Traumatischer Weg aus Afghanistan

Trier/Helenenberg/Longuich · Javad Rasooli ist 20 Jahre alt. Sein Bruder Javid ist 18. Die Brüder stammen aus Afghanistan. Dass sie die Möglichkeit haben, ihr Leben nun zu genießen, ist für sie alles andere als selbstverständlich.

Trier/Helenenberg/Longuich. "Wenn du morgens das Haus verlassen hast, wusstest du nicht, ob du lebendig zurückkommst", erzählt Javad. In seiner Heimat Afghanistan wurde er vor vier Jahren entführt. Das Trauma sitzt tief, er kann seine Tränen kaum zurückhalten. "Für afghanische Verhältnisse waren wir eine reiche Familie", erzählt Javid. "Unser Vater hatte einen eigenen Betrieb. Als die Entführer anriefen, dachte er zuerst, das sei ein Scherz."
Der Vater zahlte Lösegeld, die Übergabe erfolgte in der Wüste. "Ich wusste nicht, wo ich bin und rannte einfach los", erzählt Javad. "Dann bin ich zusammengebrochen und habe mich vor Angst übergeben." Zwei Wochen später versuchten Entführer erneut, ein Familienmitglied gefangen zu nehmen. Da beschloss der Vater, seine Söhne zu einer Tante nach Deutschland zu schicken.Tägliche Tränen


"Wir waren etwa sechs Monate unterwegs, und wir haben jeden Tag geweint", erzählt Javid. 14 und 16 Jahre alt waren sie bei ihrer Flucht. Über die Skrupellosigkeit und die Methoden der Schleuser ist Javad noch heute entsetzt. Er erzählt, wie sie tagelang im Wald hausten, ohne Nahrung, es gab nur ein wenig Wasser. Frust spricht aus ihm, wenn er an die Unmengen an Geld denkt, die sie den Kontaktmännern bezahlen mussten, um weiter zu kommen.
Im türkischen Izmir wollten sie mit einem Boot nach Griechenland übersetzen. "Das Boot war zwei Meter breit und acht Meter lang", erzählt Javid. "Für acht Leute war das gemacht, und wir saßen mit 32 Menschen darin, darunter Familien mit Kindern!" Es kam noch schlimmer. "Der Schlepper sagte, wir sollten das Boot kaputt schneiden", erzählt Javad aufgebracht, "weil die Polizei ertrinkende Menschen eher aufnimmt."
Keiner der Brüder konnte schwimmen. Sieben Stunden lang schauten sie dabei zu, wie ihr Boot voll Wasser lief, bis sie schließlich von der türkischen Polizei geborgen wurden und in ein türkisches Gefängnis kamen. Außer dem, was sie am Leibe trugen, hatten die Brüder während ihrer Flucht nichts dabei. Sie hungerten und wurden verprügelt. Es wurde auf sie geschossen.
Vor vier Jahren erreichten Javid und Javad Rasooli Deutschland. Drei Monate verbrachten sie in Trier in der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende (AfA), anschließend wurden sie im Jugendhilfezentrum Don Bosco Helenenberg aufgenommen. Dort haben beide Brüder dieses Jahr ihre Schreinerausbildung abgeschlossen. Bei einer Ladenbaufirma in Longuich sind Javid und Javad mit offenen Armen empfangen worden.Auch die Eltern sind da


Mittlerweile hat es auch ihre Familie nach Deutschland geschafft. "Es war schrecklich, nicht zu wissen, ob unsere Eltern leben oder tot sind", sagt Javid. Zweieinhalb Jahre hatten sie keinen Kontakt. Ihre Eltern leben nun in Hermeskeil, eine Schwester wohnt in Rostock. Sie haben alle eine permanente Aufenthaltsgenehmigung. Endlich sind sie in Sicherheit.Extra

Carsten Lang, pädagogischer Leiter im Jugendhilfezentrum Don Bosco Helenenberg, ordnet den Fall von Javid und Javad so ein: "Die Fluchtbedingungen, unter denen Jugendliche hierher gelangen, sind oft traumatisch. In den letzten Jahren kamen sie vorwiegend aus Afghanistan, jetzt zunehmend aus Somalia. Und immer öfter werden sie quasi weitergereicht. Laut der Dublin-II-Verordnung sollte ein Flüchtling im ersten europäischen Land, das er betritt, einen Asylantrag stellen. Aber die Realität sieht anders aus. Die Anrainerstaaten des Mittelmeeres sind überfordert. Daher die aktuelle Diskussion: Wie finden wir zu einer gerechteren und gleichmäßigeren Verteilung der Flüchtlingsströme? Wir sollten Flüchtlinge nicht nur durch die Problembrille betrachten, sondern uns fragen, wie sie unser Zusammenleben bereichern können. Die jungen Menschen, die hierher kommen, sind integrationswillig. Mit ein wenig Unterstützung können sie Mut und Fuß fassen." mur

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