Trierer Baumprozess: Tränen im Zeugenstand - Gutachter widersprechen sich - Fortsetzung am Montag

Trier · In der Berufungsverhandlung um das tödliche Trierer Baumunglück vom November 2012 hat der Sachverständige Martin Pfeiffer gestern nicht den Angeklagten, sondern den Erstkontrolleur der umgestürzten Kastanie belastet.

Trier. Bis Ende 2012 hatte das Grünflächenamt Trier zwei Baumkontrolleure. Ihre Aufgabe war es, alle 30 000 auf öffentlichen Flächen der Stadt Trier stehenden Bäume einmal im Jahr zu überprüfen und Auffälligkeiten, Schäden und mögliche Gefahren an einen Sachbearbeiter zu melden. In dessen Verantwortung lag dann eine intensive Zweitkontrolle. Im November 2012 fiel eine Kastanie im Rautenstrauchpark um, tötete eine 74-jährige Fußgängerin und verletzte einen 59-Jährigen sehr schwer.
Seitdem sucht die Justiz nach dem Verantwortlichen im Grünflächenamt. Auf der Anklagebank sitzt keiner der beiden Baumkontrolleure, sondern der mit der Zweitkontrolle beauftragte Sachbearbeiter, ein heute 54 Jahre alter Gärtnermeister im Dienst der Stadt Trier. Vor einem Jahr hat das Amtsgericht ihn der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe verurteilt - dagegen kämpft er zurzeit in der Berufung.
Beide Baumkontrolleure haben am Mittwoch, dem fünften von sieben geplanten Prozesstagen in der Berufungsverhandlung, wieder im Zeugenstand ausgesagt. Der für den Rautenstrauchpark zuständige Kontrolleur hat sich den kranken Baum, der am 22. November 2012 gefallen ist, am 20. September und 1. Oktober im Rahmen der jährlichen Sichtkontrolle angesehen.
Schon diese Erstkontrolle hätte den kritischen Zustand der Kastanie gezeigt - wäre sie denn korrekt durchgeführt worden. So sieht es der Sachverständige. "Der Kontrolleur hat den Baum nur oberflächlich geprüft", betonte Martin Pfeiffer gestern vor dem Landgericht Trier. "Er hätte mit Hilfe einfacher Hilfsmittel schnell erkennen können, dass der Baum ein Risiko war und gefällt werden musste." Pfeiffer ist ein vereidigter Sachverständiger für Garten- und Landschaftsbau und hat die 19 Meter hohe Kastanie im Auftrag der Staatsanwaltschaft untersucht
Doch nicht der Erstkontrolleur ist angeklagt, sondern der für die Zweitkontrolle zuständige Sachbearbeiter. Eine Zweitkontrolle des Baums im Rautenstrauchpark hat es nie gegeben. "Ich habe in diesem Fall die Priorität nicht gesehen", hat der Gärtnermeister sowohl in erster als auch in zweiter Instanz erklärt. Die Frage, ob es ihm überhaupt möglich war, diese Priorität zu sehen und nach ihr zu handeln, ist der Kern des Verfahrens.Abläufe kommen ans Licht


Der Vorsitzende Richter Peter Egnolff hörte am Mittwoch auch die zweite Baumkontrolleurin. Nach dem tödlichen Unfall 2012 ist sie ebenso wie der für den Rautenstrauchpark zuständige Kollege auf eigenen Wunsch von den Baumkontrollen abgezogen und mit anderen Aufgaben betraut worden. Die Stadt Trier vergibt seitdem alle Baumkontrollen an eine externe Gesellschaft.
Die Vernehmung dieser Kontrolleurin, die in erster Instanz nicht ausgesagt hatte, warf am Mittwoch ein neues Licht auf die Arbeitsabläufe im Grünflächenamt. Während einer Arbeitsbesprechung im August 2012 seien die fehlenden Richtlinien und Zeitvorgaben für die Zweitkontrolle thematisiert worden, sagte sie auf intensive Befragung von Rechtsanwalt Otmar Schaffarczyk hin. Er vertritt den durch den Baumsturz verletzten und heute schwerbehinderten Trie rer Juristen, der ebenso wie der Ehemann der getöteten 74-Jährigen als Nebenkläger am Prozess teilnimmt. "Wir haben darüber gesprochen, dass die Zweitkontrollen zu lange dauern", sagte die ehemalige Baumkontrolleurin unter Tränen. "Es war uns allen ein Bedürfnis, dass sich das ändert."
Der zweite Sachverständige des Verfahrens, Hans-Joachim Schulz, hat im Auftrag des Angeklagten ebenfalls ein Gutachten erstellt und widerspricht seinem Kollegen Pfeiffer. Die Bruchstelle des kranken Baums, so die These von Schulz, habe unter der Erde gelegen. "Diesen Schaden kann ein Kontrolleur nicht erkennen", betonte der Experte. Die Aushöhlung des Stamms sei "völlig normal und absolut keine Gefahr für die Standsicherheit. Ich kenne Tausende hohle Bäume, die sicher stehen."
Die Berufungsverhandlung wird am Montag, 27. Oktober, fortgesetzt.

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