Hilfe Alles umsonst! Warum es keine kostenlosen Sachen mehr in dem Geschäft gibt
Trier · Der Trierer Umsonstladen im Norden der Stadt ist weitaus mehr als ein Laden, in dem man Dinge abgeben und gratis mitnehmen kann. Doch während der Recherche musste der Laden schließen.
Es klingt verlockend: Man geht in einen Laden, stöbert nach Klamotten und Möbeln, nimmt, was man braucht - ohne einen Cent zu zahlen. Diesen Laden gibt es tatsächlich, auch in Trier.
Zwischen den mächtigen blassen Bauten der Landes- und Bundesbehörden, unweit der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende (Afa), in der Dasbachstraße sticht eine Holzhütte hervor: Sie steht auf einem Gelände, das fast so groß wie ein Fußballplatz ist. Umsonstladen steht in bunten Buchstaben darauf.
Der Name ist Programm, das Konzept simpel: Wer etwas nicht mehr braucht, gibt es ab, wer es braucht, nimmt es mit - umsonst. Niemand muss im Laden nachweisen, was er hat oder nicht hat.
Vielen Kunden fehlt sogar das Nötigste
Viele kommen, weil ihnen das Wichtigste fehlt, wie Kleider und Möbel. In der Holzhütte stapeln sich in einem Regal Teller, Tassen, Milchkännchen und Eierbecher, in einem andern stehen Turnschuhe und Gummistiefel in kleinsten Größen, einen Schritt weiter hängen Jacken und Pullover dicht an dicht auf Kleiderstangen, im hinteren Teil der Holzhütte lagern Schränke, Kommoden, Spiegel.
Draußen vor der Tür stehen Menschen Schlange. Darunter eine Frau mit einem Mädchen an der Hand. Sie braucht einen Kinderwagen. Der Mann hinter ihr hat keine Socken an, nur Badeschuhe, obwohl der Wind eisig ist und Autofahrer Scheiben frei kratzen mussten. Eine Frau, in olivgrünem modischen Daunenmantel und mit beiger Strickmütze möchte zwei große Taschen abgegeben mit Dingen, die sie nicht mehr braucht.
Karin Hoffmann ist die gute Seele des Geschäftes
Karin Hoffmann, 59, ist die gute Seele des Umsonstladens. Sie hat hier einen Minijob, plus Stunden, die sie ehrenamtlich arbeitet. Weitere Freiwillige helfen ihr dabei. Wer sie erlebt, merkt schnell, dass sie mit ihren hellblauen Augen offenbar in wenigen Sekunden erspäht, was die Menschen brauchen. Das sind nicht nur die Dinge, die im Laden stehen.
Sie switcht zwischen Französisch, Englisch, Deutsch und Luxemburgisch hin und her, oder redet mit Händen und Füßen. Der junge Syrer in Badeschuhen hat es in den Laden geschafft. Hoffmann gibt ihm Socken, sie zeigt auf seine Steppweste, und fragt auf Englisch, ob er eine wärmere Jacke möchte. Er hebt die Schultern. Ein weiterer Ehrenamtlicher lotst ihn zu einem Kleiderständer. Der Syrer greift nach einem schwarzen gefütterten Blouson und probiert ihn an.
Draußen drängelt sich ein Mann vor, Karin Hoffmann weist ihn zurecht. Ihr entgeht nichts. „Hier geht es der Reihe nach“, sagt sie, dann bietet sie einer Geflüchteten aus Afrika hinter der kleinen Theke, auf der statt einer Kasse eine Spendenbox steht, einen Stuhl an. Der Frau ist übel. Hoffmann streichelt ihr über die Wangen und reicht ihr Wasser.
Das ist nicht genug. Hoffmann packt ihr Käse-Wurst-Brot aus. Es war für ihre Pause gedacht, doch die Frau braucht es nun dringender. Hoffmann vermutet, hinter der Übelkeit stecke noch mehr. Sie wird recht behalten.
Wer den Umsonstladen in Trier betreibt
Der erste Umsonstladen wurde vor 24 Jahren in Hamburg gegründet. Deutschlandweit gibt es das Kontrastprogramm zur Wegwerfgesellschaft rund 90 Mal. Manchmal heißen sie auch Kost-Nix- oder Schenkladen.
Dass auf der Internetseite des Trierer Umsonstladens ein Bibelzitat zu lesen ist, hat einen Grund. Dort steht: „Angenommen, jemand, der alles besitzt, was er zum Leben braucht, sieht seinen Bruder oder seine Schwester Not leiden. Wenn er sich ihnen nun verschließt und kein Erbarmen mit ihnen hat - wie kann da Gottes Liebe in ihm bleiben?...“ Der Träger der Einrichtung ist die Gemeinde des Lebendigen Gottes Trier e.V., eine evangelische Freikirche, die zur weltweiten Pfingstbewegung gehört.
2009 startete der Verein mit dem Umsonstladen in Trier-Ehrang, dann in der Schönbornstraße. „Auf zwei Etagen konnten wir uns dort ausbreiten“, erinnert sich Christoph Michel, Vorstandsmitglied des Vereins. Der Verein habe das Haus von der Stadt für einen Euro Kaltmiete gemietet, es ausgebessert und aufgehübscht. Hals über Kopf hätten sie dann rausgemusst, sagt Michel. Die Begründung: Es sei baufällig und müsse abgerissen werden. Im vergangenen Jahr hat der Verein dann ein Carport auf eigenem Gelände in der Dasbachstraße 15a aufgestellt und es zur Hütte ausgebaut und dort den Umsonstladen betrieben. Bis jetzt. Während der Recherche zu dieser Reportage läutete ein Schreiben der Stadt Trier das Aus des Sozialprojekts ein.
