Vom Hass-Objekt zum Wahrzeichen

TRIER. "Laokoon 86", oder im Volksmund "Der dicke Otto", heißt das Aufsehen erregende Kunstwerk, das im Blickpunkt des jüngsten TV-Bilderrätsels stand. Sein Standort und damit des Rätsels Lösung ist das Gelände der Universität Trier.

Selten hat "Kunst am Bau" in Trier so viel Unmut hervorgerufen, wie der überdimensionale Bronze-Torso von Waldemar Otto (Jahrgang 1929) vor dem Psychologie-Gebäude der Uni. Schon vor der Aufstellung 1987 gab es reichlich "Wallung". 1985 hatte das für Hochschulbauten zuständige staatliche Hochbauamt (heute Landesbetrieb Liegenschafts- und Baubetreuung; LBB) einen offenen Wettbewerb ausgeschrieben. Anforderung: eine frei stehende Großplastik als markantes Zentrum für die noch junge Campus-Architektur im Stadtteil Tarforst. Als Sieger ging Professor Waldemar Otto (Worpswede) hervor. Doch die Jury aus Vertretern der Uni und des Mainzer Finanzministeriums stand mit ihrer Entscheidung anfangs allein auf weiter Flur. Mitarbeiter und Gremien der Uni gingen auf die Barrikaden, sammelten Unterschriften und erhoben Einspruch gegen den Entwurf Ottos, den sie ästhetisch unbefriedigend oder schlichtweg als Zumutung empfanden. Uni-Senat und Baubehörde ruderten zurück und machten dem Künstler Auflagen: Otto musste Kopfhaltung des Torsos, Gesichtsausdruck und Proportionierung mehrfach überarbeiten. Nach der feierlichen Enthüllung des "Laokoon 86" betitelten Werks am 25. September auf einem eigens angehäuften Hügel vor dem Psychologie-Gebäude hagelte es auch in der Öffentlichkeit Proteste. Vor allem am exponierten männlichen Geschlechtsteil erhitzten sich die Gemüter. Aber wie so oft in Trier - beispielsweise beim 1983 farbig gefassten Hauptmarktbrunnen - setzte rasch der Gewöhnungseffekt ein, und das Kunstwerk hatte bald seinen Spitznamen weg: dicker Otto. Trier und seine Uni durften sogar stolz auf die neue Errungenschaft sein. Otto für seinen "Laokoon 86" und Günther Kleinjohann als Planer des Uni-D-Gebäudes, Domizil der Psychologie-Fakultät, erhielten 1987 gemeinsam den Staatspreis für bildende Kunst und Architektur. Die Intention Waldemar Ottos, der als einer der bedeutendsten und international renommiertesten Protagonisten der figurativen Plastik gilt, erschließt sich dem Betrachter nicht beiläufig.Vorbild in der antiken Mythologie

Der Worpsweder Künstler hat einen verletzten, entseelten und gequälten Antihelden geschaffen, den ein unüberwindbares Raster in Schach hält. Der Name verweist auf den trojanischen Priester Laokoon, der vor dem Holzpferd der griechischen Belagerer warnte und deshalb mit seinen beiden Söhnen von den Schlangen der Helena erwürgt wurde. Die rund 2000 Jahre alte römische Laokoon-Gruppe ist die Ikone des Schmerzes und der Verzweiflung schlechthin. Künstlerpech, wenn die Aufmerksamkeit vieler Betrachter weniger den Augen und Ohren des "dicken Otto" gilt, sondern sich auf die Region unterhalb des Nabels konzentriert. Die Namen der Gewinner unseres Bilderrätsels veröffentlichen wir morgen in der Wochenend-Ausgabe.

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