Trauriger Ermittlungserfolg 29 Jahre nach der Tat

S eit dem 4. November 1982 wird Lolita Brieger aus dem nordrhein-westfälischen Eifeldorf Frauenkron (Kreis Euskirchen) vermisst. Kurz nach ihrem Verschwinden startet die Polizei eine Suchaktion.

Ohne Erfolg: Die erst einen Monat zuvor 18 Jahre alt gewordene Frau bleibt unauffindbar.
Die Ermittler gehen zunächst nicht von einem Kapitaldelikt aus. Es gibt Spekulationen: Sie habe sich umgebracht oder sei von zu Hause fortgelaufen. Denn sie erwartete damals ein Kind. Der mutmaßliche Vater, Lolita Briegers damaliger Freund, kommt aus dem rheinland-pfälzischen Nachbarort Scheid im heutigen Landkreis Vulkaneifel. Der Hof seiner Eltern liegt nur wenige Hundert Meter von Frauenkron entfernt.
Seine Familie ist gegen die Beziehung. Also erzählt er laut Polizei seinen Eltern, er habe sich von der jungen Frau getrennt - fährt aber weiterhin zu ihr ins wenige Kilometer entfernte Jünkerath, nachdem sie dorthin umgezogen ist. Am Tag ihres Verschwindens aber sucht sie ihn noch einmal in seinem Elternhaus auf. Danach verliert sich ihre Spur.
Der damals 21-jährige Bauernsohn gerät zunächst nicht ins Visier der für den Fall zuständigen Trierer Kriminalpolizei. "Das kam erst 1987, als sie fünf Jahre weg war", sagt Hauptkommissar Wolfgang Schu. Damals habe man wegen Mordverdachts gegen den Mann ermittelt. Allerdings gab es keine Beweise, die zu einer Verhaftung hätten führen können.
Der Verdächtige bleibt in Freiheit, die Akte offen. Für Lolita Briegers Familie geht die bange Ungewissheit weiter. Bis sich die Trierer Ermittler im August 2011 noch einmal an die Öffentlichkeit wenden, in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY".
Die Geschichte nimmt eine entscheidende Wendung: Mehr als 100 Hinweise gehen ein, einer davon führt die Beamten zu einem Bekannten des Verdächtigen. Und dieser erzählt Wolfgang Schu während einer Vernehmung, er habe damals bei der Beseitigung der Leiche geholfen. Die tote Lolita Brieger sei auf dem Gelände einer stillgelegten Mülldeponie am Dorfrand vergraben, ihr Ex-Freund habe ihm gegenüber die Tat gestanden.
Im September nimmt die Polizei den mittlerweile 50-jährigen fest, seitdem befindet er sich in Untersuchungshaft und schweigt. Die Angaben seines mutmaßlichen Komplizen aber halten die Ermittler für glaubhaft. Und deshalb beginnen sie am Donnerstag, 6. Oktober, mit der Suche nach den sterblichen Überresten der vermissten Frau.
Stunde um Stunde gräbt sich ein Bagger in einem Waldstück bei Frauenkron tiefer ins Gelände. Nachdem die oberen Erdschichten abgetragen sind, stößt die Schaufel auf die Deponie, auf Bauschutt, Betonteile, Autoreifen, Margarineschachteln, Zeitschriften oder anderen Müll - und immer wieder auch auf Plastikfolien: In eine solche Folie soll der Leichnam eingewickelt worden sein. Die Polizisten stochern im Müll, lassen Spürhunde das Gelände absuchen, sie finden Tierknochen und andere Überreste. Lolita Briegers Leiche finden sie nicht.
Die Arbeiten gehen weiter, bei Wind und Wetter, unterbrochen nur an den Sonntagen, und mit jeder Schaufel schwindet wieder ein kleines Stück Hoffnung, doch noch fündig zu werden. Nur Wolfgang Schu bleibt gelassen: Man sei zuversichtlich, sagt der Einsatzleiter, der Zeuge sei glaubhaft, man brauche eben Geduld. Nein, sagt er im Dezember, er habe tatsächlich zu keinem Zeitpunkt die Hoffnung aufgegeben.
Am Ende bleibt fast nur noch eine Ecke unberührt - kurz hinter der Stelle, an der am ersten Tag die Grabungsarbeiten begonnen haben und außerhalb des Bereichs, in dem der Zeuge den Leichnam vermutet hatte. Wolfgang Schu entscheidet, die Fläche ebenfalls ausbaggern zu lassen, obwohl kaum noch jemand daran glaubt, dort etwas zu finden.
Und dann passiert es doch: Am Mittwoch, 19. Oktober, nach elf Tagen Suche, legt der Bagger ein längliches, großes Stück Kunststofffolie frei. "Wir haben mit der buchstäblich vorletzten Schaufel sehr wahrscheinlich die Überreste des Leichnams gefunden", sagt Wolfgang Schu zum TV. Bald darauf werden die Gerichtsmediziner die Tote identifizieren.
Das Höchste der Gefühle, die sich Wolfgang Schu genehmigt, ist Erleichterung. Triumphieren kann er nicht, dazu ist die Geschichte zu grausam und zu traurig. Für Oberstaatsanwalt Jürgen Brauer, für Polizeipräsident Lothar Schömann und für Präsidiumssprecher Karl-Peter Jochem ist der Erfolg vor allem Schus Beharrlichkeit zuzuschreiben. Und alle sind sich einig: Das Wichtigste sei, dass Lolita Briegers Familie nun nicht mehr im Ungewissen bleiben müsse.
Wolfgang Schu, seit 39 Jahren bei der Polizei und seit 18 Jahren Kripobeamter, hat schon öfter bewiesen, dass man mit Geduld zum Ziel kommt: Zum Beispiel bei einer Bande rumänischer Einbrecher - "da hat es sieben Jahre gedauert, bis ich sie alle hatte". Andere Geschichten gehen ihm natürlich näher: ermordete Kinder, zerstückelte Leichen, Wolfgang Schu ist immer wieder mit Grausamkeiten befasst.
"Man macht diese Arbeit aus zwei Gründen", sagt er. "Erstens will man die Tat klären. Man will aber auch den Angehörigen die Wahrheit verschaffen. Aus meiner Sicht sollen sie wissen, was passiert ist. Vor allem, wenn man sieht, wie viel Leid damit zusammenhängt." Wie wichtig das im Fall von Lolita Brieger sei, habe ihm ihre Mutter klargemacht, die längst ahnte, dass ihre Tochter nicht mehr lebte. Nachdem ihr der Kommissar vom Fund berichtet hatte, sagte sie: "Wir haben sie zurückbekommen."
Zweieinhalb Wochen danach lassen die Angehörigen den Leichnam Lolita Briegers beisetzen. Ihr früherer Freund schweigt weiter.
Fritz-Peter Linden

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