Trier - mein Nest!

Tenor Thomas Kiessling kommt viel in der Welt herum, aber zu Hause fühlt sich der 49-Jährige nur in Trier. Warum ihm Deutschlands älteste Stadt die Geborgenheit gibt, die er braucht, erzählt der Sänger in unserer Serie.

 Geborgenheit und Schmuckstücke im Viertel: Thomas Kiessling liebt Trier-Süd. In der Spee-Straße mag er besonders das Haus der Künstlerin Frauke Güntzel mit den wechselnden Skulpturen am Eingang. TV-Foto: Katja Bernardy

Geborgenheit und Schmuckstücke im Viertel: Thomas Kiessling liebt Trier-Süd. In der Spee-Straße mag er besonders das Haus der Künstlerin Frauke Güntzel mit den wechselnden Skulpturen am Eingang. TV-Foto: Katja Bernardy

Ich glaube an Schicksal. Sicher ist nicht alles bis ins letzte Detail vorbestimmt, aber ich bin davon überzeugt, dass es Momente gibt, die so sein sollen, wie sie sind. Einer dieser Augenblicke war die Begegnung mit dem Tenor Antonis Papaconstantinou. Er war Professor an der Musikhochschule Frankfurt am Main und jahrelang mein Forderer und Förderer. Bereits als Kind hatte ich eine besondere Beziehung zur klassischen Musik: Ich mag ihre Ehrlichkeit, ich kann sie fühlen und in meinem Kopf entstehen dazu Bilder.
Als Vierjähriger habe ich bei den Sängerknaben in der Abtei Sankt Matthias gesungen, zwei Jahre später im Kinderchor des Trierer Theaters. Sicher spielt die Prägung durch meine Familie auch eine große Rolle: Mein Großvater war Dirigent, mein Vater Organist. Ich wuchs mit drei Geschwistern in Trier-Süd auf und nach der Schulzeit am Max-Planck- sowie am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium war gewiss: Ich lasse mich in Frankfurt zum Opernsänger ausbilden. Ich habe an der Musikhochschule am Main viel gelernt und auch gelehrt. Drei Jahre lang war ich Lehrer für Gesang, Ballett und Schauspiel.
Durch meinen Beruf reise ich viel in der Welt herum - in Mexiko und Stuttgart bin ich ebenso aufgetreten wie im Salzburger Festspielhaus, derzeit laufen Verhandlungen wegen eines Engagements in Thailand - aber nirgendwo fühlt sich meine Seele so wohl wie in Trier. Meine Heimatstadt ist mein Nest, ganz speziell unsere Wohnung mit Garten in Trier-Süd, wo ich mit meiner Frau lebe. Ich bin immer mit Heimweh unterwegs. Mein Rezept dagegen: Während eines länger dauernden Gastspiels fliege ich auch schon mal für einen Tag nach Hause.
Ich kenne in Trier jedes Steinchen, fast an jedem Flecken kann ich eine Geschichte erzählen. Dann sauge ich innerhalb von 24 Stunden diese vertraute Energie und Geborgenheit auf, um dann wieder gestärkt zu gehen und anschließend weiterarbeiten zu können. An zahlreichen Lieblingsplätzen, ich nenne sie Nebennester in meinem großen Nest Trier, halte ich mich regelmäßig und gerne auf: etwa im Südcarré. Das Lokal ist nur einen Steinwurf von unserer Wohnung entfernt, man sitzt gemütlich zusammen und bekommt leckeres Essen. Nebennest Nummer zwei - wobei die Auflistung keine Wertung ist - ist das Vereinshaus der Kleingärtneranlage Tempelhof. Hier treffen sich Trierer nach dem Sport, nach der Sauna, Promis, Kartenklubs, bunt gemischt. Und das Haus ist einer der letzten Plätze, an dem es noch eine warme Kümmelkäsestange gibt! Zum Thema Essen fällt mir gleich noch etwas anderes ein: In der Glocke genieße ich gerne mein Lieblingsgetränk, einen ebenso erfrischenden wie gesunden, urtrierischen Viez in der Porz und dazu ein Gericht nach altem Rezept. Etwa ein paniertes Kotelett mit Bratkartoffeln und Salat. Für eine Speisekarte mit eigenem Flair gehe ich bereitwillig quer durch die Stadt: Eine meiner beliebten Anlaufstellen ist auch Aom Ecken bei Rosi und Hummel, der Wirtin und dem Koch in der Maarstraße. Uriger geht\' s nicht! Und innerhalb von fünf Minuten ist man garantiert mit dem Tischnachbarn im Gespräch.
Ich mag einerseits das Beständige, weil es beschützend wirkt, wenn man wissend ist, aber andererseits hasse ich auch Routine. Deshalb nehme ich beispielsweise stets einen anderen Weg zurück als hin. Übrigens: In Trier zu Fuß und mit dem Fahrrad unterwegs sein zu können, empfinde ich als ein Stück Freiheit. Draußen zu sein, war mir als Kind, das gerne mit Freunden herumstromerte, wichtig und ist für mich bis heute elementar.
Die Natur lockt mich raus, im Alltag, beim Angeln, beim Tauchen, wenn ich mit Freunden zur Jagd gehe oder einen Abstecher zum Weingut von Nell mache. Dort habe ich übrigens auch Hochzeit gefeiert. Zum Arbeiten allerdings könnte ich mir keinen schöneren Ort als die Bühne vorstellen: Ich verstehe mich als Dolmetscher. Zu singen und in verschiedene Rollen zu schlüpfen bietet eine große Möglichkeit, eine für den Großteil der Bevölkerung unbekannte Sprache mit Leben zu füllen und zu übersetzen. Als Geschenk empfinde ich es, eigene Gefühle einbringen zu können.
Rückblickend kann ich sagen, dass sich meine Träume schon alle erfüllt haben. Ein Höhepunkt war für mich, in Giacomo Puccinis Melodrama "Tosca" mit dem Weltstar Franz Grundheber im Trierer Theater auftreten zu können. Ein musikalischer Ritterschlag war der Auftritt in der New Yorker Carnegie Hall. Einerseits war da sicher ein Quäntchen Schicksal mit im Spiel, aber man muss auch an seinem eigenen Glück schmieden. Das heißt für mich, zielstrebig und fleißig zu sein. Und die Basis muss stimmen. Meine Grundlage ist mein Nest - Trier mit seiner Vertrautheit und meiner Familie.
Aufgezeichnet von Katja Bernardy

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