat zurückzukehren. Wir hegten böse Erwartungen: Steht unser Haus noch? Gott sei Dank war es so. Damit war für uns der Krieg beendet. Max Kind, Jahrgang 1930, Diplom-Ingenieur (FH) lebt seit 1968 in Saarburg-Beurig. Sein Vater war in dieser Zeit als Sparkassenbeamter mit der Kreissparkasse Saarburg in Simmern tätig, seine Schwester, 17 Jahre alt, als Flakhelferin in Österreich eingesetzt.

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