Triers vergessener letzter Kurfürst

Trier · Clemens Wenzeslaus war Triers letzter Kurfürst. 2012 jährt sich sein Todestag zum 200. Mal. Von Gedenken aber keine Spur. Historiker und FDP-Kommunalpolitiker Karl-Josef Gilles will das nicht hinnehmen.

 Mit 1773 geprägtem Clemens-Wenzeslaus-Silbertaler: Karl-Josef Gilles. TV-Foto: Roland Morgen

Mit 1773 geprägtem Clemens-Wenzeslaus-Silbertaler: Karl-Josef Gilles. TV-Foto: Roland Morgen

Trier. 2012 ist ein denk- und gedenkwürdiges Jahr für Deutschlands älteste Stadt. Dann ist der 500. Jahrestag des legendären Reichstages und die damit verbundene erstmalige Ausstellung des Heiligen Rocks. Beides wird im Jubiläumsjahr ausgiebig gewürdigt."Ein anderes denkwürdiges Ereignis aber wird vernachlässigt", kritisiert Karl-Josef Gilles (61). Der Landesmuseums-Wissenschaftler und FDP-Kommunalpolitiker vermisst eine angemessene Würdigung von Clemens Wenzeslaus (1739-1812) anlässlich dessen 200. Todestages. Dass in Trier offenbar niemand "den neben Balduin bedeutendsten Trierer Kurfürsten" auf dem Denkzettel hat, ist für Gilles "ein Unding".
Deshalb macht er Clemens Wenzeslaus nun zu einem Fall für den Stadtrat. Er hat eine Anfrage gestellt, die OB Klaus Jensen in der nächsten Sitzung am Donnerstag, 1. September, beantworten soll.
Die Fragen, die Gilles stellt, sind eher rhetorischer Natur, denn er weiß, dass Triers Verwaltungschef sie allesamt mit "Nein" beantworten dürfte, wenigstens nach derzeitigem Stand. Nein, Trierer Museen oder das Stadtarchiv planen keine Veranstaltungen zu Clemens Wenzeslaus\' 200. Todestag. Nein, das Rathaus hat in Sachen Kurfürst keinen Kontakt zu anderen Städten in dessen Einflussbereich - etwa Augsburg/Marktoberdorf, Ellwangen, Freising oder Regensburg - aufgenommen. Und nein, es sind anlässlich des Jubiläums keine wissenschaftlichen Vorträge geplant.
Das nämlich wurmt Gilles mit am meisten. Clemens Wenzeslaus\' Alterswohnsitz Marktoberdorf lässt den bedeutenden Staats- und Kirchenmann 200 Jahre nach dessen Tod hochleben. Vom 1. Juli bis 8. Oktober 2012 ist der Marktoberdorfer Rathaussaal Schauplatz einer Ausstellung und einer Vortragsreihe. Einer der Redner: Karl-Josef Gilles, der neben einem Vortrag die Veranstaltung durch kurtrierische und augsburgische Münzen des Clemens Wenzeslaus bereichern wird.
Und warum sollte Trier den Kurfürsten feiern? Da fallen Gilles eine ganze Reihe von "guten Gründen" ein: "Clemens Wenzeslaus war der letzte souveräne Herrscher des Trierer Landes." Seine größte und gleichzeitig nachhaltigste Leistung: "Er ist der Vater des Riesling-Anbaus. Damit legte er den Grundstein für den international erfolgreichen Qualitätswein-Anbau in der Moselregion." Bevor der Kurfürst am 30. Oktober 1787 seine landesherrliche Verordnung zur Qualitätsverbesserung des heimischen Weinbaues per Riesling-Anbau erließ, hatte der arg säurebetonte Wein von der Mosel keinen sonderlich guten Ruf.
Für den Fall, dass die Stadt nun doch noch auf die Idee kommt, Clemens Wenzeslaus eine gebührende Würdigung zuteil werden zu lassen, stünde Gilles "selbstverständlich" als Referent oder Berater zur Verfügung.
So ganz "ohne" wird das Jubiläumsjahr in Trier nicht verstreichen. Die Gesellschaft für nützliche Forschungen hat Gilles für einen Vortrag über Clemens Wenzeslaus gewonnen. Voraussichtlicher Termin: Herbst 2012.Meinung

 Clemens Wenzeslaus auf einem Gemälde von 1772.Foto: Stadtmuseum Simeonstift

Clemens Wenzeslaus auf einem Gemälde von 1772.Foto: Stadtmuseum Simeonstift

Wie ein Dino
Gut möglich, dass die Trierer nicht sonderlich gut zu sprechen sind auf ihren letzten Kurfürsten. Denn schließlich hat der die Hälfte aller kirchlichen Feiertage abgeschafft. Überhaupt war er ein seltsamer Zeitgenosse. Statt in seiner Hauptstadt Trier residierte er lieber in Koblenz und baute dort unter anderem das Schloss, das jetzt extra für die Bundesgartenschau prächtig herausgeputzt worden ist. Ach ja, und dann ist er auch von Koblenz aus ins Rechtsrheinische getürmt, noch ehe die Franzosen überhaupt anrückten. Die mussten ihn also nicht einmal mehr verjagen. Gibt es dennoch Gründe, eines solchen Typen zu gedenken? Antwort: ja! Denn die Person Clemens Wenzeslaus ist das Sinnbild einer untergegangenen Welt. Einer, den der Geist der französischen Revolution traf wie der Meteoriteneinschlag vor 65 Millionen Jahren die Dinosaurier. Mit dem Unterschied, dass Clemens Wenzeslaus noch zwei Jahrzehnte lang den Annehmlichkeiten frönen konnte, die seinem Stande entsprachen. Also sollte man ihm und seinem "Ancien Régime" durchaus eine Vortragsreihe widmen. Das eigentlich Pikante an der "Affäre Clemens Wenzeslaus 2012" ist aber, dass ein FDP-Mann mit seiner Stadtratsanfrage einem Parteifreund vors Schienbein tritt. Denn Gilles hätte ja durchaus den zuständigen Kulturdezernenten Thomas Egger persönlich auf den Handlungsbedarf hinweisen können, wählte aber lieber den öffentlichen Weg. r.morgen@volksfreund.deClemens Wenzeslaus August Hubertus Franz Xaver von Sachsen wurde geboren am 28. September 1739 auf Schloss Hubertusburg in Wermsdorf. Seine Eltern waren Friedrich August II. (Kurfürst von Sachsen und König von Polen) und die österreichische Erzherzogin Maria Josepha. Seine Militärkarriere beendete Clemens Wenzeslaus wegen körperlicher Gebrechen und wurde Geistlicher. Um Kurfürst und Erbischof von Trier werden zu können, gab er 1768 seine Ämter als Bischof von Regensburg und Freising auf. Französische Revolutionstruppen bereiteten dem Kirchenstaat Trier 1794 das Ende. Clemens Wenzeslaus war vor den anrückenden Franzosen nach Augsburg geflohen. Am 27. Juli 1812 starb er auf seinem Sommerschloss in Marktoberdorf (Allgäu), wo er auch beigesetzt wurde. Sein Herz wurde in St. Ulrich und Afra in Augsburg bestattet.

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