Rechtsstreit Trierer Schulwege: Wenn die Stadt sich zweimal irrt

Trier · Die Trierer Verwaltung  will einen Schulweg nicht mehr als besonders gefährlich anerkennen und kein Busticket mehr zahlen. Der Stadtrechtsausschuss soll entscheiden.

Über Jahre hinweg akzeptierte die Stadt Trier den Weg zur Grundschule Ruwer über die Straße Auf Schwarzfeld als besonders gefährlich. Die Verwaltung zahlte den betroffenen Kindern aus Ruwer/Eitelsbach deshalb das Busticket. Doch es gibt keine präzisen und verbindlichen juristischen Regeln für die Einschätzung, wann ein Schulweg besondere Gefahren für die Kinder birgt, die ihn zu Fuß oder mit dem Rad bewältigen müssen, und wann nicht. Deshalb trägt ein einzelner Sachbearbeiter  eine besondere Verantwortung. Ihm obliegt die Entscheidung, ob sein Dienstherr den Schulweg als Risiko anerkennt und damit das Busticket zahlt.

Ein personeller Wechsel auf dieser zentralen Position im Schulamt der Stadt Trier bewirkte mit Beginn des neuen Schuljahrs im Sommer eine Überraschung für einige Familien in Ruwer/Eitelsbach. Ein neuer Sachbearbeiter kam, prüfte die Lage, sah diese anders als sein Vorgänger, stufte den Schulweg von „besonders gefährlich“ auf „normal“ um und strich das Busticket, das die Stadt jahrelang klaglos bezahlt hatte. Das Rathaus berief sich auf einen Irrtum des ehemaligen Sachbearbeiters, der jetzt korrigiert werden solle.

An dem Schulweg selbst hatte sich nichts geändert, es gab weder eine Sanierung noch einen Ausbau. Die neue Einstufung des Schulwegs hat keine sichtbare Basis. Familie Kiefer aus Ruwer/Eitelsbach beschloss, sich zu wehren. Stefan Kiefer, dessen Tochter die Grundschule Ruwer besucht und für das laufende Schuljahr kein Busticket von der Stadt bekommen hat, wandte sich an den Trierischen Volksfreund, dessen Berichte „Der gefährliche Schulweg“ vom 14. August und „Ob ein Weg gefährlich ist, bestimmt die Stadt“ vom 21. September viele Reaktionen auslösten. Außerdem meldete sich Kiefer auch in der Einwohnerfragestunde zu Beginn der Stadtratssitzung im Dezember zu Wort.

Die Antwort der Stadt: Der Fall liegt beim Stadtrechtsausschuss, der im ersten Quartal des neuen Jahres entscheiden soll, ob der Widerspruch der betroffenen Familien gegen die Streichung des Bustickets berechtigt ist. Der TV hatte der Verwaltung bereits im Sommer die Frage gestellt, wie viele Schulwege in den Jahren 2016 und 2017 von „besonders gefährlich“ auf „nicht gefährlich“ umgestuft worden sind. Die Antwort lautete: Eine solche Statistik führe die Stadt nicht.

TV-Leserin Heidrun Schmidt aus Trier hat die Berichterstattung über den Schulweg in Ruwer/Eitelsbach verfolgt und setzt sich mit der Redaktion in Verbindung. „Ich hatte ebenfalls einen Disput mit der Stadt Trier, der sich um die Übernahme von Schülerfahrtkosten drehte“, berichtet sie. Dieser Streit liegt lange zurück, wirft aber seine Schatten bis in die Gegenwart.

Heidrun Schmidt stritt im Jahr 1993 mit der Stadt nicht über einen gefährlichen Schulweg, sondern um die Entfernung zwischen der Schule und dem Elternhaus. Beträgt diese bei weiterführenden Schulen mehr als vier Kilometer, zahlt die Stadt die Busfahrt. Alle drei Söhne von Heidrun Schmidt besuchten das Max-Planck-Gymnasium, für alle drei beantragte sie die Fahrkostenübernahme. „Für den ältesten Sohn wurde die Übernahme der Kosten abgelehnt, der Schulweg sei 360 Meter zu kurz“, berichtet Schmidt. „Zwei Jahre später wurde sie aber für den mittleren Sohn genehmigt und weitere zwei Jahre später für den jüngsten Sohn wieder abgelehnt.“

Als Heidrun Schmidt gegen die Ablehnung der Fahrtkostenübernahme für den jüngsten Sohn protestierte und auf die Bewilligung für den mittleren Sohn verwies, berief sich die Stadt wie auch im aktuellen Fall der Familie Kiefer auf einen Irrtum. Auch das Busticket von Sohn Nummer zwei hätte nicht bewilligt werden dürfen und sei übrigens auch ab sofort gestrichen.

Die sich daraus ergebende Frage schließt den Kreis zum Fall in Ruwer/Eitelsbach. Darf die Stadt eine erteilte Bewilligung einfach so aufheben und diesen Schritt damit begründen, der zuständige Sachbearbeiter habe sich schlicht geirrt?

Die ruckartige Streichung des Tickets für Sohn Nummer zwei nahm Schmidt nicht hin. „Ich legte  Widerspruch ein mit der Begründung, dass der Irrtum über die tatsächliche Länge der Wegstrecke ein Fehler der Stadtverwaltung sei und mir nicht angelastet werden könne“, sagt sie heute.

Doch zu einer Verhandlung vor dem Stadtrechtsausschuss kam es nicht. Die Stadt zahlte freiwillig das Ticket für Sohn Nummer zwei. Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, Familie Schmidt habe den Streitfall vor dem Stadtrechtsausschuss gewonnen. Das war nicht korrekt, wir haben diese Passage deshalb geändert und korrigiert.

Die aktuelle Entscheidung des Stadtrechtsausschusses soll in den ersten drei Monaten des Jahres 2018 fallen.

Kommentar: Die Argumentation der Stadt ist absurd

Von Jörg Pistorius

Wer eine Bewilligung oder Genehmigung beantragt und erhält, und das über Jahre hinweg, der darf selbstverständlich davon ausgehen, dass diese Bewilligung vom jeweiligen Mitarbeiter der Verwaltung korrekt eingeschätzt wurde und rechtlich Bestand hat. Es ist logisch ebenso wie juristisch geradezu absurd, zu glauben, dass ein neuer Sachbearbeiter die Einschätzungen und Leistungen seines Vorgängers einfach so vom Tisch wischen kann.

Doch offenbar geschieht genau das im Schulamt der Stadt Trier, und zwar schon sehr lange. Neuer Sachbearbeiter, neue Entscheidungen, neue Regeln. Was der eine für besonders gefährlich hält, ist für den anderen völlig normal. Das ist keine transparente und effiziente Arbeit im Sinn des Steuerzahlers, sondern reine Willkür. Die Begründung des Stadtrechtsausschusses von 1993 gilt auch heute noch: Das Recht eines Antragsstellers, auf eine erteilte Bewilligung vertrauen zu dürfen, wiegt schwerer als die mögliche Einsparung von ein paar Euro an Haushaltsmitteln.

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