Trierer Behindertenbeauftragter spricht im TV-Interview über die schönen und nicht so schönen Seiten seines Amts

Trier · Der in Trier lebende Lehrer Gerd Dahm ist seit einigen Monaten Vorsitzender des Trierer Behindertenbeirats. Im TV-Interview mit Mitarbeiter Frank Göbel spricht er über seine Aufgaben, seine Ziele und seine Motivation.

Trier. Gerd Dahm ist Lehrer an der Porta-Nigra-Schule der Lebenshilfe in Trier, einer Förderschule mit dem Schwerpunkt ganzheitliche Entwicklung. Zudem ist der auf dem Trierer Petrisberg lebende 59-jährige Elek tromeister seit einigen Monaten Vorsitzender des Trierer Behindertenbeirats, ohne selbst eine Behinderung zu haben. Im TV-Interview äußerte sich das langjährige Mitglied der Grünen-Fraktion im Trierer Stadtrat gegenüber TV-Mitarbeiter Frank Göbel über seine neue Aufgabe im Behindertenbeirat.

Herr Dahm, Sie sind seit Juli 2014 Vorsitzender des Behindertenbeirats und damit auch der städtische Behindertenbeauftragte - obwohl Sie selbst gar nicht behindert sind!
Gerd Dahm: Ich bin ja einstimmig gewählt worden - und arbeite seit mehr als 20 Jahren an der Porta-Nigra-Förderschule. Es dürfte wohl keine Behinderungsart geben, die ich noch nicht kenne. Natürlich gibt es im Beirat den hehren Grundsatz: Nichts ohne uns, nichts über uns. Und ich hatte auch in meiner politischen Tätigkeit immer den Grundsatz, dass Betroffene Beteiligte werden. Gleichzeitig finde ich es aber auch wichtig, dass auch Nichtbehinderte Verantwortung übernehmen. Irritationen kommen eher mal von außen: Wenn jemand etwa in die Sprechstunde kommt, da wundert der sich schon mal, wenn ich dann aus dem Stuhl aufstehe.
Naja, ich fand es vielleicht auch erst mal komisch, als ich hörte, dass es in Nordrhein-Westfalen den ersten männlichen Frauenbeauftragten gibt.
Für die Grünen haben Sie 18 Jahre im Stadtrat gesessen. Sind Sie Ihre aktuelle Aufgabe da eigentlich mit mehr oder weniger Optimismus angegangen?
Dahm: Mit dieser Erfahrung weiß man natürlich auch, dass sich die Verwaltung oft wie ein schwerer Tanker verhält, den man nur schwer bremsen kann und dem es enorm schwerfällt, die Richtung zu ändern. Andererseits weiß ich aber auch, wie dieses Rathaus so tickt: Wie die Abläufe und Strukturen sind und wann ich mit welcher Vehemenz an eine Tür klopfen muss - und wo ich es lieber sofort bleiben lasse. Ich muss mich nicht mehr durchfragen.
Vor allem weiß ich auch, wie ich den Satz nehmen muss: Dafür haben wir kein Geld. Manchmal ist das nämlich eher ein Argument als ein echter Grund. Wir können ja in der Baubegleitung ein Zehntausende-Quadratmeter-Einkaufszentrum bauen, aber wir können nicht diese blöde Rampe vor der Porta entschärfen.
Die Ihrer Ansicht nach geradezu katastrophal ist ...