Der Laden füllt sich. Der Geflüchteten, der es übel war, geht es wieder besser, draußen schnappt sie frische Luft. Sie kramt einen Stapel an Schreiben von Behörden aus ihrer Tasche. Hoffmann hatte es geahnt, die Frau plagt mehr als Unwohlsein.
Eine andere Frau schleppt ein riesiges Bild, auf dem ein Oldtimer zu sehen ist, aus dem Umsonstladen und verstaut es in ihrem Kombi. Die Tür ist für alle offen, für diejenigen, die genug haben und nachhaltig leben möchten bis hin zu denjenigen, die in ihrer Heimat alles verloren haben.
Der Umsonstladen bietet niedrigschwellige Sozialarbeit
Michel fasst fachmännisch zusammen, was sich vor und im Umsonstladen abspielt: Er spricht von Streetwork-Arbeit und niederschwelliger Sozialarbeit. Als der Verein vor 14 Jahren mit dem Projekt in Ehrang gestartet sei, habe es große Bedenken vor allem von Einzelhändlern gegeben. „Doch als sich dann zeigte, dass Ladendiebstähle und Vandalismus fast auf null sanken“, sei der Umsonstladen akzeptiert worden, sagt er.
Karin Hoffmann hilft und redet hier und da, ein Iraner bringt ein Dankeschön vorbei: Ein Foto, auf dem er unter anderem zusammen mit ihr zu sehen ist und einen roten Bilderrahmen. Doch er muss warten, eine Familie braucht Kleider für die Kinder.
Hoffmann engagiert sich im Umsonstladen, weil sie von der unbürokratischen Hilfe dort überzeugt ist. „Gerade Menschen, die nicht Deutsch sprechen und nicht lesen und schreiben können, bekommen schnelle Hilfe“, sagt sie. Durchschnittlich rund 200 Menschen kämen täglich montags bis freitags zwischen 9.30 Uhr und 14 Uhr in den Umsonstladen, an manchen Tagen doppelt so viele. Sogar ganze Busse brächten Geflüchtete aus Bitburg, Hermeskeil und Kusel in die Dasbachstraße. Die gesamten Kosten, etwa für Strom, für die Nebenkosten und um Hoffmann monatlich 520 Euro zahlen zu können, werden rein über Spenden finanziert.
Warum jetzt Schluss sein soll mit dem Umsonstladen
Doch jetzt ist erst einmal Schluss mit dem Umsonstladen und der schnellen Hilfe: In einem Schreiben, das unserer Zeitung vorliegt, wird dem Verein die „Nutzung der baulichen Anlage des Holzschuppens mit der Funktion als „Umsonstladen“ auf dem Grundstück Dasbachstr. 15a…bis zu dessen vollständigen, nachträglichen Legalisierung untersagt.“
Die Frist: eine Woche. Und innerhalb von vier Wochen muss der Verein prüffähige Bauantragsunterlagen einreichen.
Michel sagt, verwaltungstechnisch könne er die Stadt Trier sogar verstehen, menschlich nicht. Zudem sei das umgebaute Carport fest in der Erde verankert, es könne weder wegfliegen noch einstürzen.
Doch noch vor Erscheinen dieses Artikels sind die Türen des Umsonstladens zu, Kleider werden in Container gebracht, und was Menschen in dem Gedanken, dass ihre guterhaltenen Möbel und Kleider von anderen weiter genutzt werden können, dort abgegeben haben, landet nun auf dem Müll.
Was die Stadt zur Schließung sagt
Doch von jetzt auf gleich scheint das jetzige Aus des Umsonstladens nicht gekommen zu sein: Das Gebäude sei ohne Baugenehmigung errichtet worden, sagt ein Sprecher der Stadt auf TV-Anfrage.
Die Bauaufsicht habe Bedenken, vor allem wegen der Standsicherheit. Ein Nachweis über die Standsicherheit liege nicht vor, Gefahr für Nutzerinnen und Nutzer könne nicht ausgeschlossen werden. Die Stadt sei durch Dritte auf das Problem aufmerksam gemacht worden, dann müsse die zuständige Bauaufsicht handeln, sagt der Sprecher.
Und die Nutzung ist ihm zufolge nicht einfach nach dem ersten Anhörungsschreiben im Oktober vergangenen Jahres untersagt worden. Um das Angebot für Geflüchtete aufrechterhalten zu können, sei der Ermessensspielraum maximal ausgenutzt worden.
Mehrfach sei mit den Eigentümern und Betreibern gesprochen und aufgezeigt worden, wie das Angebot legal weiterbetrieben werden könne. Auch Fristen zur Vorlage der erforderlichen Unterlagen seien mehrfach verlängert worden.
Doch der Betreiber sei seiner Verpflichtung nicht nachgekommen. Eine weitere Duldung des derzeitigen Zustandes halte die Behörde nicht länger für vertretbar.
Weiter sagt der Sprecher: „Selbstverständlich stehen wir für Gespräche über eine konstruktive Lösung weiterhin jederzeit zur Verfügung, sind aber auch auf ein Mindestmaß an Kooperation seitens des Trägers angewiesen.“
Der Umsonstladen sei ein ergänzendes Angebot zu ähnlichen Angeboten freier Träger.
Statt Menschen zu helfen, räumt Karin Hoffmann nun den vollen Umsonstladen leer. Sie sagt, „ich darf gar nicht an die Schließung am Donnerstag denken.“ Sie hoffe, dass es weitergehe. „Es tut mir so leid für die Menschen.“ Die Not sei groß.