Kurzgeschichte Der Pitter und die Heiligen

Korlingen · Autor Bernhard Hoff­mann aus Korlingen (Landkreis Trier-Saarburg) erzählt eine neue Geschichte vom Pitter aus dem frühen 19. Jahr­­hundert. Diesmal geht es um Namenspatrone.

Die sommerlichen Heiligenfeste bereiten den Frauen in Korlingen nur Ärger.

Die sommerlichen Heiligenfeste bereiten den Frauen in Korlingen nur Ärger.

Foto: Christina Bublitz

Das war schon ein Ding, das sich der Pitter da mit den zwei Heiligen der Kapelle geleistet hatte. Um vom Abt endlich die versprochenen Patronatsheiligen Johannes und Paulus zu bekommen, hatte er zwei grobe Holzklötze aufgestellt, die natürlich als heidnische Götzen galten und für gehörigen Aufruhr sorgten. Sogar der Bischof hatte geschimpft. Da musste der Abt wohl oder übel die beiden Figuren stiften, die sich als Christen im Jahr 361 geweigert hatten, den Kaiserkult mitzumachen. Da standen sie nun auf dem Altar, die Märtyrer, dabei war es ja durchaus nicht jedermanns Sache, sich für seine religiöse Überzeugung den Kopf abschlagen zu lassen. Wetterheilige waren sie gegen Hagel, Sturm und Blitzschlag sowie für oder gegen Regen und Sonnenschein – schwarze Kerzen mussten bei Unwetter abgebrannt werden.

Und jetzt wollte der Pitter die abschaffen. Du lieber Himmel, die Heiligen abschaffen im Jahr 1806. Wo denkt ihr hin – das hatte zwar der Luther getan, aber im Trierer Land ging das ganz und gar nicht. Also nicht abschaffen, sondern andere suchen, und alles blieb im Lot. Mit den beiden war das nämlich so: Die sollten die Ernte bewahren und hatten am 26. Juni Patronatsfest, was ein Volksfest war mit reichlich Speis und vor allem Trank. Und dann leider eben auch mit vernebeltem Hirn und zu viel Muskel­schmalz am falschen Ort. Zum Beispiel am Schädel des Nächsten oder unter dem Kinn des Nachbarn. Und mit Stürzen und Brüchen und selbstredend dickem Kopf für drei Tage. Und das mitten in der Heu­ernte – eine Katastrophe. Da halfen auch die Heiligen nicht.

Der Pitter ruft nach deren Bettlägerigkeit und schwerer Benommenheit seine menschlichen Schafe und Horn­ochsen und die kummervollen Frauen zusammen. Er schlägt vor, die Heiligen Johannes und Paulus umzutauschen. Kein Kloster ist mehr ihr Lehnsherr, kein Abt hat ihnen noch etwas zu sagen, sie sind freie Bürger und können im französischen Saardepartement tun, was sie wollen, sagt er. Eieiei, das ist für die Frauen und selbst für die hartgesottenen Männer starker Tobak: die Heiligen umtauschen, auswechseln wie ein Rad? Und wer würde für die Ernte sorgen? Und welche würde man ersatzweise bekommen? Und wären die auch noch für sie, die Korlinger, zuständig? Ja, und wären die Weggegebenen nicht böse auf sie und würden vom Himmel Hagel und Blitzschlag senden? „Ja ja“, schrie die eine, dadurch kämen sie schnurstracks in die Hölle. Was für ein Geschrei, eine Angst und Not, ein halber Aufstand. Da ließ der Pitter es eben bleiben.

Aber im nächsten Jahr verhagelte das Patronatsfest schon wieder die Ernte: zerbrochene Krüge, zerschlagene Köpfe und vor allem wütende Ehefrauen. Und, ach, was waren sie matt und müde bei der Ernte – die Sense schlich förmlich über den Boden. Dabei konnte plötzlicher Regen das Heu verderben, es musste schnell gehen, zumal der Herrgott von der Kanzel in Trier strengstens verboten hatte, am heiligen Sonntag zu heuen. Viel Geld ging bei der Zecherei ja auch drauf, das man dringend für den Winter brauchte.