Dahm: Das ist sie. Ich habe sie im Selbsttest versucht: Sie ist viel zu steil, und dazu ist direkt davor eine hohe Kante im Beton. Und das vor der Hauptattraktion in Trier, vor einem Stück Weltkulturerbe.
Haben Sie eine Idee, warum so was erst so gebaut wird und sich dann jahrelang nicht ändert?
Dahm: Für so eine Verwaltung nimmt jedes Problem schnell enorme Ausmaße an: Da muss erst eine komplette Schule barrierefrei geplant werden, bevor überhaupt eine Etage zugänglich gemacht wird. Eine Lösung, die nicht hundertprozentig der Din-Norm entspricht, will man sich nicht erlauben. Einerseits kann ich das verstehen, aber trotzdem könnte man sicher manchmal auch einen Weg finden, der nicht gleich der ganz große Wurf ist. Da helfen ja auch kleine Schritte.
Was sind denn die Aufgaben des Behindertenbeirats und ihres Vorsitzenden?
Dahm: Wir sind jedenfalls nicht dazu da, der Bauverwaltung die Bordsteine nachzumessen - wir sind eher dazu da, die so weit zu kriegen, dass sie sie von selbst nachmessen. Also ganz stark im Sinne der Bewusstseinsbildung bei denen, die verantwortlich dafür sind, dass andere in ihrem Leben gehindert, also behindert, werden. Anderes Beispiel: Ich könnte natürlich versuchen, mit meinen Beziehungen einen behinderten Menschen im ersten Arbeitsmarkt unterzubringen. Damit bin ich dann wohl sehr lange beschäftigt - und wenn ich fertig bin, stehen alle anderen auch noch an. Ich sehe also meine Aufgabe lieber in der Richtung, es politisch so zu treiben, dass die Menschen, die Arbeitsplätze vergeben, sehen, das das ein Feld ist, dass sie nicht einfach links liegen lassen können. Und da fangen wir bei öffentlichen Verwaltungen gerade erst an. Dann beraten wir im Moment ganz stark im Bereich Inklusionsplan, da sind wir sehr engagiert.
Ansonsten sehe ich unsere Aufgabe natürlich schon auch in der Interessenvertretung. Das fängt bei öffentlichen Baumaßnahmen an: Wenn etwa ein Bürgersteig aufgerissen wird und es vergessen wird, einem Rollstuhlfahrer einen befahrbaren Weg zu lassen. So was läuft bei uns oft auf.
Es gibt Bereiche, zum Beispiel im Hochbau, wo Landesgelder mit drin sind, da sagt das Land: Die Stadt braucht keinen Zuschuss zu beantragen, solange der Behindertenbeauftragte nicht unterschrieben hat. Da haben wir sogar ein Vetorecht: Wenn ich Nein sage, gibt es beim Land ein echtes Problem.
Wobei Sie bei Baumaßnahmen aber doch regelmäßig befragt werden?
Dahm: Ja, der Beirat wird an den städtischen Baumaßnahmen beteiligt. Und bei den Bebauungsplänen gelten wir als Träger öffentlicher Belange und werden gefragt. Allerdings leider oft erst in sehr späten Stadien, wenn der Plan schon trocken ist. Wir würden uns wünschen, dass das frühzeitiger passiert. Da arbeiten wir aber dran. Wir beraten auch regelmäßig Bürger, die Fragen haben: Wo finde ich welche Hilfe? Oder wir sind Wegweiser, wenn es Schwierigkeiten mit Ämtern gibt. Oft kommen Betroffene auch, wenn schon relativ viel Porzellan zerschlagen ist. Ich darf ja keine Rechtsberatung machen, kann aber vermittelnd mal das entsprechende Amt ansprechen.
Kümmern Sie sich denn nur um städtische Problemfelder? Oder haben Sie auch mit Privatleuten zu tun?
Dahm: Ich mache meine regelmäßige Sprechstunde, bei der ich Menschen berate, die aufgrund ihrer Behinderung Probleme haben. Dann wende ich mich durchaus auch mal an private Stellen. Außerdem beraten wir auch Bauherren. Dazu haben wir einen Bauausschuss mit hohem Sachverstand, da sitzen Architekten und Straßenbauer drin. Und manchmal treten Firmen oder Lobbyvertreter an uns heran, weil sie wissen, dass wir eine gute Anlaufstelle sind, um etwa Lösungen oder Produkte in die Verwaltung zu tragen. Ich hatte etwa kürzlich eine Firma hier, die Pflaster schleifen, um Hindernisse für Rollstuhlfahrer zu beseitigen.
Gibt es auch etwas Positives, wo man sagen kann: Hier hat Trier etwas wirklich gut gemacht?
Dahm: Vielleicht liegt es an meinem Amt und meiner Aufgabe, aber mir fällt es schon leichter, die Probleme zu sehen. Jedenfalls fällt mir im öffentlichen Bereich keine Maßnahme ein, wo ich sagen würde, das geht über die Mindestanforderungen hinaus. Was wir sehr begrüßen ist, dass die Stadt den Aktionsplan aufstellt. Da wird es sehr gute Maßnahmen geben, das deutet sich schon an. Und dass der Behindertenbeirat von der Stadt mit einem Büro und Personal ausgestattet wird, ist sicher auch keine Selbstverständlichkeit.
Ansonsten wird die MJC jetzt mit einem Aufzug ausgerüstet. Fürs Exhaus sind die Pläne fertig, da ist die Finanzierung aber unklar. Und einige Plätze haben sicher auch gewonnen: Der Kornmarkt ist ein großer Gewinn für Rollstuhlfahrer, ebenso der Domfreihof, der völlig barrierefrei ist.
Ihre Vorgängerin war ja die engagierte Richterin Nancy Poser.
Dahm: Ja, sie hat sehr viel Energie eingesetzt, um das alles in die Gänge zu kriegen: Die Strukturen aufzubauen, Arbeitskreise zu gründen und sie auch mit Leben zu füllen. Und natürlich hat sie sicher in ihrer öffentlichen Wirkung die Sache sehr befördert. Sie hat in zwei Jahren aber auch festgestellt, dass das ehrenamtlich so nebenbei nicht zu leisten ist.
Wie sieht denn Ihr Aufwand aus? Und gibt es dafür gar keine Entschädigung?
Dahm: Ich selbst habe zurzeit im Schnitt zwei, manchmal drei Wochentermine. Außerdem bin ich jeden Dienstag für einige Stunden im Büro, mache Sprechstunden, gehe in städtische Ausschüsse. Ich kann nicht alles abdecken, aber da wo der Schuh drückt, da gehe ich hin, natürlich auch in den Stadtrat. Das alles wird abgegolten mit 175 Euro (lacht). Da fragt man sich schon: Warum mache ich es nicht ganz umsonst? Es wäre schon schön, wenn man mal am Ende des Jahres mit der Familie, die so viel auf einen verzichten muss, mal in Urlaub fahren kann als Entschädigung. Im Moment ist das in der Diskussion, es gibt ja da gewisse Bewegungen, etwa durch die Ortsbeiräte. Aber viel Hoffnung habe ich da ehrlich gesagt nicht.
Wie sind sie überhaupt in diese Rolle geraten: Sie waren doch ursprünglich mal Elektromeister?
Dahm: Stimmt, ich habe eine Lehre als Elektriker und sehr früh, mit 23 Jahren, die Meisterprüfung gemacht. Danach hatte ich fünf Jahre lang die technische Verantwortung für ein mittelständisches Unternehmen. Aber ich hatte über meine Schwester, die in einer entsprechenden Schule gearbeitet hat, schon ganz früh Kontakt mit geistig behinderten Menschen - und fand das immer ganz toll. Dann sah ich eines Tages eine Stellenanzeige als Hausmeister in der neuen Schule der Lebenshilfe. Da wusste ich: Das ist meine Wende, jetzt geht es in eine ganz andere Richtung. Als ich dann Hausmeister war, habe ich eine sonderpädagogische Zusatzausbildung gemacht - und war dann der einzige Hausmeister in Deutschland, der so was hatte. Weil ich aber unterrichten wollte, habe ich dann die externe Prüfung zum Erzieher gemacht. Mein Anerkennungsjahr im Kindergarten war auch eine sehr wertvolle Zeit. Und jetzt bin ich seit mehr als 20 Jahren Lehrer - als Klassenleiter in der Unter- und Mittelstufe.
Ein ungewöhnlicher Weg.

