Unterricht von gestern

Jahreszahlen und Ereignisgeschichte sind für die moderne Geschichtswissenschaft längst Schnee von gestern. Nicht so für die rheinland-pfälzische Tagespresse. Nach einer durchaus humorigen Debatte zwischen dem Trierischen Volksfreund und der Mainzer Medienszene um das Gründungsdatum der Worscht, Weck und Woi-Metropole kehrt jetzt Roland Morgen zurück zum erstarrten Geschichtsunterricht von gestern und belehrt uns, dass römische Stadt "im definierten rechtlichen Sinn im heutigen Rheinland-Pfalz allein die 17 v. Chr. gegründete colonia Augusta Treverorum" war.

Denn: "Das belegen außer Brückenpfeilern unter anderem Beigaben aus Gräbern aus den beiden letzten Jahrzehnten vor Christi Geburt sowie das anno 4 in Trier aufgestellte monumentale Trevererdenkmal." Wer Heinz Heinens Standardwerk über "Trier und das Trevererland in römischer Zeit" kennt, wird sich verwundert die Augen reiben, steht doch dort (Seite 45), dass Trier im ersten Jahrhundert nach Christus "den Titel einer colonia wohl nur als ehrende Bezeichnung" trug. Die Gründung einer Kolonistengemeinde ist für Trier nicht nachzuweisen. Weder die frühen Holzpfähle ohne Fundkontext noch die nach dem Jahr 4 n. Chr. gesetzte Ehreninschrift für die verstorbenen Adoptivsöhne des Augustus können über das Fehlen rechtlich aussagefähiger Quellen hinwegtäuschen. Noch weniger haben die zitierten "Beigaben aus Gräbern aus den letzten beiden Jahrzehnten vor Christi Geburt" etwas mit der Verleihung von Stadtrecht zu tun - andernfalls könnten sich auch andere Orte des Trierer Bezirks wie Tawern oder Wederath-Belginum in der Reihe der ältesten Städte nach vorn drängeln, weil dort ebenfalls Gräber aus dieser Zeit gefunden wurden. So müssen beim edlen Wettstreit um die älteste Stadt "im definierten rechtlichen Sinn" Trier und Mainz mangels Masse passen, woran weder Landesmuseum noch Ministerium etwas ändern können. Entscheidend ist, dass beide Städte in der Frühzeit römischer Okkupation zu Zentren der Urbanisierung wurden, dass diese aber an beiden Orten (bis heute) in sehr unterschiedlichen Bahnen verlief. Diese zu ergründen, ist eine spannende Herausforderung an die interdisziplinäre Landesarchäologie, die nur in der Zusammenarbeit mit den Naturwissenschaften die dazu notwendigen neuen Quellen erschließen kann, gleichgültig ob dies durch Labors des Öffentlichen Dienstes geschieht oder durch frei finanzierte Forschungseinrichtungen. In einer Wissenschaftsstadt wie Trier sollten Artikel über die Archäologie von morgen nicht nach Klatschkolumnistenart und persönlichen Präferenzen das Geschichtsverständnis von gestern zementieren, sondern historische Forschungen zukunftsweisend darstellen. Hans-Peter Kuhnen Trier

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