Jetzt ruft Pitter am nächsten Tag, als die Gedanken noch nicht klar gefasst werden, alle zusammen: Er werde einen neuen Heiligen suchen, einen guten, schützenden, Helfer in der Not – aber eben einen, der nicht mitten im Sommer gefeiert werden musste, basta! Und da die Frauen so finster wie ein Gewitter blicken, muckst keiner auf.

 Die Leute im Dorf müssen von dem neuen Namenspatron St. Valentin erst noch überzeugt werden.

Die Leute im Dorf müssen von dem neuen Namenspatron St. Valentin erst noch überzeugt werden.

Foto: Christina Bublitz

Im November geht er nach Trier zu seinem Freund, dem Medicus. Sie suchen zwei Tage lang. Heilige waren leicht zu finden, die Klöster waren von den Franzosen leergeräumt. So manche Figur stand im Eck eines Bürgers oder beim Händler. Arme Heilige!

Und tatsächlich finden sie eine schöne Figur bei einem Trödler auf der anderen Mosel­seite. „Ah, Sie interessieren sich für unsere Nikolausfigur“, kommt der Verkäufer eilfertig aus einer Rumpelkammer geschossen. – „Wir suchen einen Valentin.“ – „Ach, Momentum, lassen Sie mich mal schauen.“ Und er dreht und wendet die Figur vor ihren Augen, bückt sich und schaut unter den Sockel, besieht sinnend die staubige Mitra… „Aber das ist ja der Heilige Valentin, meine Herren!“ – „Ach ja?“ Nun denn, dem Pitter ist’s Recht, was ist Wahrheit? „Wie viel?“ – „20 Francs.“ – „Ja, für den Nikolaus wär’s angemessen, aber das ist ja ein Valentin.“ – „Na gut, 18!“ – „15 ... oder eine Expertise“, sagt da der Medicus. Ihr solltet mal sehen, wie schnell da der Handel abgemacht ist.

Bald kommt der Heilige in Korlingen an. Es ist eine einen Meter hohe Statue in leicht geschwungener Haltung, rotem Mantel mit Brokat­aufsatz, Bischofsmütze mit Goldrand und einem langen Krummstab. Kräftige Handschuhe hat er und blaue Augen, das wird seinen Bauern gefallen, denkt der Pitter. Aber die kennt er noch immer nicht gut genug.

Denn die glotzen – und meckern: Wofür der denn jetzt gut sei? Er heile Krankheiten, deswegen sei er ja hingerichtet worden, weil er viele Christen geheilt habe, besänftigt der Pitter. Noch reicht es nicht. Er bewahre vor der Pest. Das macht Eindruck, sie grummeln aber noch. Er sei für die Liebenden und verhelfe zu einer guten Ehe. Da schauen die Frauen die Männer bedeutungsvoll an, der Pitter ergreift die Gelegenheit: „Am Tage von Sankt Valentin, da gehen Eis und Schnee dahin!“ Das gefällt allen, und jetzt ist Ruhe.

Das Ende vom Lied: Die Heiligen Johannes und Paulus stehen in römischer Soldatenkluft noch heute auf dem Altar, beide mit einem Schwert, und der Heilige Valentin auf einem Sockel halbhoch an der Seite. Tja, so ist es bis heute: Drei Heilige gibt es in der Korlinger Kapelle, für jeden etwas. Aber das werdet ihr nicht leugnen, ein Heiliger mehr hat noch nie geschadet.

Vom Autor sind 24 der Erzählungen mit 50 farbigen Illustrationen von Christina Bublitz als Buch erschienen: „Der Pitter. Korlinger Geschichten I“, 140 Seiten, 18,90 Euro, ISBN: 9783755778547.

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