Dahm: Als ich aus der freien Wirtschaft ausgestiegen bin, haben mich viele gefragt, ob ich denn völlig bekloppt wäre: Ich war ja ein junger Meister auf dem Weg nach oben. Aber ich habe keinen Tag und keine Stunde diese Entscheidung bereut: Ich gehe mit Freude zur Arbeit und bin immer froh, wenn die Ferien vorbei sind und ich meine Schüler, meine Kinder wiedersehe. Ich werde dieses Jahr 60 und könnte in drei Jahre in Rente gehen, aber es fällt mir im Moment sehr schwer, darüber auch nur nachzudenken. Ich habe überhaupt keinen Frust: Ich habe noch ganz viele Ideen, wir machen viele spannende Projekte.
Worin liegt die Faszination?

Dahm: Ich bin jedenfalls kein Märtyrer - ich habe da Spaß dran, das bringt mir ganz viel Zufriedenheit: Es relativiert das ganze Leben und berührt ganz große Fragen: Warum sind wir eigentlich auf der Erde? Was hinterlassen wir? Worum muss ich mich sorgen? Und es relativiert die körperlichen Einschränkungen, die man mit fast 60 ja auch schon hat (lacht). Ich glaube wirklich, dass uns sogenannten Nichtbehinderten ganz viel fehlt, wenn wir den regelmäßigen und stetigen Kontakt nicht haben mit Menschen, die das Leben ganz anders leben und völlig anders sehen - das würde ich doch sehr vermissen. Das ist ja alles nicht moralinsauer und nur problembeladen - gar nicht, wir haben an der Schule auch sehr viel Spaß! fgg
Über das Inklusionsprojekt "Carmen" der Lebenshilfe Trier, das Gerd Dahm leitet, berichten wir auf Seite 21 im Kulturteil.Extra

Gerd Dahm wurde am 27. September 1955 in Pünderich (Kreis Cochem-Zell) geboren. Der Elektromeister und Erzieher mit sonderpädagogischer Zusatzausbildung unterrichtet Kinder an der Porta-Nigra-Schule der Lebenshilfe Trier. Dahm saß 18 Jahre für Bündnis 90/Die Grünen im Trierer Stadtrat. Zudem kandidierte er 2011 für einen Sitz im rheinland-pfälzischen Landtag. Der Vater einer erwachsenen Tochter ist verheiratet. cus

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