Verborgen im Gestrüpp

EHRANG. (gsb) Was treibt einen Menschen, das ganze Jahr über in einem notdürftig aufgeschlagenen Zelt unter freiem Himmel zu hausen? Bei Minusgraden und Schnee, ohne Strom und Wasser?

"Ich fühle mich wohl hier, es ist okay", meint Jürgen Günther fast emotionslos und zuckt mit den Schultern. Sein Zuhause: Ein Zelt, über das er eine Plane geschlagen hat, verborgen im Gestrüpp von Sträuchern. Kein Wasser, kein Strom, kein elektrisches Licht, keine Heizung. Dafür schlammiger Boden, verstreut umher liegende Utensilien und kaputte Fahrräder vom Sperrmüll - Günthers Ersatzteillager für seinen Drahtesel. Ohne den er in einer noch misslicheren Lage wäre. Schließlich fährt der Obdachlose regelmäßig zum Essen und Duschen ins Brüderkrankenhaus und ins Haus Fetzenreich. Als das Rad kaputt war, ging der hoch gewachsene hagere Mann zu Fuß in die Stadt - fast 30 Kilometer bei Schnee und Eis. Seit einem Jahr lebt der 46-Jährige auf der Straße. "Die Gesellschaft wollte mich nicht", glaubt er. So ganz kann das nicht stimmen, denn mit den gesellschaftlichen Spielregeln hat es Günther auch nicht so ernst genommen. Vorbestraft, vier Monate Knast in Trier, nach der Entlassung dann drei Jahre ein Leben im Zelt. Dort, wo andere Obdachlose im Stadtwald hausen, erzählt er. Um sich gleich zu korrigieren: "Ich bin nicht obdachlos, sondern ein OFWler, einer ohne festen Wohnsitz." Vorübergehend hat er eine Wohnung in Ehrang. Nach einem Verkehrsunfall sieht er sich gesundheitlich nicht mehr in der Lage, schwere Arbeiten zu verrichten. Durch "Sitzungen" in der Fußgängerzone habe er sich das Geld erbettelt, um seine Zelt-Behausung halbwegs winterfest zu machen. Schlosserausbildung ohne Abschluss, Bundeswehr, Gelegenheitsjobs, bei denen "ich mich kaputtgearbeitet habe, bis es nicht mehr ging." Vielleicht ein Leben in die falsche Richtung? Denn Günther holt überraschend sein "Museum" aus dem Zelt: Versteinerungen von Flussmuscheln, die er in der Gegend gefunden hat, eine alte Speerspitze. "Ich interessiere mich für das Altertum", sagt er. Seine Kenntnisse, um die Fundstücke bestimmen zu können, habe er aus einem Buch. "Mittlerweile gehe ich nicht mehr zum Arbeits- oder Sozialamt", sagt der gebürtige Solinger. In Containern von Discountern sucht er sich seine Nahrung zusammen. Kerzen und ein behelfsmäßiger Ofen aus drei Backsteinen mit einem Rechaud geben Licht und Wärme in einem Zelt, aus dem der Mann bei drei Grad plus mit nackten Füßen herauskommt. Familiäre Bindungen habe er keine, dafür Träume: Dank einer Spende habe er einen CD-Player, mit dem er einen Französisch-Sprachkurs übt. "Wenn ich die Sprache kann, will ich in die Pyrenäen, mir dort einen Platz suchen und für mich selbst sorgen."

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